Juryk Barelhaven

Wrong turn


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sich das Stück vier Ganztonschritte höher, und ihr Gesang wechselte ohne Mühe vom Englischen ins Russische, dann ins Japanische und ins Französische. Die Meute seufzte nickend und ergeben. Max konnte es ihnen nicht verdenken. „Hey“, stupste er den Wirt an. „Wer ist das?“

       „Culdoras“, sagte der Riese und zwinkerte ihm kurz zu. „Roxanne. Vergiss es, Alterchen. Die ist für niemanden zu haben.“

      „Machen wir jetzt weiter, oder was!“ herrschte Hansen ungerührt und zog ihn zur Seite. „Was ist jetzt!?“

      „Jaja“, murmelte Max, setzte sich aber wieder. „Keine Eile.“

      Die Fabrik zitterte vor ekstatischem Applaudieren, als Roxanne Culdoras endete. Culdoras, dachte Max versonnen, das bedeutet Hintertür. Wie backdoor. Wenn das kein Zeichen ist…

      Er lächelte entspannt, als die Sängerin gleich mit dem nächsten Lied begann.

      Sie sang von Sternen, die noch in aller Ewigkeit schienen, von Liebenden die sich niemals entfremdeten und von der Sehnsucht, die manch altes Herz ergriff. Max glaubte ihr jedes Wort.

      Es war der Moment, an dem er sich noch später gern erinnerte: selbst die Kriminellen um ihn herum lauschten den Worten der Sirene, die sie alle in den Untergang führen würde. Er begriff aus einzelnen Gesprächsfetzen, dass sie die Menge führte und den Ton angab – sprichwörtlich. In einen Untergang, in den sich auch selbst Captain Max Snow bald wiederfinden würde.

      Als er sich nach dem dritten Lied kurz umdrehte, war Hansen verschwunden.

      Spiro Hansen näherte sich vorsichtig dem Keller der Fabrik, bereit loszuschlagen. Er umrundete geschickt die erste Wache, die sich zu einer Bedienung vorbeugte, um sich ihre Nummer geben zu lassen und tauchte in die Dunkelheit ab. Langsam verzog er sich in die Schatten, passierte einen Kontrollpunkt, indem er vorgab einen Kasten Bier für den Wirt zu suchen und stand schließlich vor der Tür des Drogenlabors. Dass es die besagte Tür war, wusste er, weil jemand freundlicherweise mit krakeliger Handschrift es draufgeschrieben hatte. Aus dem Inneren drangen dumpfe Geräusche, die sich wie ein Gespräch anhörten.

      Schnell huschte er hinein und stand bald in einem Wald aus Zylindern, Bechergläsern, Reaktionsgefäßen, Erlenmeyerkolben, Pulvertrichtern und Laborwaagen. An den Wänden stapelten sich Kisten und Kästen, große Bottiche und ein Kühlschrank, vor dem, dem Rücken ihm zugewandt, ein Mann hockte. Als hätte er das Brennen von Hansens Blick in seinen Nacken gespürt, drehte er sich plötzlich um.

      Er hatte ein großes, breitflächiges Gesicht und kaum Haare. Offensichtlich lebte er in besseren Verhältnissen als die anderen, denn er war nicht halb so abgezehrt und schmutzig wie sie. Mit einem halboffenen Laborkittel bekleidet, unter dem man fleckige Unterwäsche und Badeschlappen erkennen konnte, wirkte der unrasierte Mann wie die Karikatur eines Laboranten. „Kumpel, mach doch bitte die Tür zu, ja?“ Er schnappte sich ein Bier und schien in Geberlaune zu sein. Mit einem Lächeln reichte er Hansen eins.

       Michel Brown.

      Hansen grinste zurück, griff nach dem Bier und wollte gerade auf ihn zugehen, als ihn ein harter Schlag traf und ein heftiger Schmerz durch seine Schulter jagte.

      Der Hieb ließ ihn in die Knie gehen, aber brach nicht zusammen. So hart war er nun doch nicht gewesen. Langsam und mit verzehrten Gesicht drehte er sich herum.

      Vor ihm stand ein großer Kerl mit einem Kopf wie eine Billardkugel, der direkt auf dem Rumpf zu sitzen schien und von einer schwarzen Matte bedeckt war. In seinen Augen lag ein stumpfsinniger Ausdruck, und seine dicken Lippen zuckten ununterbrochen. Er hielt eine große Metallstange in der Hand, mit der er herausfordernd in seine andere Hand klatschte. Platsch. Platsch.

      „Wie bist du hereingekommen?“ fragte der Riese.

      Brown schien nicht zufrieden. „Mensch, Charlie, kein Wunder, das ich keine Freunde habe. Lass den Mann doch in Ruhe.“

      Hansen bewegte seine Schulter und versuchte, den Schmerz zu ignorieren. „Durch die Tür“, antwortete er gehorsam.

