Werner Hetzschold

Inmitten der Heide


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sie sich auch in der Lausitz nieder. Von nicht wenigen sorbischen Stämmen ist die Rede, an deren Spitze Sorben-Fürsten die Macht ausübten. Erinnert sei an den Markgrafen Gero, der gegen die Slawen Krieg führte, um deren Gebietsansprüche zu beschränken. Zu einem Trinkgelage lud der Markgraf Gero viele sorbische Fürsten ein. Als die Fürsten mit ihren Gefolgsleuten sich zur Ruhe begeben hatten, ließ sie der Markgraf abschlachten, um deren Aufstände wirkungsvoll zu beenden. Um das Land kontrollieren zu können, veranlasste er, dass sorbische Befestigungsanlagen zu Burgen umgebaut wurden, dass Klöster und Bistümer sich entfalten konnten.

      Einst grenzten an die Lausitz die Mark Brandenburg. Das deutsche Wort Grenze hat seinen Ursprung in den slawischen Sprachen, denn das slawische/kyrillische Vграница Graniza/Granica entwickelte sich zum deutschen Wort Grenze. Zagranica heißt hinter der Grenze, bedeutet Ausland. Es ist erstaunlich, wie sich die Sprachen gegenseitig befruchten, zu Wortschöpfungen beitragen. Das Ausland repräsentierten Staaten wie das Herzogtum Schlesien, das Königreich Böhmen, die Mark Brandenburg, der meissnische und der sächsische Kreis. In seinem Werk „Wanderung durch die Mark Brandenburg“ durchstreift Fontane planlos und ziellos das Land, will sich mit den Regionen vertraut machen, aus denen seine Ahnen kamen, soweit eine Rekonstruktion realisierbar ist. Die in den Urkunden genannten Dörfer besucht er, die Besitzungen von Rittergeschlechtern und Adelsfamilien, die in fast jedem Dorf ansässig waren, nimmt Kirchen und Klöster in Augenschein. Er reist nicht nur durch Deutschland, sondern überall dorthin, wohin die Spuren seiner Ahnen ihm den Weg weisen. In Schillers Räubern ist von den undurchdringlichen böhmischen Wäldern die Rede. Überall finden sich Bezugspunkte zur Lausitz, dem Grenzland zwischen einer Fülle von Kulturen. Immer wieder wechselte die Lausitz ihrer Herren. Sie verschwanden zwischen den Deckeln der Geschichtsbüchern, werden von der Wissenschaft hervorgekramt, zu neuem Leben erweckt, wenn es dafür einen Anlass gibt. Laubwälder bedeckten die Lausitz. Vor allem waren es Buchen und Eichen. Die Entscheidungsträger aus dem Westen des Deutschen Reiches lockten viele Siedler in das Lausitzer Land, um einen Bevölkerungsausgleich zu den Slawen zu schaffen. Viel wurde versprochen. Das ist eine der vielen Strategien, die die Führungselite nutzt, um ihre Ziele realisieren zu können. Die neu geschaffenen Siedlungen trugen hoffnungsvolle Namen wie Frauendorf, Friedersdorf, Neuwiese, Bärwalde, Buchwalde, Burg, Burghammer, Grünewald, Guteborn, Zeißig. Viele kleine Feudal-Sitze prägten das Landschaftsbild. In den feuchten Niederungen wurden Wasserburgen gegründet und auf Hügeln Befestigungsanlagen errichtet. Diese Befestigungsanlagen bekamen Namen wie Turmhügel. Holz als Baumaterial wurde dringend benötigt. Der Raub-Abbau ließ einen folgenschweren Kahlschlag zurück. Da im Mittelalter die Technik des Aufforstens unbekannt war, verbuschte das Land. Das war die Geburtsstunde der Heide.

      „Es gibt nur gesunde Luft“, stellten die Einwanderer fest, ganz gleich, aus welcher Himmelsrichtung sie kamen.

      Immer mehr Holz wurde benötigt. Die kargen Landböden waren bald ausgelaugt. Die Bevölkerung verließ ihre Gehöfte. Die Heide wich Buschland. Namen von Orten wie Wüstermarke und Sorge blieben im Gedächtnis, sind Zeugnis dieser Zeiten der Not, der Entbehrungen, der Katastrophen. Die Besitzer der Lausitz wechselten die Namen je nach der politischen Situation. Fürstentümer wurden territorialer Bestandteil eines Nationalstaates. Die Lausitz wechselte von Böhmen zu Sachsen und zu Brandenburg-Preußen. Die Preußische Agrar-Reform veränderte das Landschaftsbild. Die ausgelaugten, trockenen Heide-Flächen wurden mit der anspruchslosen Kiefer bewaldet. Viele Bäche, Wasser-Rinnsale, Sümpfe und Teiche wurden trockengelegt und begradigt. Die landwirtschaftliche Nutzung der preußischen Entscheidungsträger beeinflusste das ökologische System zu Ungunsten der Umwelt.

      An Stoporsk und an die Nachbargemeinde Zeleny Gozd denkt Heinz, an seine Ahnen, vertreten durch Otto und Louise und durch Oma Anna und deren Brüder. Fuß hatten sie gefasst in dem Grenzgebiet am äußersten westlichen Zipfel Schlesiens. Zeleny Gozd gehörte zum Königreich Preußen, zur Provinz Schlesien, zum Regierungsbezirk Liegnitz, zum Landkreis Wojerecy. Die südliche Grenze zwischen Sachsen und Preußen bildete der Zollweg. Stoporzk war der südlichste Zipfel Preußens, südlich des Zollweges begann Sachsen. Östlich nur wenige hundert Meter entfernt stand das Zollhaus, die Tribut fordernde Grenze zu Schlesien. Die Familien-Geschichte beginnt mit Otto und Louise Bruch, mit ihrem Hausbau auf eigenem Grund und Boden.

