Jules Verne

Zehn Jahre später


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– worin bestand er?« – »Darin, daß ein Franzose es unternahm, das einzige Hindernis, das sich dem vertriebenen König auf seinem Wege zum Throne entgegenstellte, wegzuräumen. Dieses Hindernis war die Person des Generals Monk.« – »Oho!« rief Mazarin. »Ein Kapitalverbrechen? Dann kann dieser geniale Franzose noch an den Galgen kommen.« – »Eminenz raten falsch,« entgegnete Athos trocken. »Es wurde kein Mord verübt, sondern Monk wurde einfach gefangengenommen.« – Der König fuhr auf, der Bruder Seiner Majestät klatschte in die Hände. – »Gefangengenommen?« rief Ludwig. »Aber der General war doch in seinem Lager, bei seinem Heer.« – »Ja, Sire, der Edelmann aber war allein. Nur zehn Mann hatte er bei sich.« – »Das ist großartig!« rief Philipp von Anjou in jugendlicher Begeisterung. – »Das grenzt ans Wunderbare,« setzte der schon etwas besonnenere Ludwig hinzu. – Beide hatten sich Athos genähert und standen nun neben ihm. »Weiter! weiter!« rief Philipp ungestüm. – »Der Edelmann raubte den General mitten aus seinem Lager, schleppte ihn nach Haag und stellte ihn dort dem König zur Verfügung. Der König schenkte dem General die Freiheit, und der General setzte aus Dankbarkeit für diese Großmut den König auf den Thron.«

      Philipp von Anjou klatschte abermals in die Hände. Unter den Herren wurde ein Murmeln des Erstaunens laut. Mazarin allein bewahrte ein eisiges Schweigen.

      »Können Sie für die Wahrheit Ihrer Angaben einstehen?« fragte der König den Grafen de la Fère. – »Ich war Augenzeuge.« – »Und der Edelmann, der die Million ausgrub, ist einer meiner Kavaliere? Wie heißt er?« – »Es ist Eurer Majestät gehorsamer Diener,« antwortete Athos, sich verneigend. – »Graf!« rief der König. »Sie haben meinem Vetter zum Thron verholfen, ich werde Sie zu belohnen suchen.« – »Ja, das ist ein Triumph, der das Haus Frankreich mit Freude erfüllt,« ließ sich Anna von Oesterreich vernehmen. – »Und wie heißt der Mann, der ganz allein mit nur zehn Mann den General Monk aus einem nach Tausenden zählenden Heer entführte?« – »Chevalier d'Artagnan, Musketier-Leutnant außer Dienst.«

      Anna von Oesterreich errötete, Mazarin sah beschämt drein, Ludwig XIV. war verstimmt, ein Schweißtropfen rann von seiner Stirn. – »Das sind Männer!« sagte er leise, mit einem Blick auf Mazarin.

      »Zur Sache nun!« rief der Minister. »Herr Graf, bringen Sie Ihr Anliegen vor!« – Athos bot im Namen des Königs die Hand der Lady Henriette Stuart dem Prinzen Philipp von Anjou an. Die Beratung währte eine Stunde, dann wurden die Türen geöffnet, und die Höflinge hatten wieder Zutritt. Sie nahmen ihre Plätze wieder ein, als ob keine Unterbrechung eingetreten wäre. Nun traf auch Athos mit Rudolf zusammen, Vater und Sohn konnten sich die Hand drücken. – Sie hatten nur wenige Worte gewechselt, als Prinz von Condé zu ihnen trat und um die Ehre ersuchte, dem Grafen de la Fère vorgestellt zu werden. – »Schade, daß Sie nicht mehr dienen, Herr Graf,« sprach der Prinz, eine hohe, edle Erscheinung mit stark ausgeprägter Adlernase und hervorstehenden Augen. »Der König wird auf einen Krieg mit England oder Holland rechnen müssen, und da tun Leute not wie Sie.« – »Ich glaube vielmehr, Königliche Hoheit,« antwortete Athos, »zwischen Frankreich und Großbritannien wird brüderliche Eintracht herrschen. Sehen Sie nur, was an dem Tische des Kardinals vor sich geht.«

      Die Herren hatten weitergespielt, und Mazarin hatte in kurzer Zeit den vor der Unterbrechung durch Athos begonnenen Gewinst bedeutend vermehrt. Jetzt winkte er den Bruder des Königs zu sich heran, und indem er ihm den ganzen Haufen Goldmünzen zuschob, die auf seinem Tische lagen, sagte er: »Das alles schenke ich Ihnen, Hoheit.« – »Was?« rief Philipp von Anjou in ungekünsteltem Erstaunen. »Soviel Geld habe ich noch nie gehabt.« – »Ich habe zu Ihrem Besten gespielt,« antwortete Mazarin. »Es sind 50 000 Taler.« – »Mein Gott!« rief der Prinz, »ist das ein Glückstag!« Und alsbald griff er in das Gold hinein und stopfte sich die Taschen voll. Da diese den ganzen Reichtum nicht zu fassen vermochten, rief er den Chevalier von Lorraine herbei. »Hilf mir's wegschaffen,« sagte er, »denke nur, das alles schenkt mir der Kardinal.« – »Der Kardinal?« rief der Chevalier. »Das muß kurz vor seinem Ende sein.«

      Der Auftritt erregte allgemeines Aufsehen. – »Es ist wohl das erstemal, daß die Eminenz etwas verschenkt,« sagte Condé gelassen. »Da muß er sehr krank sein.« – »Hören Sie, was der Prinz zu seinem Freunde sagt,« flüsterte Athos, denn die beiden gingen in diesem Augenblick, um das Geld fortzutragen, an ihnen vorüber. – »Es soll wohl mein Hochzeitsgeschenk sein,« sagte Philipp von Anjou. – »Was?« versetzte Lorraine. »Sie wollen heiraten? Machen Sie doch nicht solche Dummheiten.« – »O, ich mache sie auch nicht,« antwortete der Prinz. »Die andern machen sie für mich.« – Damit gingen sie.

