Shino Tenshi

Verhasst


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ich hatte mich wohl geirrt.

      Als ich zu meinen Platz gehen wollte, versuchte man mir ein Bein zu stellen, aber ich konnte mich an einem Tisch abfangen und so verhindern, dass ich fiel. Dennoch lachte die ganze Klasse über mich. Zumindest die männliche Partei. Die Mädchen hielten sich aus der Streiterei heraus, weshalb ich froh war, dass ich mich an dem Tisch einer Klassenkameradin festgehalten hatte, sonst wäre wahrscheinlich noch mehr passiert.

      Man bewarf mich mit Stiften und Papierkugeln. „Hast du nicht gehört? Du sollst dich verpissen! Niemand will eine Schwuchtel wie dich hier haben!“

      Es war mir egal, wer das rief. Ich wünschte mir, dass sie einfach nur damit aufhörten, doch es geschah nicht, denn selbst als ich an meinem Platz angekommen war, bewarf man mich weiter mit den unterschiedlichsten Sachen.

      Ich wollte mich gerade schützend auf dem Tisch zusammenrollen, als man plötzlich an meinem Stuhl zog und so beinahe einen Sturz verursachte, doch ich konnte mich in letzter Sekunde noch festhalten.

      Nichtsdestotrotz ging meine Sitzgelegenheit scheppernd zu Boden und als ich mich gerade bückte, um diese aufzuheben, griff man nach meinem Federmäppchen, um es hin und her zu werfen, bis es sein Ziel im Mülleimer gefunden hatte.

      „Da gehörst du auch hin“, knurrte man mich an, als ich es mir zurückholte, wobei ich kurz seufzte. Ich hatte damit gerechnet, dass es schlimm werden würde, doch nicht mit so viel Hass.

      Als ich wieder an meinem Platz ankam, betrat endlich der Lehrer den Raum, wobei er die Atmosphäre durchaus wahrzunehmen schien, jedoch begann er nach einem kurzen, skeptischen Blick kommentarlos mit seinem Unterricht.

      Ich hätte es ihm sagen können, aber ich wollte nicht noch mehr Schwäche zeigen. Irgendwie würde ich das Ganze schon überleben. Sie würden sich ja hoffentlich irgendwann damit abfinden und selbst einsehen, wie sinnlos ihre ganze Hasstirade war.

      Doch ich hatte mich geirrt. Erneut…

      „Du kannst dich in den Duschen umziehen! Hier will dich keiner haben, perverses Schwein!“ Man nahm mir einfach meinen Sportbeutel weg und schmiss ihn in die besagten Duschen, wobei ich noch einmal den Blick von Robert suchte. Er wich mir aus und tat so, als würde er mich nicht mehr kennen.

      Und das alles nur, weil ich schwul war. Ich wünschte mir langsam, dass es anders wäre, doch ich hatte es mir nicht ausgesucht. Mädchen waren für mich einfach uninteressant. Ich empfand es nicht als antörnend, wenn ich Busen sah oder die wohlgeformte Taille. Nein, ich mochte auch nicht diesen süßlichen Geruch, sondern liebte diesen herben, animalischen Moschusduft. Alles Dinge, die mir in den letzten Jahren aufgefallen waren.

      Ich seufzte und begab mich zu den besagten Duschen, wobei ich mich dann ohne weitere Umschweife umzog. Ignorierte dabei das Gelächter aus dem anderen Raum. Irgendwie wollte ich einfach nur noch diese schreckliche Zeit hinter mich bringen. Aber es würde noch viel zu lange dauern.

      Ob ich einfach die Schule wechseln sollte? Noch einmal von vorne anfangen und dann niemanden das Geheimnis sagen? Ach! Was spielte ich mir vor? Wir waren hier auf dem Land. Jeder kannte jeden und wahrscheinlich würden die Schüler der umliegenden Schulen auch bald herausfinden, wie es um mich stand, also war es auch egal.

      Ich zog mir gerade mein T-Shirt über den Kopf als mich plötzlich eine gewaltige Ladung kaltes Wasser traf. Einpaar Sekunden verstrichen, in denen ich nur das spöttische Lachen der anderen wahrnahm, ehe ich begriff, dass jemand die Dusche aufgedreht hatte, unter der ich stand. Sofort drehte ich sie ab, dennoch war es zu spät und ich stand da wie ein begossener Pudel.

      Mein weißes T-Shirt klebte an meiner Haut und zeigte deutlich die zierliche Brust darunter. Ich war dürr und man erkannte die Rippen, weil sich aufgrund der Kälte alles in mir zurückzog und ich zitternd da stand.

      Verständnislos starrte ich meine Mitschüler an, wobei diese erneut nur laut auflachten und selbst Robert schmunzelte ein wenig. Wie ich ihn dafür hasste. Er könnte wenigstens einen Moment zu mir stehen. Mich nicht so alleine lassen. Aber nein, das ging nicht. Es wollte einfach nicht gehen.

