nach England zu Cromwell. Das war auch kein sehr erfreulicher Auftrag, aber ich tat mein Bestes und wurde daraufhin zum Kapitän ernannt.«
»Darin irren Sie wohl,« unterbrach ihn der König.
»Nein, Majestät, ich irre nie,« fuhr der Offizier fort, »Mazarin selbst hat mir das Patent ausgestellt, aber Sie wissen ja auch schon, Mazarin gibt selten, und wenn er mal gegeben hat, nimmt er oftmals das Gegebene wieder zurück. So geschah es auch mir, er hat mir das Patent wieder abgenommen. Man hatte mir einmal versprochen, mich an Herrn Trévilles Stelle zu setzen, und wenn ich dessen vielleicht auch nicht würdig war, was man versprochen hatte, mußte man auch halten.« – »Ich bin ein Freund der Gerechtigkeit,« antwortete Ludwig, »Ihre Reklamation gefällt mir. Ich werde mich erkundigen, und man wird Ihnen Rechenschaft geben.« – »Majestät mißverstehen mich,« antwortete der Recke, »jetzt will ich nicht mehr reklamieren.« – »Das ist übertriebene Empfindlichkeit, Mann!« rief der König. »Ich werde mich Ihrer Sache annehmen, und später –«
»O, Majestät!« versetzte der Graukopf bitter, »von diesem Worte »später« lebe ich nun schon 30 Jahre lang, und manche hohe Person hat mich bereits damit vertröstet. Später! Mit diesem Troste bin ich alt und grau geworden, ohne je einen Beschützer zu finden – und doch habe ich so viele Menschen beschützt. Nein, Majestät, ich sehne mich nach Ruhe. Die wird man mir doch gewähren können.« – »Diese Sprache hätte ich von Ihnen nicht erwartet,« unterbrach ihn der König. »Wenn ich sage: »später«, so heißt das soviel wie: »Ganz gewiß.« – »Majestät haben mir selbst befohlen, ohne Umschweife zu sprechen,« versetzte der Haudegen. »Ich bin kein Freund vom vielen Reden, aber wenn ich mal rede, dann sage ich auch alles, was ich auf dem Herzen habe. Majestät, die Zeit, in der ich lebe, gefällt mir nicht. Die Jugend ist zaghaft und arm, während sie reich und mächtig sein sollte. Gestern abend ließ ich den König von England hier ein, dessen Vater ich beinahe das Leben gerettet hätte, wenn nicht Cromwell mir in den Weg getreten wäre. Ich ließ ihn zu seinem königlichen Bruder, dem König von Frankreich, und – ach, Sire, das Herz blutet mir! – der König von Frankreich läßt es geschehen, daß sein Minister den Geächteten verstößt. Ach, und mein junger, kühner Monarch, dem ein so feuriges, mutiges Herz im Busen wohnt, demütigt sich vor diesem Pfaffen, der das Gold Frankreichs in seinen Truhen aufhäuft. Ja, ich verstehe den Blick, den Eure Majestät auf mich werfen. Ich treibe meine Kühnheit bis zur Vermessenheit; ich sage Ihnen Dinge ins Gesicht, die vor mir noch kein Mensch einem König ungestraft sagen durfte. Aber ich bin ein alter Krieger und schütte hier vor Ihnen die seit dreißig Jahren angehäufte Galle aus, so wie ich mein Blut bis auf den letzten Tropfen für Sie vergießen würde.« Er schwieg und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Nach kurzem Schweigen antwortete der König: »Leutnant, andere mögen vergeßlich gewesen sein, ich bin es nicht. Ich will es Ihnen beweisen. Ich erinnere mich eines Tages, an dem eine empörte Menschenmenge gleich einem brandenden Meer in den königlichen Palast eindrang. Ich tat, als schliefe ich, und ein einzelner Mann stand mit gezücktem Degen vor meinem Bett und beschützte mich, indem er sein eigenes Leben für mich aufs Spiel setzte, wie er es schon manches Mal für mein Haus getan hatte. Damals fragte ich diesen Edelmann nach seinen Namen. Er hieß d'Artagnan.« – »Majestät haben ein gutes Gedächtnis,« antwortete der Offizier kalt. – »Sie sehen also, ich erinnere mich dieser Begebenheiten aus meiner Kindheit,« fuhr der König fort, »Meinen Sie auch nun noch nichts von der Zukunft hoffen zu sollen? Wollen Sie nicht in einem Punkte meinem Beispiel folgen?« – »In welchem, Majestät?« – »Indem Sie warten, wie ich warten muß.« – »Sire, Sie können warten, Sie sind jung, aber ich habe keine Zeit mehr dazu. Das Greisenalter steht vor meiner Tür, der Tod guckt schon in mein Haus hinein.«
»Sie halten also Ihr Abschiedsgesuch aufrecht?« fragte Ludwig, erregt auf und nieder schreitend. – »Ich lege es Eurer Majestät untertänigst zu Füßen.« – »Gut. Sie sind verabschiedet. Ich werde Ihnen das Ruhegehalt anweisen lassen.« – »Ich bin Eurer Majestät dankbar dafür.« – »Herr Leutnant,« sagte der König, »ich glaube, Sie verlieren einen guten Herrn. Ob Sie je wieder einen solchen finden werden?« – »Gewiß nicht, Majestät. Auch werde ich bei keinem König der Erde mehr Dienst nehmen.« – »Ist das Ihr Ernst? Ich werde Sie beim Wort halten, und Sie wissen, ich habe ein gutes Gedächtnis.« – »Ich weiß, Sire, und dennoch wünschte ich, das Gedächtnis ließe Eure Majestät in dieser Stunde im Stich; denn ich habe vor Ihnen Erbärmlichkeiten auskramen müssen, die des Erinnerns nicht wert sind. Doch Eure Majestät sind ja über alles Armselige und Geringe weit erhaben und werden es bald vergessen haben.«
»Meine Majestät,« antwortete der junge König mit Würde, »wird es machen wie die Sonne: Groß und klein sehen, und den einen Glanz, den andern Wärme, allen aber Leben spenden. Leben Sie wohl, d'Artagnan!« – Ludwig XIV. wendete sich rasch ab und trat ins Nebenzimmer. D'Artagnan stülpte den Hut auf den Kopf und stampfte hinaus.
