Jules Verne

Zehn Jahre später


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Buckingham schritt ihnen entgegen, und an ihn richtete der alte Diener das Wort. »Wollen Eure Herrlichkeit dem Wunsche des Königs gemäß diesen Herrn der Lady Henriette Stuart vorstellen?« – »Wen habe ich vorzustellen?« fragte der junge Lord in hochfahrendem Tone. – D'Artagnan, leicht erregbar, wie er war, nahm an diesem Ton Anstoß. Mit flammensprühenden Augen sah er den Höfling an. »Den Chevalier d'Artagnan,« antwortete er kurz. – »Ist das alles?« versetzte der Engländer. – »Sie kennen mich nicht?« fragte der Franzose. »Nun, ich habe Ihren Vater sehr gut gekannt.« – Der junge Lord schwieg betroffen, dann sagte er: »Ach, ich glaube mich zu erinnern. Sie sind einer der Franzosen, die mit meinem Vater in geheimer Verbindung standen, nicht wahr? Sie sind es, der meinen Vater kurz vor seinem Tode warnte, und den er so lange vergebens gesucht hat, obwohl Sie doch so viel von uns zu erwarten hatten.« – »O, das Erwarten habe ich in meinem Leben gründlich gelernt, Mylord,« antwortete der Chevalier spöttisch, »ich habe gar vieles erwartet, das nie eingetroffen ist. Doch ich bitte, mich der Prinzessin vorzustellen – sie wundert sich über unser langes Zwiegespräch.«

      Buckingham führte ihn zu Lady Henriette. »Majestät haben befohlen, Sie mit dem Chevalier d'Artagnan bekannt zu machen.« – »Damit Königliche Hoheit im Fall der Not einen zuverlässigen Freund und eine feste Stütze haben,« setzte Parry hinzu. »Majestät wünschen, Sie möchten sich nicht nur des Namens, sondern auch der Verdienste dieses Herrn erinnern; Majestät verdanken ihm den Thron.« – Lord Buckingham, Lord Rochester und die Prinzessin sahen sich erstaunt an. – Buckingham half über das peinliche Schweigen hinweg. – »Auch ein alter Bekannter meines Vaters,« sagte er, »und ich hoffe, er wird sich auch mir, dem Sohne, wenn ich einmal nach Frankreich komme, gewogen zeigen.« – »Und nach Frankreich werden Sie kommen, ich stehe Ihnen dafür.« sagte D'Artagnan lächelnd. – »Wieso?« – »O, ich besitze in solchen Dingen eine gewisse Sehergabe, und was ich prophezeie, trifft fast immer ein. Wenn Sie in Frankreich sind, werde ich es mir zur Ehre anrechnen, Ihnen meine Dienste anbieten zu dürfen. Mylady,« wendete er sich zur Prinzessin, »Sie sind eine Tochter Frankreichs, und ich hoffe, auch Eure Hoheit in Paris wiederzusehen. Es soll mich glücklich machen, dann mit einem Auftrag beehrt zu sein, der mir beweist, daß Seine Majestät mich nicht umsonst seiner erlauchten Schwester empfohlen hat.« – Er verneigte sich vor der schönen Prinzessin, die ihm die Hand zum Kusse reichte. – Buckingham seufzte, als er dies sah. – »O, Mylady,« sagte er, »was muß ich tun, um von Eurer Hoheit die gleiche Gunst zu erlangen?« – »Fragen Sie Chevalier d'Artagnan,« antwortete sie. »Er wird es Ihnen sagen können.«

      Als d'Artagnan an diesem Tage heimkehrte, machten ihm die Worte, die der König über den General Monk gesprochen hatte, viel zu schaffen. Wenn Monk wirklich nach Rache trachtete, was ja bei der Unberechenbarkeit dieses Charakters immer möglich war, so würde gewiß Karl II. nicht zaudern, den ihm verhältnismäßig fernstehenden Chevalier dem Zorn seines ersten Staatsmannes zum Opfer fallen zu lassen, und nichts zur Rettung des Franzosen oder gar zur Sühne seines Mordes unternehmen. Monk konnte ganz ungestraft den Mann beseitigen, der ihn wie einen Hering in eine Kiste gepackt hatte, das wußte d'Artagnan recht wohl. – »Ich muß mich mit ihm aussöhnen,« dachte er, »und mich davon überzeugen, ob er sich über das Geschehene schon völlig hinweggesetzt hat.«

      Er begab sich sogleich in Monks Wohnung und traf ihn in seinem Arbeitszimmer. – »Mylord,« begann er das Gespräch, »ich möchte Sie um einen guten Rat bitten.«

      »Lassen Sie hören, Chevalier,« antwortete Monk. – »Seine Majestät der König beliebt manchmal zu scherzen, und Sie wissen, Kriegsleute wie wir können das in gewissen Fällen schlecht vertragen.« – Monk erriet, worauf sich diese Worte bezogen. Eine leichte Röte seiner Wangen verriet dies. Er antwortete jedoch so unbefangen wie möglich: »Ich selbst bin ein Freund der Scherze. Mir hat es seinerzeit sogar Spaß gemacht, die Spottlieder anzuhören, die in Lamberts Lager auf mich gesungen wurden.« – »Ich weiß, Mylord, Sie sind über Kleinlichkeiten erhaben, aber mich berühren Scherze, die sich gegen meine Freunde richten, doch immer schmerzlich. In diesem Falle handelte es sich um Sie, Mylord. Wie kann der König über Sie, der Sie ihm so große Dienste leisten, solche Scherze machen? Wie kann es ihm Vergnügen bereiten, einen Löwen wie Sie mit einer Mücke, wie ich bin, zu ärgern. Wenn nun auch andere von diesem Geheimnis erführen –«

