Charles Dickens

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ein hölzerner Tisch und ein zerbrochenes Schreibpult; alles von Tinte beregnet. In einer andern Ecke liegt ein zerfetzter alter Mantelsack auf einem Stuhl und dient als Schrank oder Garderobe; ein größerer wäre überflüssig, denn er ist mager und eingefallen wie die Wangen eines Verhungerten.

      Der Fußboden ist kahl. Nur eine einzige alte Matte, zu einzelnen Fransen zertreten, modert vor dem Herde. Kein Vorhang schließt die Dunkelheit der Nacht aus, aber die wettergebleichten Läden sind geschlossen, und durch die zwei großen Löcher darin könnte der Hunger hineinsehen auf das Gespenst eines Mannes auf dem Bett.

      Auf der niedrigen Lagerstätte, dem Feuer gegenüber, in einem wirren Haufen schmutzigen Lappenwerkes, dünner Steppdecken und grober Sackleinwand sieht der Advokat, der zögernd in der Türe stehen bleibt, einen Mann liegen.

      Er liegt dort in Hemd und Hosen mit bloßen Füßen. In der gespensterhaften Dämmerung eines Lichts, das niedergebrannt ist, bis der Docht in seiner ganzen Länge sich übergelegt hat und einen Turm von glimmendem Ruß über die Flamme hinausragen läßt, sieht sein Gesicht gelb aus. Das wirre Haar vermischt sich mit dem Bart um Backen und Mund, der verwildert und vernachlässigt ist wie alles ringsum. So übelriechend und schmutzig das Zimmer, so stickig die Luft ist, wird man sich doch nicht leicht darüber klar, was für ein Geruch die Sinne am unangenehmsten berührt; aber durch den allgemeinen krankhaften, Übelkeit erregenden Geruch von kaltem Tabaksqualm dringt der bittere, fade Geschmack von Opium dem Advokaten in den Mund.

      »Heda, Freund!« Er ruft und schlägt den eisernen Leuchter an die Tür.

      Er glaubt, er habe den »Freund« aufgeweckt. Der Mann liegt da, ein wenig abgewendet und mit offenen Augen.

      »Heda, Freund!« ruft er wieder. »Heda! Heda!«

      Wie Mr. Tulkinghorn wiederholt an die Türe schlägt, geht das Licht im Zimmer, das schon lange nur kümmerlich gebrannt hat, vollends aus, und er steht im Dunkeln, und die hohlen Augen in den Fensterläden starren auf das Bett.

11. Kapitel

      Unser geliebter Bruder

      Irgend jemand berührt die runzelvolle Hand des Advokaten, wie er im finstern Zimmer unentschlossen dasteht, und macht ihn auffahren: »Wer ist da!«

      »Ich bin's«, sagt der Alte vom Hause. Sein Atem berührt das Ohr Mr. Tulkinghorns. »Können Sie ihn nicht wecken?«

      »Nein.«

      »Was haben Sie mit Ihrer Kerze gemacht?«

      »Sie ist ausgegangen. Hier ist sie.«

      Krook nimmt sie, geht ans Feuer, bückt sich über die roten Kohlen und versucht den Docht anzuzünden. Die ersterbende Asche hat keine Glut mehr, und seine Bemühungen sind umsonst. Ebenso vergeblich sucht er seinen Mieter zu wecken; dann brummt er und geht hinunter in den Laden, um eine brennende Kerze zu holen. Aus irgendeinem Grunde erwartet Mr. Tulkinghorn seine Rückkehr nicht im Zimmer, sondern draußen auf der Treppe.

      Endlich, endlich erhellt ein Licht die Wände, wie Krook langsam heraufkommt, die grünäugige Katze ihm auf den Fersen.

      »Schläft der Mann immer so fest?« fragt der Advokat leise.

      »Hi! Ich weiß nicht«, Krook schüttelt den Kopf und zieht die Augenbrauen in die Höhe. »Ich weiß so gut wie nichts von seinen Gewohnheiten, außer, daß er sich fast ganz abschließt.«

      So flüsternd treten sie beide ein. Wie das Licht hereinkommt, scheinen die großen Augen in den Fensterläden dunkler zu werden und sich zu schließen. Nicht so die Augen auf dem Bett.

      »Gott sei uns gnädig«, ruft Mr. Tulkinghorn. »Er ist tot.«

      Krook läßt die schwere Hand, die er ergriffen hat, so plötzlich los, daß der Arm an der Seite des Bettes herunterfällt. Die beiden sehen sich einen Augenblick an.