Wenige Minuten später trat ein Bote des Königs beim Kardinal Mazarin ein und überreichte diesem einen Brief Seiner Majestät. Die Eminenz öffnete das Schreiben mit einem hoffnungsvollen Lächeln. Mazarin wußte um den Morgenausflug Ludwigs und glaubte nun nichts anderes, als daß sein erhabener Zögling in ihn dringen würde, ihm trotz allem noch die Hand Marias zu gewähren. Beim Lesen aber verfärbte sich Mazarins Gesicht; er sah sich in seiner Rechnung getäuscht.
»Eminenz!« lautete das Schreiben, »ich danke es Ihrem Rat und Ihrer Konsequenz, daß ich nun glücklich eine Schwäche überwunden habe, die mich fast verleitet hätte, etwas zu tun, was eines Königs unwürdig gewesen wäre. Sie haben meinen Herrscherweg so fürsorglich geebnet, daß ich nicht daran denken darf, Ihr Werk durch eine voreilige Handlung zu zerstören. Das würde undankbar sein. Ein Mißverständnis zwischen mir und meinem Minister würde überdies für Frankreich nachteilige Folgen haben und auch meiner Familie Schaden bringen. Und zu einem solchen Mißverständnis wäre es gekommen, wenn ich Ihre Nichte geheiratet hätte. Ich werde mich daher nicht länger gegen die Verbindung sträuben, die man für mich plant, und bin bereit, die Infantin Maria-Theresia zu nehmen. Tun Sie die nötigen Schritte. Ihr wohlgeneigter Ludwig.«
Ebenfalls wenige Minuten später wurde der Befehl zur Abreise von Blois gegeben, und Prinz von Condé setzte als nächsten Ruheplatz die Stadt Poitiers an. Auf diese Weise spielte sich binnen einer kurzen Stunde eine Intrige ab, mit der sich fast alle Diplomaten Europas beschäftigt hatten. Ihre einzige greifbare Folge war jedoch, daß ein armer Musketier-Leutnant um seine Stelle und um seinen Verdienst gekommen war. Aber er gewann dafür wenigstens die Freiheit.
5. Kapitel Athos
An demselben Morgen, an dem Ludwig von dem Abschied von Maria zurückkehrte, ritt Karl II., der unglückliche Verbannte, der König ohne Land und ohne Geld, auf der Landstraße dahin. Sein treuer Parry bildete sein ganzes Gefolge. Eine halbe Meile etwa waren sie von Blois entfernt, da begegnete ihnen ein Reiter, der an ihnen vorübersprengte, aber trotz der Eile, in der er sich befand, grüßend den Hut zog. Der König, in düstere Gedanken versunken, hätte diesen Mann, einen Jüngling von etwa 25 Jahren, gewiß nicht bemerkt, wenn er ihm nicht dadurch aufgefallen wäre, daß er sich wiederholt umsah und mit dem Hut winkte. Nun erkannte der König auch, daß der Gruß gar nicht ihm gegolten hatte, sondern dem alten Manne, der vor einem Gitter stand und die Winke des jugendlichen Reiters erwiderte. Karl II. wollte weiterreiten, als Parry nach einem Blick auf diesen alten Mann einen Schrei der Ueberraschung ausstieß. Im selben Augenblick war dieser Greis auch auf die beiden fremden Reiter aufmerksam geworden, sah von dem älteren zum jüngeren hin, stieß ebenfalls einen Schrei aus, faltete die Hände und verneigte sich mit allen Zeichen tiefster Ehrerbietung.
»Mein Gott, Parry!« stammelte der König, »dieser Alte scheint mich zu kennen. Wer kann das sein?« – »Sire,« antwortete Parry, »so ist es auch. Gestatten Eure Majestät, daß ich ihn anspreche! Grimaud, sind Sie es wirklich?« rief er und trieb sein Pferd dicht vor das Tor. – »Ich bin es,« antwortete der Greis, sich aufrichtend. – »Sire« rief Parry, »ich hatte richtig gesehen. Dies ist der Diener des Grafen de la Fère, des würdigen Kavaliers, der dem Gedächtnis Eurer Majestät so teuer sein muß.« – »War das nicht der Mann, der meinem Vater in seinen letzten Augenblicken