      »Von der Geschichte meiner Gefangennahme,« rief Monk. »Das war gut gemacht und damit basta! Sie sind ein Kriegsmann und haben bewiesen, daß Sie ebensoviel Schlauheit wie Tapferkeit besitzen. Es war meine Sache, auf der Hut zu sein – weiter ist darüber nichts zu sagen.« – »Sehr wohl, Mylord,« antwortete d'Artagnan; »wenn es nur nicht gerade eine Kiste gewesen wäre, mit Luftlöchern für Nase und Mund. Wahrlich, Mylord, wenn der König redete, es wäre furchtbar. In eine Kiste gesperrt zu werden, das ist keine Sache für einen Mann, der mit Krone und Szepter spielt wie ein Zigeuner mit bunten Kugeln. Sie begreifen, Ihre Feinde würden sich weidlich daran ergötzen.« – »Beruhigen Sie sich,« versetzte Monk, sichtlich aus der Fassung gebracht, »der König wird nicht darüber sprechen und keinen Scherz mit meiner Person treiben, ich bürge Ihnen dafür. Auch hat er ein zu gutes Herz, um so zu handeln. In Ihre Verschwiegenheit, Chevalier, setze ich fast noch weniger Zweifel.«

      »Was meine Person anbetrifft, Mylord, so können Sie ruhig sein, aber leider war ich bei dem Unternehmen nicht allein,« sagte d'Artagnan, »und meine Begleiter wußten auch, wen ich gefangen hatte. Ich fürchte nun, daß sie in meiner Abwesenheit – ja, wenn ich selbst dort wäre, so könnte ich dafür sorgen, daß – kurz und gut, Mylord, wäre es nicht geraten, daß ich so bald wie möglich zurückkehrte?« – »Gewiß, wenn Sie meinen, daß Sie persönlich diese Schnapphähne im Zaume halten können. Gehen Sie nach Frankreich zurück, Chevalier, und da Sie ein liebenswürdiger Kavalier von Geist und Mut sind, so nehmen Sie von mir ein Andenken an, durch das England Ihnen ans Herz wachsen soll, durch das Sie sich bewogen fühlen sollen, bald einmal wiederzukommen. Ich besitze am Clyde-Flusse ein kleines Landhaus mit hundert Morgen Landes. Nehmen Sie es zum Geschenk an.« – »O Mylord –« – »Sie werden dann dort eine Ihnen allzeit offene Zufluchtsstätte haben –« – »Ich sollte Eurer Herrlichkeit so sehr verpflichtet sein, Sie beschämen mich, Mylord.« – »Im Gegenteil, Chevalier,« antwortete Monk, »ich bin Ihnen großen Dank schuldig. Ich setze sogleich die Schenkungsurkunde auf,« und er drückte ihm die Hand und verließ mit ihm das Zimmer.

      »Ein wackrer Mann!« murmelte d'Artagnan. »Nur schade, daß er das nur aus Furcht vor mir, nicht aus wahrer Zuneigung tut. Nun, die Zuneigung werde ich mir auch noch erwerben. Doch wozu?« beruhigte er sich, »er ist ja ein Engländer! –Da wäre ich denn nun Grundbesitzer,« setzte er sein Selbstgespräch fort. »Das ist ein Gewinst, den ich nicht mit Planchet, dem Krämer, zu teilen habe. Das hat mir ganz allein mein Genie eingebracht.« – Er kehrte zu Athos zurück, und beide Freunde speisten in guter Laune zusammen. Noch am Abend traf vom König die Erlaubnis zur Abreise ein, und gleichzeitig schickte Monk dem Chevalier die Schenkungsurkunde, die der vorsichtige und großmütige Mann in der Form einer Verkaufsakte, mit einer Quittung über gezahlte 15 000 Livres, abgefaßt hatte. Athos erhielt mehrere Dokumente, die den geheimen Auftrag betrafen, welchen König Karl II. ihm erteilt hatte. – »Ich darf also nicht wissen, was Sie da erhalten haben, Athos?« fragte d'Artagnan. »Es gab eine Zeit, wo Sie derlei Papiere offen auf den Tisch gelegt und zu mir gesagt hätten: d'Artagnan, lesen Sie das Geschreibsel Porthos und Aramis vor.« – »Das stimmt, Freund,« antwortete Athos, »aber das war die Zeit des jugendlichen Vertrauens. Hier liegt die Sache ein wenig anders, und ich kann, ich darf nicht –« – »O, beruhigen Sie sich,« lachte d'Artagnan, »mir sind von jetzt ab auch alle geheimen Sendungen der Welt höchst gleichgültig.« – – – –

      Karl II., der in Kleinigkeiten stets einen sehr feinen Takt bewies, ließ sie am Themsestrand durch ein mit Gardematrosen besetztes Jachtboot erwarten, das Befehl hatte, sie an Bord des Kriegsschiffes zu bringen. Um Mitternacht stach das Schiff in See, und um acht Uhr früh waren Athos und sein Gefährte in Boulogne. Der Graf mietete Postpferde, um nach Paris zu fahren. d'Artagnan eilte in die Fischerkneipe, wo er seine Spießgesellen zu finden gedachte. In der Tat hatten diese das Warten auch noch nicht aufgegeben und begrüßten ihren Anführer mit allgemeinem Jubel. Er zahlte ihnen den Rest des versprochenen Soldes. »Und nun noch eins,« sprach er, während die Männer vergnügt die Taler einsteckten.