      »Laufen Sie nach einem Doktor! Rufen Sie Miß Flite oben, Sir! Hier steht Gift beim Bett! Rufen Sie Flite, wollen Sie?« sagt Krook, der seine dürren Hände über der Leiche hält wie die Flügel eines Vampirs.

      Mr. Tulkinghorn eilt hinaus und ruft: »Miß Flite! Flite! Schnell, kommen Sie schnell! Flite!«

      Krook folgt ihm mit seinen Blicken und benützt die Gelegenheit, während er ruft, sich zu dem alten Mantelsack und wieder zurück zu schleichen.«

      »Schnell, Flite, schnell! Zum nächsten Doktor! Schnell!« So schreit Mr. Krook die verrückte kleine Alte, seine Mieterin, an.

      Im Nu erscheint sie und verschwindet und kehrt zurück, begleitet von einem Arzt, der sehr verdrießlich dreinschaut, weil man ihn beim Essen gestört hat, – einem Mann mit einer dicken, mit Schnupftabak bedeckten Oberlippe und einem breiten schottischen Akzent.

      »Ei! Gott haab ihn seelig«, sagt der Arzt und sieht nach einer kurzen Untersuchung auf. »Der ischt so toot wie Pharao.«

      Mr. Tulkinghorn, der neben dem alten Mantelsack steht, fragt, ob er schon lange tot sei.

      »Schon lange, Ser«, sagt der Arzt. »Waahrscheinlich ischt er etwa drei Stunden toot.«

      »Ungefähr so lange auch meiner Meinung nach«, bemerkt ein schwarzer junger Mann auf der andern Seite des Bettes.

      »Sind Sie selbscht Meediziner, Ser?« fragt der Schotte.

      Der schwarze junge Mann sagt: »Ja.«

      »Nun, denn kann ich ja gehn. Denn bin ich hier gaar nichts nütze.«

      Mit dieser Bemerkung macht der Arzt seiner kurzen Anwesenheit ein Ende und kehrt wieder zu seinem Essen zurück.

      Der schwarze junge Mediziner leuchtet mit der Kerze wiederholt über das starre Gesicht und untersucht sorgfältig den Schreiber, der seine Ansprüche auf seinen Namen jetzt dadurch festgestellt hat, daß er wirklich »Niemand« geworden ist.

      »Ich kenne den Mann sehr gut vom Sehen«, sagt er. »Er hat seit den letzten anderthalb Jahren Opium bei mir gekauft. Ist jemand von den Anwesenden mit ihm verwandt?« fragt er und mustert die drei um das Bett herumstehenden Personen.

      »Ich war sein Hauswirt«, gibt Krook mürrisch zur Antwort und nimmt dem Arzt die hingehaltene Kerze aus der Hand. »Er sagte einmal zu mir, ich sei der nächste Verwandte, den er hätte.«

      »Er ist an einer zu starken Dosis Opium gestorben. Daran ist kein Zweifel. Das ganze Zimmer riecht danach. Hier ist noch genug«, – der Arzt nimmt Mr. Krook einen alten Teetopf aus der Hand – »um ein Dutzend Menschen zu töten.«

      »Meinen Sie, daß er es absichtlich getan hat?« fragt Krook.

      »Die zu starke Dosis genommen?«

      »Ja!« – Krook schmatzt fast mit den Lippen im Hochgenuß eines schauerlichen Interesses.

      »Das kann ich nicht sagen. Ich halte es nicht für wahrscheinlich, da er gewohnt war, starke Dosen zu nehmen. Das kann niemand wissen. Er war sehr arm, vermute ich?«

      »Das vermute ich auch. Sein Zimmer – macht nicht den Eindruck von Reichtum«, sagt Krook, der so aussieht, als habe er die Augen mit seiner Katze vertauscht, so gierig schweifen seine Blicke in der Stube umher. Aber ich bin nie hier gewesen, seit er eingezogen ist, und er war zu verschlossen, um mir etwas über seine Verhältnisse zu erzählen.«

      »Ist er Ihnen Zins schuldig?«

      »Sechs Wochen.«

      »Er wird ihn nie bezahlen«, sagt der junge Arzt und nimmt seine Untersuchung wieder auf. »Es ist ganz außer Zweifel, daß er so tot ist wie Pharao, und nach seinem Körperzustand zu urteilen, möchte ich sagen, es ist ein Glück für ihn. Und doch muß er als junger Mann groß und schlank und ich sollte meinen hübsch gewesen sein.«

      – Er sagt dies nicht ohne Gefühl, während er auf dem Rande der Bettstelle sitzt, das Gesicht dem Toten zugekehrt und die Hand auf die Herzgegend gelegt.