Уилки Коллинз

Blinde Liebe


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es sorgfältig auf den Brief, der das unverständliche Geschreibsel enthielt. Worte und Sätze erschienen jetzt durch die Löcher in der richtigen Anordnung und Folge. Der Inhalt war an Sir Giles gerichtet und lautete folgendermaßen:

      »Ich spreche Ihnen meinen Dank aus für die pünktliche Erfüllung der gestellten Bedingungen. Sie haben zu Ihrem eigenen Besten mich zufriedengestellt. Gleichwohl ist es leicht möglich, daß Sie noch Bedenken tragen, einem Menschen zu trauen, der noch nicht im stande ist, Sie mit seiner Person bekannt zu machen. Aber die gefährliche Lage, in der ich mich befinde, zwingt mich, Sie noch um zwei oder drei Tage Frist zu bitten, bevor ich ohne Gefahr für mich eine Begegnung mit Ihnen herbeiführen und mich so Ihnen zu erkennen geben kann. Fassen Sie sich daher, bitte, in Geduld und wenden Sie sich um keinen Preis um Rat oder Schutz an die Polizei.«

      »Diese letzten Worte,« erklärte Sir Giles, »sind entscheidend! Je eher ich unter dem Schutz des Gesetzes stehe, um so besser ist es für mich. Tragen Sie meine Karte auf das Polizeiamt.«

      »Darf ich mir erst ein paar Worte erlauben, Sir?«

      »Soll das heißen, daß Sie mit mir nicht übereinstimmen?«

      »Ja, Sir.«

      »Sie sind Ihr Lebtag eigensinnig gewesen, Dennis, und das nimmt zu, je älter Sie werden. Nun, das thut nichts: sprechen Sie sich nur deutlich aus. Wer ist denn nach Ihrer Ansicht die Person, auf welche es in diesen verwünschten Briefen abgesehen ist?«

      Dennis Howmore nahm den ersten der beiden Briefe in die Hand und zeigte auf die Anfangsworte: »Sir Giles Mountjoy, ich habe Ihnen eine Eröffnung zu machen, welche ein Glied Ihrer Familie nahe berührt.« Dennis wiederholte noch einmal nachdrücklich die Worte: »ein Glied Ihrer Familie.«

      Sein Chef sah ihn erstaunt und fragend an.

      »Ein Glied meiner Familie?« wiederholte nun Sir Giles seinerseits. »Nun, mein Freund, was denken Sie darüber? Ich bin ein alter Junggeselle und habe keine Familie.«

      »Ihr Bruder ist auch noch da, Sir.«

      »Mein Bruder lebt in Frankreich – ganz außer dem Bereiche jener Schurken, die mich bedrohen. Ich wollte, ich wäre bei ihm.«

      »Ihr Bruder hat auch zwei Söhne, Sir Giles.«

      »Gewiß; was ist da aber zu befürchten? Mein Neffe Hugh ist in London und hält sich von allen politischen Dingen fern. Ich hoffe über kurz oder lang von ihm zu hören, daß er sich verheiraten wird, wenn das beste und niedlichste Mädchen in England ihn haben will. Was ist jetzt dabei Schlimmes?«

      Dennis erklärte:

      »Ich will nur sagen, Sir, daß ich bei meinen Worten an Ihren andern Neffen gedacht habe.«

      Sir Giles lachte.

      »Arthur in Gefahr?« rief er aus. »Der harmloseste junge Mann, der jemals gelebt hat? Das Schlimmste, was man von ihm sagen kann, ist, daß er sein Geld zum Fenster hinauswirft infolge seiner verrückten Idee, in Kerry ein Gut zu pachten.«

      »Entschuldigen Sie, Sir Giles, dort, wo er sich jetzt befindet, ist aber nicht viel Gelegenheit, sein Geld wegzuwerfen. Niemand wird wagen, sein Geld zu nehmen. Ich traf gestern auf dem Markt einen von Herrn Arthurs Nachbarn. Ihr Neffe ist boykottirt.«

      »Um so besser!« erklärte der hartnäckige Bankier. »Dann wird er wenigstens bald von der Verrücktheit, den Pächter zu spielen, geheilt werden und an den Platz zurückkehren, den ich für ihn in meinem Geschäft offen halte.«

      »Gott gebe es!« sagte Dennis ernst und bewegt.

      Einen Augenblick schwieg Sir Giles betroffen still. Dann fragte er:

      »Haben Sie irgend etwas gehört, was Sie mir bis jetzt noch nicht gesagt haben?«

      »Nein, Sir. Ich habe nur an etwas gedacht, was Sie – verzeihen Sie den Ausdruck – vergessen zu haben scheinen. Der letzte Pächter dieses Gutes in Kerry weigerte sich, den Pachtzins zu entrichten. Herr Arthur hat also ein Gut gepachtet, das man ein weggenommenes Gut nennt. Es ist meine feste Ueberzeugung,« sagte der Buchhalter, indem er sich erhob und mit ernster Stimme sprach, »daß die Person, welche jene Briefe an Sie gerichtet hat, Herrn Arthur kennt und weiß, daß er sich in Gefahr befindet; sie versucht, durch Sie Ihren Neffen zu retten, und setzt dabei ihr eigenes Leben aufs Spiel.«

      Sir Giles schüttelte den Kopf.