      »Aha!« sagte Condé. »Er soll die Schwester Karls II. heiraten.« – »Ich glaube, ja,« antwortete Athos. – »Dann allerdings können wir die Schwerter für ein Weilchen an den Nagel hängen,« sagte Condé mit einem Seufzer, in dem sich hochstrebender Ehrgeiz, getäuschte Erwartungen, zerstörte Hoffnungen ausdrückten. Darauf verabschiedete sich Condé, und auch der König ging. Athos erinnerte Rudolf mit einem Wink an die Einladung, die er ihm bereits ausgesprochen hatte. Das Zimmer wurde leer – Mazarin war allein. – »Bernouin, Bernouin!« rief er mit brechender Stimme. »Laß Guénaud kommen. Ich glaube, es geht mit mir zu Ende.« Bernouin eilte ins Kabinett, und wenige Minuten später sprengte ein Eilkurier mit verhängten Zügeln von dannen.

      Guénaud fand den Zustand der Eminenz sehr bedenklich. Die Beine waren geschwollen, die Farbe bläulich; ein heftiger Anfall von Gicht hatte den Kranken sehr geschwächt. Der Arzt begleitete seine Untersuchung mit manchem Kopfschütteln und verhehlte dem hohen Patienten den Ernst der Lage nicht. Mazarin brach vollends zusammen. – »Ist meine Krankheit etwa tödlich?« stieß er hervor. – Der Arzt zuckte die Achseln. »Meine Kunst ist zu Ende, Eminenz,« seufzte er. »Seit ich Sie behandle, habe ich die berühmtesten Mediziner mit zu Rate gezogen. Als sie alle mir nichts mehr zu sagen wußten, habe ich mich an die Quacksalber, an die Heilkünstler gewandt. Auch damit sind wir nun fertig. Eminenz, es gibt keine Hilfe mehr.« – Mazarin keuchte. »Und wann muß ich sterben?« lallte er. – »Eminenz, das sagt man nie,« antwortete der Arzt. – »Mir können Sie es sagen, ich befehle es Ihnen!« rief der Kardinal mit erlöschender Kraft. – »Nicht wir Menschen schenken die Gnadentage, sondern Gott. Und Gott gewährt Ihnen noch vierzehn Tage,« war die Antwort des Mediziners.

      Mazarin seufzte tief auf und sank in die Kissen zurück. »Ich danke Ihnen, Guénaud,« murmelte er. Der Arzt verneigte sich und wollte gehen. Der Kranke fuhr empor. »Hören Sie!« rief er mit funkelnden Augen. »Kein Wort davon!« – »Eminenz,« erwiderte Guénaud, »ich weiß es schon seit zwei Monaten und habe geschwiegen.« – »Gehen Sie. Ich werde Ihre Zukunft sicherstellen. Und sagen Sie meinem Sekretär, er soll mir Colbert schicken.«

      2. Kapitel. Mazarins Nachfolger

      Colbert war schon den ganzen Tag im Palast gewesen und hatte sich an Bernouin, den Kammerdiener, und Brienne, den Sekretär, herangemacht, um allerlei Neuigkeiten zu erfahren. Colbert, der als Nachfolger Mazarins der größte Staatsmann und Organisator seiner Zeit werden sollte, war damals von mittlerer Größe und hager. Seine Augen lagen tief, sein Gesicht fiel durch keine außergewöhnlichen Züge auf, sein Haar war dünn und struppig. Er war dreizehn Jahre älter als Ludwig XIV., sein künftiger Herr. Sein Blick war ernst, sein Wesen ein wenig steif, was von Leuten, die ihn nicht kannten, für Blasiertheit gehalten wurde. Nachdem Mazarin auf Colberts Talent aufmerksam gemacht worden war, arbeitete dieser unermüdlich selbst an seiner Karriere weiter. Er war der Sohn eines Kaufmanns, aber das Kontor seines Vaters hatte er bald mit der Schreibstube eines Staatsanwalts vertauscht, wo er seine Kenntnisse erweiterte und zu der schätzbaren Kunst, Berechnungen anzustellen, die unschätzbare Kunst, sie zu verwirren, hinzulernte. Das Glück verschaffte ihm bald darauf eine Stelle bei dem Staatssekretär Michel Letellier, und dieser Posten war das Sprungbrett, von dem aus er sich mit einem kühnen Satze in die Nähe Mazarins schwang.

      Man erzählt sich darüber die folgende Anekdote. ES war um die Zeit der Fronde, und Mazarins Stellung war sehr gefährdet. Anna von Oesterreich schien willens, ihn fallen zu lassen. Sie hatte an Letellier einen Brief geschrieben, der für Mazarin ungemein kompromittierend und für Letellier natürlich ungemein wertvoll war. Aber