      Ich wrang mein T-Shirt aus und versuchte auch aus der Hose ein wenig des Wassers zu bekommen. Allerdings wollte dies alles nicht so recht funktionieren, während ich weiter fror und bereits schon wieder alleine war.

      Schließlich erklang der Schulgong und ich wusste, dass ich in der Turnhalle erscheinen musste. Was würde der Lehrer dazu sagen? Und vor allem, was würde ich ihm sagen? Konnte ich meine Mitschüler verpetzen? Machte ich dadurch nicht alles nur noch schlimmer?

      Ich seufzte und schritt dann in die besagte Turnhalle, wobei ich einfach hoffte, dass sie mich nun wenigstens den Sport einigermaßen heil überstehen ließen. Die Hoffnung starb ja bekannterweise zuletzt…

      „Wieso bist du so nass?“ Die Stimme des Lehrers drang zu mir durch, wobei ich nur kurz mit den Schultern zuckte. „Ich bin aus Versehen an den Hebel der Dusche gekommen, als ich mich darunter umgezogen habe.“

      „Wieso das?“ Die Skepsis in der Stimme des Erwachsenen nahm weiter zu, weshalb ich einen kurzen Moment überlegte. Mein Blick huschte dabei immer mal wieder zu meinen Mitschülern, doch ihre Haltung zeigte deutlich, was passieren würde, wenn ich jetzt die Wahrheit sagte, wodurch ich kurz trocken schluckte.

      „Ich weiß nicht. Irgendwie ziehe ich mich lieber fern der anderen um“, log ich schließlich und wich dem Blick des Lehrers aus, wobei ich hörte, wie er schwer seufzte und ich spürte, dass ich mich getäuscht hatte. Er glaubte mir nicht, doch er schien auch zu sehen, dass ich nichts anderes von mir geben würde.

      „Gut, so kannst du nicht mitmachen. Jetzt ist eh eure letzte Stunde. Zieh dich um und geh nach Hause, bevor du mir krank wirst.“ Seine Stimme war sanft und ich nickte nur. Sah in den Augen meiner Mitschüler, dass sie doch so viel mehr noch mit mir vorhatten. Tja, diese Chance hatten sie sich selbst genommen.

      Als ich mich abwandte, konnte ich mir ein siegessicheres Lächeln nicht verkneifen. Schließlich hatte ich diese Schlacht doch noch gewonnen. Die Erste in einem langen Krieg. Und ich wusste noch nicht, wer als Gewinner hervorgehen würde.

      Langsam betrat ich wieder die Umkleidekabine und holte mein Zeug. Es war egal, ob ich mich umzog oder nicht, denn auch meine anderen Klamotten waren pitschnass, weswegen ich sie einfach in meine Sporttasche stopfte und den Raum so verließ, wie ich gerade war.

      Zuhause würde meine Mutter auf mich warten und sie würde sich bestimmt fragen, warum ich jetzt schon zurückkam. Ich musste mir eine gute Ausrede einfallen lassen.

      Erneut seufzte ich. Eigentlich hatte ich es Robert gesagt, damit diese Welt aus Lügen endlich verschwand, doch jetzt musste ich weiter die Wahrheit vertuschen. Es wäre nicht unbedingt das Beste, wenn sich die Erwachsenen nun auch einmischten. Nein, wahrscheinlich würde das Alles die Situation nur noch schlimmer machen. Viel, viel schlimmer.

      Ein Seufzer stahl sich über meine Lippen, als ich mein Fahrrad aufschloss und meine Taschen auf dem Gepäckträger befestigte, bevor ich es aus dem Keller schob und schließlich aufsaß.

      Noch einmal sah ich auf das Schulgebäude zurück. Gestern war ich noch beliebt gewesen. Ich hatte mit ihnen gelacht und ihre Nähe genossen. Niemand hatte geahnt, dass ich so war, wie ich nun einmal war: Schwul.

      Jetzt war alles anders. Ich hatte mich dem falschen Menschen anvertraut. Der Mensch, dem ich blind gefolgt wäre, hatte mich in diese Welt gestoßen. Er hatte meine Gutmütigkeit einfach ausgenutzt und so getan als wäre ich der Feind. Hat es allen erzählt, wie ich zu dem männlichen Geschlecht stand und vielleicht noch viel mehr.

      Ich wollte gar nicht wissen, was er gesagt hat oder was sich die Jungs nun dachten. Es würde mich wahrscheinlich nur noch mehr verletzten. Morgen würde ich zurückkommen müssen. Es würde weitergehen. Ich wollte das Alles nicht, aber ich konnte auch nicht mehr lügen. Freiheit. Ich wollte einfach nur frei sein und mich nicht mehr verstecken müssen.

      Die Sonne schien warm auf mich herab und begann meine Kleidung langsam zu trocknen, wodurch ich leicht lächelte und noch einmal zurücksah. Das Schulgebäude erhob sich wie ein riesiges Monster