Charles Dickens

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keine – keine – Allüren.«

      »Er scheint aber ein vortrefflicher Lehrer zu sein.«

      »Verstehen Sie mich recht, meine Gnädige, er ist ein vortrefflicher Lehrer. Alles, was man sich aneignen kann, hat er sich angeeignet. Alles, was man lehren kann, kann er lehren, aber es gibt gewisse Dinge...« Er nahm abermals eine Prise und verbeugte sich wieder, als ob er hinzusetzen wollte: »Das da zum Beispiel.«

      Ich warf einen Blick in den Saal, wo Miß Jellybys Verlobter, jetzt die Schülerinnen einzeln vornehmend, sich ärger plagte als je.

      »Mein liebenswürdiges Kind«, murmelte Mr. Turveydrop und richtete sich die Halsbinde.

      »Ihr Sohn ist unermüdlich.«

      »Das von solchen Lippen zu hören, ist ein Lohn für mich. In mancherlei Hinsicht tritt er in die Fußstapfen seiner seligen Mutter. Sie war voll Hingebung und Aufopferung. Ja, die Frauen, die lieblichen Frauen«, sagte er mit einer widerwärtigen Galanterie. »Man kann sie nicht genug hochhalten.«

      Ich stand auf und ging zu Miß Jellyby, die jetzt ihren Hut aufsetzte. Da die für eine Lektion festgesetzte Zeit reichlich um war, fand ein allgemeines Hutaufsetzen statt. Wann je Miß Jellyby und der unglückliche Prince Gelegenheit gefunden haben mochten, sich miteinander zu verloben, weiß ich nicht, aber jedenfalls fanden sie jetzt keine, auch nur ein Dutzend Worte miteinander zu sprechen.

      »Lieber Sohn«, fragte Mr. Turveydrop herablassend, »weißt du, wie spät es ist?«

      »Nein, Vater!«

      Der Sohn hatte keine Uhr. Der Vater zog eine schöne goldne mit einer Miene, die der Menschheit zum Beispiel dienen konnte, heraus.

      »Mein Sohn, es ist zwei Uhr. Vergiß nicht deine Stunde in Kensington um drei.«

      »Da habe ich noch Zeit genug, Vater«, sagte Prince. »Ich kann ein paar Bissen Mittagbrot im Stehen essen und dann gleich gehen.«

      »Mein lieber Junge«, entgegnete der Vater, »da mußt du aber rasch machen. Kalten Hammelbraten findest du auf dem Tisch.«

      »Ich danke, Vater. Gehst du jetzt, Vater?«

      »Ja, mein Sohn. Vermutlich.« Mr. Turveydrop schloß die Augen und zog die Schultern in die Höhe. »Ich muß mich jetzt wie gewöhnlich in der Stadt zeigen.«

      »Wäre es nicht am besten, du diniertest irgendwo außer Haus, Vater?«

      »Ja, liebes Kind, das beabsichtige ich auch. Ich werde mein kleines Mahl im französischen Restaurants in der Opera-Kolonnade einnehmen.«

      »Das ist recht. Adieu Vater!« sagte Prince und schüttelte ihm die Hand.

      »Adieu, mein Sohn. Gott segne dich!«

      Mr. Turveydrop sprach diese Worte fast in einem frommen Ton, die seinen Sohn, der beim Abschied so ehrerbietig und so stolz auf ihn war, daß es mir fast wie eine Unfreundlichkeit vorgekommen wäre, wenn man nicht unumschränkt ebenfalls an seinen Vater geglaubt hätte, sehr zu freuen schienen.

      Die wenigen Augenblicke, die Prince dem Abschiednehmen von uns widmen konnte – und vorzüglich von einer von uns, wie ich als Mitwisserin sehr gut merkte –, vermehrten den günstigen Eindruck, den sein harmlos kindliches Benehmen auf mich gemacht hatte. Er gefiel mir sehr, und ich sah fast mit einem Mitleid, das mich beinahe noch mehr gegen seinen Vater aufbrachte als die alte Dame mit dem kritischen Blick, wie er seine kleine Violine in die Tasche steckte – und mit ihr seinen Wunsch, noch ein klein wenig mit Caddy beisammen bleiben zu können – und resigniert zu seinem kalten Hammelfleisch und zu seiner Tanzlektion in Kensington ging.

      Der alte Mr. Turveydrop öffnete uns die Zimmertür und verneigte sich vor uns mit einer Grandezza, die, wie ich anerkennen muß, seinen glänzenden Allüren durchaus würdig war. In demselben Stil stolzierte er gleich darauf an der andern Seite der Straße vorüber und schlug den Weg nach dem aristokratischen Viertel der Stadt ein, wo er sich unter den wenigen noch lebenden Gentlemen zeigen wollte.

