Charles Dickens

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sei vor Schrecken krank geworden.

      Da Tür und Fenster des leeren Zimmers offen standen, blickten wir hinein. Es war das Zimmer mit der dunkeln Tür, auf die Miß Flite bei meiner letzten Anwesenheit im Haus so geheimnisvoll meine Aufmerksamkeit gelenkt hatte.

      – Was für ein trauriger und unwohnlicher Raum es war; ein düsterer, trauervoller Ort, der in mir ein seltsames Gefühl von Leid und sogar von Furcht erweckte. –

      »Du siehst blaß aus«, sagte Caddy, als wir heraustraten. »Ist dir kalt?«

      – Mich hatte tatsächlich im Zimmer ein Schauer überlaufen.

      Wir waren bei unsern Gesprächen so langsam gegangen, daß mein Vormund und Ada schon vor uns angekommen waren. Wir fanden sie in Miß Flites Dachstübchen. Sie besahen sich die Vögel, während ein Arzt, der so gutherzig war, Miß Flite mit großer Teilnahme und Sorgfalt zu behandeln, freundlich mit ihr am Kamin sprach.

      »Meine ärztliche Behandlung ist zu Ende«, sagte er und trat vor. »Miß Flite befindet sich bereits viel besser und kann morgen wieder im Gericht erscheinen, wenn ihr soviel daran liegt. Wie ich höre, hat man sie dort sehr vermißt.«

      Miß Flite nahm das Kompliment wohlgefällig auf und machte uns einen gemeinsamen Knicks.

      »Sehr geehrt, abermals die Mündel in Sachen Jarndyce bei mir zu sehen!« sagte sie. »Se-hr glücklich, Jarndyce von Bleakhaus unter meinem bescheidnen Dach zu empfangen!« Sie knickste. »Meine liebe Fitz-Jarndyce«, – diesen Namen hatte sie sich für mich ausgedacht – »seien Sie mir doppelt willkommen.«

      »Ist sie sehr krank gewesen?« fragte Mr. Jarndyce den Arzt. Sie antwortete selbst, obgleich mein Vormund nur leise flüsternd gesprochen hatte.

      »Oh, entschieden unpäßlich! Oh, sehr unpäßlich«, sagte sie vertraulich. »Kein Schmerz, Sie verstehen... Aufregung! Nicht so sehr körperlich, als nervös – nervös! Die Sache ist«, erklärte sie uns mit unterdrückter, bebender Stimme, »wir hatten einen Todesfall hier. Es war Gift im Hause. Ich bin solchen schrecklichen Dingen gegenüber außerordentlich empfindlich. Es entsetzte mich. Nur Mr. Woodcourt weiß, wie sehr. Mein Arzt, Mr. Woodcourt«, stellte sie mit großer Förmlichkeit vor, »die Mündel in Sachen Jarndyce – Jarndyce von Bleakhaus – Fitz-Jarndyce.«

      »Miß Flite«, sagte Mr. Woodcourt mit ernster, wohlwollender Stimme, als wende er sich an sie, während er zu uns sprach und seine Hand sanft auf ihren Arm legte. »Miß Flite beschreibt ihre Krankheit mit ihrer gewohnten Akkuratesse. Ein Vorfall im Hause hat sie erschüttert, der eine stärkere Person als sie hätte stark mitnehmen müssen. Und sie wurde vor lauter Aufregung und Trübsal krank. In der ersten Hast der Entdeckung brachte sie mich hierher. Leider zu spät, um dem Unglücklichen noch helfen zu können. Ich habe mich für diese Enttäuschung dadurch entschädigt, daß ich seitdem hierher kam und ihr ein wenig nützlich gewesen bin.«

      »Der freundlichste Arzt vom ganzen Kollegium«, wisperte mir Miß Flite zu. »Ich erwarte ein Urteil am Tag des Gerichts. Und dann werde ich Güter verschenken.«

      »Miß Flite wird in ein paar Tagen wieder gesund und wohlauf sein«, sagte Mr. Woodcourt und sah sie mit einem prüfenden Lächeln an. »Mit andern Worten, wieder ganz auf dem Damm. Haben Sie gehört, welches Glück sie gehabt hat?«

      »Ein ganz außerordentliches Glück«, bestätigte Miß Flite mit strahlendem Gesicht. »Denken Sie nur, jeden Samstag übergibt mir Konversations-Kenge oder Guppy – bei Konversations-K. – ein Kuvert mit Schillingen – mit Schillingen! Ja, ja, Sie dürfen mir's glauben! Immer die gleiche Anzahl ist im Kuvert. Immer einer für jeden Tag in der Woche. Jetzt wissen Sie es. Und gerade zur rechten Zeit gekommen, nicht wahr? Jaaaa! Woher, glauben Sie wohl, kommen diese Kuverts? Das ist die große Frage. Natürlich. Soll ich Ihnen sagen, was ich glaube? Ich glaube«, sie trat mit einem schlauen Blick zurück und hielt den rechten Zeigefinger höchst bedeutsam in die Höhe, »daß der Lordkanzler in Hinblick auf die Länge der Zeit, wo das Große Siegel geöffnet ist – denn es ist schon sehr lange geöffnet –, das Geld schickt. Bis das Urteil, das ich erwarte, erfolgt. Das ist sehr anerkennenswert, sehen Sie. Auf diese Weise einzugestehen, daß der Prozeß sich wirklich etwas langsam für das irdische Leben abwickelt. So zartfühlend! Als ich neulich im Gerichtssaal war – ich wohne den Sitzungen regelmäßig bei mit meinen Dokumenten –, stellte ich ihn zur Rede, und er gestand fast. Das heißt, ich lächelte ihn von meiner Bank aus an und er lächelte mich von seiner Bank aus an. Aber ist es nicht ein großes Glück, wie? Und meine junge Freundin verwendet das Geld für mich so vorteilhaft. Oh, ich versichere Ihnen, außerordentlich vorteilhaft!«