      »Das nenne ich aber eine weit hergeholte Erklärung, Dennis. Wenn das, was Sie sagen, wahr ist, warum wandte sich denn der Schreiber dieser anonymen Briefe nicht geradenwegs an Arthur, anstatt an mich?«

      »Ich habe soeben meine Ansicht darüber geäußert, Sir, daß nämlich der Schreiber des Briefes Herrn Arthur kennt.«

      »Ja, das haben Sie. Aber was besagt das?«

      Dennis erklärte seine Worte.

      »Jeder, der mit Herrn Arthur bekannt ist, weiß, daß der junge Mann neben allen möglichen guten Eigenschaften starrköpfig und tollkühn ist. Wenn ein Freund ihm sagen würde, er befände sich auf seinem Pachthof in Gefahr, das würde an sich genügen, ihn dort, wo er sich befindet, festzuhalten und der Gefahr Trotz zu bieten. Sie dagegen, Sir, sind bekannt als vorsichtig, bedachtsam und besonnen.« Er hätte hinzusetzen können: feig und eigensinnig, engherzig und von maßlosem Eigendünkel besessen; aber der Respekt vor seinem Chef hatte seine Beobachtungsgabe schon seit einer langen Reihe von Jahren in dieser Hinsicht getrübt. Wenn manche mit einem Löwenherzen geboren sind, so hat die Natur anderen den Mut eines Esels verliehen. Dennis' Herz gehörte zu den anderen.

      »Sehr hübsch gegeben,« entgegnete Sir Giles befriedigt. »Die Zeit wird lehren, ob man wegen einer so durchaus unbedeutenden Person, wie mein Neffe Arthur ist, sich einen Mord auf das Gewissen ladet. Die Anspielung auf ihn ist eine einfache Zweideutigkeit, welche nur bezwecken soll, daß ich weniger auf meiner Hut bin. Meine Stellung, mein Geld, mein Einfluß in der Gesellschaft machen mich zu einer öffentlichen Persönlichkeit. Gehen Sie jetzt gleich auf das Polizeiamt, und bringen Sie den ersten besten Beamten, den Sie dort im Dienst treffen, mit hierher.«

      Der gute Dennis Howmore näherte sich nur sehr widerwillig der Thüre. Bevor er jedoch das Ende des Zimmers, an dem sich der Ausgang befand, erreicht hatte, wurde die Thür von außen geöffnet. Einer der Markthelfer der Bank meldete einen Besuch.

      »Miß Henley, Sir, wünscht zu wissen, ob Sie zu sprechen sind.«

      Sir Giles blickte angenehm überrascht auf. Lebhaft erhob er sich, um die Dame zu empfangen.

      Drittes Kapitel.

      Wenn Iris Henley einmal stirbt, so wird sie aller Wahrscheinlichkeit nach Freunde hinterlassen, welche ihrer gedenken und über sie sprechen, und bei diesem Gespräch mögen zufällig Fremde anwesend sein (in den meisten Fällen natürlich Frauen), deren Neugierde sie Fragen stellen läßt, die sich auf die äußere Erscheinung und den Charakter der Verstorbenen beziehen. Keine Antworten werden jedoch den Fragenden eine wahrheitsgetreue Beschreibung geben. Miß Henleys hauptsächlichster Vorzug bestand in einer wunderbaren Beweglichkeit des Ausdrucks, welche jeden Wechsel in ihrem Denken und Fühlen widerspiegelte, besonders für zarte und empfindliche Frauennaturen. Wahrscheinlich aus diesem Grunde wird auch keine Schilderung ihrer Persönlichkeit mit der andern übereinstimmen. Keine Vergleiche werden eine richtige Anschauung von ihr geben. Das einzige Bild, welches von Iris gemalt worden ist, wird nur von parteiischen Freunden des Künstlers als getroffen bezeichnet. In und außerhalb Londons wurden photographische Aufnahmen von ihr gemacht. Sie haben die Ehre, in dieser einen Hinsicht den Porträts von Shakespeare zu gleichen – neben einander gesehen ist es nicht möglich, zu entdecken, daß sie ein und dieselbe Person darstellen. Was das Zeugnis anbetrifft, das das liebende Gedächtnis ihrer Freunde gibt, so ist es sicherlich in letztem Grunde auch widersprechend. Sie hat ein angenehmes Gesicht, ein gewöhnliches Gesicht, ein kluges Gesicht – eine häßliche Gesichtsfarbe, eine zarte Gesichtsfarbe, überhaupt gar keine Farbe – Augen, die eine heftige Gemütsart, einen glänzenden Geist, einen festen Charakter, einen leidenschaftlichen Sinn, eine ehrliche Natur,