      Stolz blickt Louise aus dem Fenster. Die Fenster sind neu. Das Haus ist neu. Alle im Dorf nennen sie Liese. Sie hat sich daran gewöhnen müssen. Beim Herrn Postdirektor und beim Herrn Pfarrer hieß sie Luise. Auf ihrem Taufschein ist amtlich die französische Schreibweise vermerkt, die aber Liese nie verwendet. Als sie ihren Otto heiratet, hat er es bereits bis zum Lokomotivführer gebracht. Es existieren Fotos, auf denen Otto und sein Heizer gemeinsam auf der Grubenbahn abgebildet sind. Deutlich sind die weißen Handschuhe zu erkennen, die Otto im Dienst trägt. Alle Maschinenteile funkeln im Sonnenlicht. Kohlenstaub auf den Geräten wird nicht geduldet. Alles blinkt vor Sauberkeit. Wie viele junge Männer aus der Heide lässt sich Otto von der Bergbaugesellschaft anwerben, die die Braunkohlevorkommen abbauen will, die unmittelbar unter der Erdoberfläche sich weiträumig ausbreiten, wie die Ingenieure herausgefunden haben. Als Holzfäller verdingen sich die jungen Männer, die aus den umliegenden Dörfern kommen. Die Wälder werden gerodet. Gewinnbringend, so glauben die Bauern, verkaufen sie ihre Felder und Wiesen an das Bergbauunternehmen. Die Landschaft verändert sich. Schienen werden verlegt. Dringend werden Arbeitskräfte benötigt. Die Dörfer wachsen, wachsen zusammen, bilden große Gemeinden, stadtähnliche Siedlungen. Dörfler, selbst Bauern werden zu Bergleuten. Otto gehört zu ihnen.

      Raum ist in der kleinsten Hütte. Das ist einer der vielen Sprüche von Liese. Else übernimmt ihn, ohne dass ihr die Übernahme bewusst ist. Viele, viele Male hat sie ihn gehört. Jetzt gehört er zu ihrem Repertoire. Mit ihrem Heinz bewohnt Else die Räume unter dem Dach. Das Zimmer, in das sich einst Fritz und Heinz teilten, wurde zu einer Kombination von Wohnzimmer und Schlafzimmer. Den anderen leeren Raum verwandelten sie in eine Küche. Der Abfluss ist sehr störanfällig, für Abwasch-Wasser ungeeignet. Schnell ist er verstopft. Deshalb wird alles Wasser in Eimern in den Garten getragen. Unmittelbar am Zaun zu den Feldern wird das Schmutz-Wasser ausgeschüttet, versickert schnell in der Erde. Die beiden kleinen Kammern unter der Dachschräge dienen als Abstell- und Vorratskammer. Mehr Platz ist nicht da. Else ist glücklich. Heinz ist glücklich. Optimal wird das Dachgeschoss genutzt. Viele besitzen viel weniger Wohnraum, oft nur ein kleines Zimmer. Alle Umsiedler müssen sich eine neue Existenz aufbauen. Mit nur wenigen Habseligkeiten sind sie gekommen. Immer wieder betont das Liese. Die Männer finden Arbeit in der Kokerei. Viele der jüngeren Umsiedler-Frauen ebenfalls. Sie nehmen eine Tätigkeit im Büro auf, arbeiten am Fließband, im Stellwerk, in der Küche. Die Einarbeitungszeit ist sehr kurz, endet mit einer Prüfung, die alle bestehen, weil sie motiviert sind und gewillt zu arbeiten.

      Vor dem Gartentor sitzt Opa Otto auf seiner Bank und dengelt die Sense, raucht dabei genüsslich seinen Stumpen. Als er die Enkelin bemerkt, informiert er sie, dass die Mutter auf Schicht ist und Heinz im Garten. „Wahrscheinlich gießt er, weil die aus dem Unterdorf noch etwas Wasser für das Oberdorf übriggelassen haben. Und Oma Liese wird am Küchenfenster stehen, auf ihre Maria warten, um die neusten Nachrichten aus der großen weiten Welt in Erfahrung zu bringen.“ Über die nächst gelegenen Kreisstädte sind die alten Frauen nicht hinausgekommen, waren dort bei wohlhabenden Bürgern in Stellung gewesen oder im Dorf verblieben, haben ihr Leben in der Landwirtschaft verbracht. Die Männer haben mehr von der Welt gesehen. Dafür sorgten die beiden Weltkriege. Über einen reichen Erfahrungsschatz verfügen die alten Frauen, wissen alles über das Dorf, wissen über jeden Tratsch und Klatsch Bescheid. Großmutter Liese kommt ihrer Enkelin entgegen. Maria setzt die Taschen ab.

      „So ist es fast immer!“, sagt die Großmutter. „Das Schichtsystem zerstört das Familienleben, wenn Mann und Frau in der Kokerei arbeiten. Aber das Leben ist teuer geworden, weil die Ansprüche steigen. Die Leute bekommen den Hals nicht voll! Wollen immer mehr haben! Wo soll das hinführen?“

      Mit dem Tagebau sind Liese und Otto aufgewachsen, erlebten das Entstehen der Gruben, die Rodung der Wälder, die Vernichtung der Heidelandschaft, die Abraumhalden, das Verschwinden des Grundwassers, die Verpestung der Luft, die Verschmutzung einer ganzen Region, die Zuwanderung der viele Fremden. Aber der Bergbau brachte den Menschen Wohlstand, ein gesichertes Einkommen. Als die Wende kam, hörte der Verband