      Eine Zeitlang war ich so in Gedanken über das in Newmanstreet Gehörte und Gesehene verloren, daß ich gänzlich außerstande war, mit Caddy zu sprechen oder dem, was sie mir erzählte, meine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Besonders, als ich mich innerlich fragte, ob es jemals andre Gentlemen als Tanzlehrer gegeben habe, die nur von Anstand gelebt und ihren Ruhm darauf begründet hätten. Das verwirrte mich so sehr und enthüllte mir die Möglichkeit der Existenz so vieler Mr. Turveydrops, daß ich zu mir sagte: »Esther, weg mit diesen Gedanken. Du mußt jetzt auf Caddy hören.« Und das tat ich, und wir plauderten den ganzen Weg bis Lincoln's-Inn.

      Sie erzählte mir, ihres Verlobten Erziehung sei so vernachlässigt worden, daß es ihr manchmal schwer falle, seine Briefe zu entziffern. Sie sagte, wenn er wegen seiner Orthographie nicht so ängstlich wäre und sich weniger Mühe damit gäbe, täte er besser, aber er brächte oft so viel unnötige Buchstaben in kurzen Wörtern an, daß sie manchmal ganz ihr englisches Aussehen verlören.

      »Er tut es in der besten Absicht«, bemerkte sie. »Aber es hat nicht die Wirkung, die er beabsichtigt; der arme Junge.«

      Sie erging sich sodann in Erklärungen, daß man von ihm doch auch keine Bildung verlangen könne, da er sein ganzes Leben in der Tanzschule zugebracht und nichts andres getan habe als lehren und sich abplagen, sich abplagen und lehren von morgens früh bis abends spät! Und was läge schließlich daran! Sie könne Briefe genug für beide schreiben, sie habe es auf ihre Kosten erfahren, und es sei viel besser für ihn, liebenswürdig als gelehrt zu sein.

      »Übrigens bilde ich mir auch nicht ein, ein gebildetes Mädchen zu sein, das ein Recht hätte, darüber die Nase zu rümpfen«, sagte sie. »Ich weiß wahrhaftig selbst wenig genug, dank meiner Erziehung.«

      »Etwas muß ich Ihnen noch erzählen, solange wir allein sind«, fuhr sie unterwegs fort, »was ich Ihnen nicht gern gesagt hätte, bevor Sie Prince gesehen haben, Miß Summerson! Sie wissen, wie es bei uns zu Hause zugeht. Bei uns etwas lernen zu wollen, was für mich als Princes Frau von Nutzen sein könnte, ist unmöglich. Bei uns herrscht ein solches Durcheinander, daß es einfach nicht geht. Und ich war immer noch mehr entmutigt, wenn ich es versucht habe. So übe ich mich jetzt ein wenig ... bei wem glauben Sie wohl?... bei der armen Miß Flite! Ganz früh am Morgen helf ich ihr das Zimmer aufräumen und die Vögel besorgen; dann koche ich ihr den Kaffee – sie hat es mich natürlich lehren müssen –, und ich habe ihn so gut kochen gelernt, daß Prince behauptet, es sei der allerbeste, den er jemals gekostet hat, und würde sogar den alten Mr. Turveydrop, der hinsichtlich Kaffee sehr eigen ist, in Entzücken versetzen. Ich kann auch kleine Puddings machen und weiß schon, wie man einen Hammelrücken, Tee und Zucker und Butter und andre zum Haushalt gehörige Dinge einkauft. Mit der Nadel bin ich noch nicht besonders geschickt«, sie warf einen Blick auf die Ausbesserungen an Peepys Frack, »aber vielleicht kann ich mich darin noch vervollkommnen. Seit ich mit Prince verlobt bin und mich mit allen diesen Dingen beschäftige, glaube ich besser aufgelegt und Ma gegenüber versöhnlicher gestimmt zu sein. Heute morgen packte es mich wieder, als ich Sie und Miß Clare so nett und hübsch aussehen fand und mich über Peepy und mich selbst schämen mußte, aber im großen ganzen, glaube ich, bin ich besserer Laune als früher und versöhnlicher gegenüber Ma.«

      Es rührte mich tief, zu hören, wie sehr sich das arme Mädchen bemühte.

      »Liebe Caddy«, sagte ich, »ich fühle mich sehr zu Ihnen hingezogen und hoffe, wir werden bald die besten Freundinnen sein.«

      »Ach wirklich?« rief Caddy. »Wie glücklich mich das machen würde.«

      »Liebe Caddy, wir wollen gleich von jetzt an Freundinnen und du und du sein und recht oft über diese Sachen plaudern und versuchen, uns darin zurechtzufinden, ja?«

      Caddy war außer sich vor Freude. Ich sagte ihr in meiner altmodischen Weise alles Mögliche, um sie zu trösten und zu ermutigen, und hätte es an diesem Tage nicht übers Herz gebracht, etwas Nachteiliges über den alten Mr. Turveydrop zu sagen.

      Wir hatten jetzt Mr. Krooks Haus erreicht und sahen den Privateingang