      Der große Mann wandte sich an Michel Brown, wobei er seinen ganzen Körper herumdrehte, als wäre es ihm aufgrund des fehlenden Nackens unmöglich, allein den Kopf zu bewegen. „Was zum Teufel macht der Kerl hier, Michel?“

      Brown gab sich unbeeindruckt. „Muss wohl reingeschlüpft sein.“

      Der Mann mit der Stange schüttelte den Kopf, worauf sein ganzer Körper zu wackeln begann. „Roxanne will nicht, dass du den Raum verlässt. Das schließt Besuch mit ein, hörst du?“

      „Jetzt gib dich nicht so wichtig, Charlie. Ich brauche auch mal Luft zum Atmen. Hier“, er griff zu einem Becher, zog eine gerollte Zigarette hervor und steckte sie dem Riesen in den Mund. „Geht aufs Haus, Mann. Und jetzt lass ihn in Ruhe!“

      Ohne eine Antwort abzuwarten, schnappte er sich Hansens Arm und führte ihn weg, rund um den Labortisch zu seinem fleckigen Sofa auf dem eine nackte Frau schlief. „Wolltest mal ein bisschen checken, was wir so machen, was?“ fragte er nicht unfreundlich und hielt ihm ein Feuerzeug hin. „Kann ich verstehen, Mann. Sind doch alle gleich. Ist kein Geheimnis. Jeder will ein bisschen Glück. Ich sitze schon seit Monaten hier unten. Scheint die Sonne? Ist gerade Vollmond? Ich weiß es nicht“, stöhnte er leise und setzte sich neben ihm. „Bin VIP-Gast. Drauf geschissen, sag ich. Ständig nur Arbeit, Arbeit, Arbeit. Urlaub wäre schön.“

      Hansen starrte benommen auf sein Bier und seinen Joint und legte sie beide zur Seite. „Aber es gab auch mal andere Zeiten, was?“

      „Kannste laut sagen“, grunzte Brown und zündete sich seinen Joint an, den er sich von irgendwoher geschnappt hatte. Erst jetzt bemerkte Hansen überall Teller, Kästen und Wannen in denen Dosen, Pakete und kleinere Tütchen offen herumlagen.

      Hansen war kein Fachmann, aber er erkannte ein Drogenlabor wen er eins sah. Designerdrogen sind synthetisch hergestellte Rauschmittel, deren Molekülstruktur auf der Basis von Leitstrukturen entworfen wurde, mit der Absicht, ein Rauschmittel herzustellen. Und in dem Keller lagerten Millionen von Credits, mit denen man auf der Erde eine Großstadtszene versorgen konnte. Doch wegen einer kleinen Traumreise ins Lala-Land war er nicht hier.

      „Möchte gerne wissen, wie es früher war.“

      Brown stieß einen perfekten Rauchkringel aus. „War früher ein verdammt guter Laborant. Die steilen Miezen an der Uni haben mich geliebt. Ich bekam Preise. Verdammt gute Noten“, säuselte er bereits in andere Sphären und deutete mit einem obszönen Zeichen in Richtung des Riesen, der sich immer noch nicht wegbewegt hatte. „Charlie sehe ich jeden Tag. Kanns ihm nicht verübeln, dass er neidisch ist. Der ist doch zu blöd, um einen Erlenmeyerkolben von einer Tischlampe zu unterscheiden.“ Er kicherte leise.

      Der Riese funkelte ihn böse an und ließ erneut seine Keule in die Hand klatschen. „Herumlungern gibt es hier nicht! Was ist mit den Aufträgen...?“

      Brown zeigte auf verschiedene Ecken des Raums: „Die Samstaglieferung steht dort, die Montagslieferung steht dort und dort hinten ist die Toilette, die du saubermachen kannst.“

      „Michel, ich warne dich!“

      „Nein, ich warne dich, mein Freund“, bellte Brown und stieß sich selbst den Finger auf die Brust. „Wenn du weg bist, sucht Roxanne einfach einen anderen Abiturabrecher, der Muskeln statt Hirn hat. Davon gibt es hier reichlich. Aber wenn ich weg bin… tja, dann sieht es zappenduster aus, mein Freund.“ Hässlich lachte er den Riesen aus, bis es Charlie zu dumm war und lieber wieder verschwand.

      „Den sind wir los!“ Er nahm einen großzügigen Schluck und prostete Hansen zu. „Sag mal, was geht den draußen ab?“

      „Gute Party“, meinte Hansen leise. „Du kommst aus London, wie?“

      Brown hob eine Braue. „Hört man das immer noch heraus? Ich dachte, ich wär ihn los.“

      „Du stammst aus Croydon.“

      Brown zögerte beim Trinken und blinzelte.

      Hansen