      Sie hatte sich an mich gewendet, und ich wünschte ihr Glück und weitere Vermehrung ihres Einkommens und eine recht lange Dauer desselben. Ich brauchte mir nicht den Kopf zu zerbrechen, aus welcher Quelle es kam und wer so menschenfreundlich war. Mein Vormund stand vor mir und besah sich die Vögel, und ich brauchte nicht weit zu suchen.

      »Und wie heißen die kleinen Burschen, Maam?« fragte er mit seiner sympathischen Stimme. »Haben sie Namen?«

      »Ich kann für Miß Flite bejahen«, sagte ich, »denn sie versprach uns neulich, sie uns zu nennen. – Ada, weißt du noch?«

      Ada erinnerte sich noch sehr gut.

      »So, tat ich das?« sagte Miß Flite. »Halt! Wer ist dort an meiner Tür? Was horchen Sie an meiner Tür, Krook?«

      Der Alte stieß die Türe auf und erschien, die Pelzmütze in der Hand, begleitet von seiner Katze, auf der Schwelle.

      »Ich hab nicht gehorcht, Miß Flite. Ich wollte eben klopfen, aber Sie geben so scharf acht.«

      »Jagen Sie Ihre Katze hinaus. Fort!« rief die alte Dame heftig aus.

      »Bah, bah. Es besteht keine Gefahr, meine Herrschaften«, beruhigte sie Mr. Krook und sah uns alle der Reihe nach lange und scharf an. »Sie wird, wenn ich hier bin, auf die Vögel nicht losgehen – wenn ich sie nicht hetze.«

      »Sie müssen meinen Hauswirt entschuldigen«, flüsterte Miß Flite mit würdevoller Miene. »Ver-, ganz ver-! Was wollen Sie denn, Krook? Sie sehen doch, daß ich Gesellschaft habe.«

      »Hi«, sagte der Alte. »Sie wissen, ich bin der 'Kanzler'.«

      »Nun, und? Was weiter?«

      »Daß dem Kanzler«, kicherte der Alte, »ein Jarndyce unbekannt bleiben sollte, wäre seltsam, nicht wahr, Miß Flite? Darf ich mir nicht die Freiheit nehmen? Ihr Diener, Sir. Ich kenne 'Jarndyce kontra Jarndyce' fast so genau wie Sie selbst, Sir. Ich kannte den alten Squire Tom, Sir, aber soviel ich mich erinnern kann, habe ich Sie noch nie gesehen. Nicht einmal im Gerichtshof. Und ich bin doch unendlich oft im Lauf des Jahres dort.«

      »Ich gehe nie hin«, entgegnete Jarndyce. »Ich würde lieber – ich weiß nicht wohin gehen.«

      »Wirklich?« grinste Krook. »Sie sind schlecht auf meinen vornehmen und gelehrten Bruder zu sprechen, Sir; wenn das auch vielleicht bei einem Jarndyce ganz natürlich ist. Ein gebranntes Kind, Sir!... Was, Sie sehen sich die Vögel meiner Mieterin an, Mr. Jarndyce?« Er war ganz langsam immer weiter ins Zimmer hereingekommen und berührte jetzt meinen Vormund mit dem Ellbogen und sah ihm mit seinen bebrillten Augen scharf ins Gesicht.

      »Es ist eine ihrer Wunderlichkeiten, daß sie niemals die Namen dieser Vögel nennt, wenn sie es vermeiden kann. Aber jeder einzelne hat seinen Namen!« Er sagte das leise flüsternd. »Soll ich sie herzählen, Flite?« fragte er dann laut, zwinkerte uns zu und deutete auf sie, während sie sich hastig abwendete und sich stellte, als kehre sie den Herd.

      »Wenn Sie wollen«, gab sie hastig zur Antwort.

      Der Alte warf uns wieder einen Blick zu, spähte zu den Käfigen hin und ging dann die Liste durch.

      »Hoffnung, Freude, Jugend, Friede, Ruhe, Leben, Staub, Asche, Verschwendung, Mangel, Ruin, Verzweiflung, Wahnsinn, Tod, List, Torheit, Faselei, Perücke, Pergament, Plunder, Präzedenz, Jargon, blauer Dunst und Larifari – das ist die ganze Reihe. Alle von meinem vornehmen und gelehrten Bruder zusammen