href="#uf1a1561f-0fcf-5361-a80d-81f05c50388b">63
Prolog
Es war einer dieser Abende, an denen er so gar keine Lust zu arbeiten hatte. Aber was blieb ihm anderes übrig? Seine Miete zahlte sich nicht durch Faulheit. Und eine reiche Frau, die ihn aushielt, war weit und breit nicht in Sicht. Nicht das er darauf aus gewesen wäre. Obwohl sich ihm täglich zig Gelegenheiten boten. Doch er wollte sich nicht verkaufen. Weder seinen Körper, noch seine Seele. Sein Stolz verbot es ihm einfach. Wie gerne wäre er der Verlockung des Geldes erlegen? Doch er blieb standhaft und arbeitete hart für seinen Lebensunterhalt. Er war es gewohnt, anders zu leben. Dekadenz und Reichtum waren keine Fremdwörter für ihn.
Er hatte sich bewusst gegen Reichtum und Luxus entschieden. Seine Freunde, besser gesagt seine ehemaligen Freunde hielten ihn für verrückt und wendeten sich einer nach dem anderen ab.
Was nutzten ihm „falschen Freunde“, die einem nur beistanden, solange das Leben auf der Sonnenseite stattfand? Sein Vater war erst wütend, dann resigniert, dann warf er ihn aus dem Haus.
Sein letzter Kommentar: „Komm erst wieder, wenn du vernünftig geworden bist!“, hatte sich in sein Gehirn gebrannt. Wie bei einem Horrorfilm, den man nicht mehr schauen wollte, aber trotzdem nicht ausmachen konnte.
Wer er ist? Taylor. John Taylor.
1
John Taylor traf diese geheimnisvolle Frau am Silvesterabend kurz vor 22 Uhr. Mit einem Tablett voll Champagnergläser versuchte er sich durch die Menschenmasse zu quetschen, ohne dabei die Kontrolle zu verlieren. Es war schwer, die teuren Gläser auf dem Tablett zu jonglieren. Eines war wahrscheinlich teurer als seine heutige Gage. John sah sich um. An Dekadenz war nicht gespart worden. Prunk und Protz wohin man schaute.
Das wichtigste und bedeutendste Plattenlabel gab sich die jährliche Ehre. Jeder Partyservice wetteiferte schon Monate vorher, um den lukrativen Auftrag zu erhaschen. Mittlerweile war es schon fast zu einem Kleinkrieg ausgeartet. Die Konkurrenten überboten sich mit den originellsten Ideen. Dabei wurden die Preise ständig gegenseitig unterboten.
Die Prominenz der Geschäftswelt gab sich an diesem Abend die Klinke in die Hand. Die meisten der anwesenden Gäste waren Männer.
Umso mehr verblüffte John die Anwesenheit dieses scheuen Rehs.
Sie stand etwas abseits. Ihre Füße wippten zum Takt der Musik mit. Es schien, als beobachte sie die Menschen um sich herum nur. Sie machte selbst keine Anstalten zu tanzen. John gefiel die Frau sehr gut.
Er versuchte sich ihr zu nähern. Unauffällig. Wie ein Tiger, der sich an seine Beute heran pirschte.
Doch John wurde jäh unterbrochen. Er von seinem Boss zurück gepfiffen. John sollte den Service übernehmen, während die Getränke aufgefüllt wurden. Was soll´s?, dachte sich John, als er mit dem Tablett in der Hand nach vorne lief. Diese Frau wird mit einem einfachen Kellner nichts zu tun haben wollen. Trotzdem wollte er die Hoffnung auf ein Wiedersehen nicht aufgeben.
Kurz vor Mitternacht konnte John sich auf die Suche nach der Brünetten machen. Ob sie überhaupt noch da war? Ihr Gesichtsausdruck war eher angewidert gewesen. Für sie war es nur eine lästige Pflichterfüllung. Genauso erging es ihm auf solchen Partys oft. Er verdiente sich bloß seinen Lebensunterhalt und sie war wahrscheinlich die genervte Ehefrau eines dieser überbezahlten, überflüssigen Managertypen, die sich für den Nabel der Welt hielten. Wahrscheinlich fühlte sie sich genauso fehl am Platz wie er. Ob er ihr Gesellschaft leisten sollte? Sich wie zufällig neben sie stellen? Ihr ein Glas Champagner der besten Marke anbieten? Obwohl sie den bestimmt nicht mochte, wenn man sich ihren angewiderten Ausdruck ins Gedächtnis rief.
Wie sollte er ein Gespräch in Gang halten, ohne das es langweilig wurde? Er wollte improvisieren. Zur Not konnte er ihr einen Quickie in der Garderobe anbieten, dachte John amüsiert. Er stellte sich in Gedanken vor, wie sie ihm volle Granate eine donnerte, um dann anschließend über ihn herzufallen. So waren die Weiber doch immer! Zumindest die meisten! Zierten sich erst wie ein schüchternes Blümchen, um dann wie ein Vulkan zu explodieren. Nicht dass er diese Nummer oft abzog, aber die ein oder andere Gelegenheit nutze er gerne. Vor allem, wenn die Figur und der Charakter stimmte. Für manche mag das ja bei einem One-Night-Stand nicht so wichtig sein. Er legte Wert auf solche Dinge. Zickige Frauen gingen ihm nicht ab. Im Gegenteil! Er hasste sie wie die Pest. Man konnte ihnen nichts recht machen. Egal wie sehr man sich auch anstrengte. Dieser ständig unzufriedene Zustand konnte doch auf die Dauer nicht gut gehen.
Er sah sich suchend um. Ihn überfiel Panik. Nicht wegen des entgangenen Abenteuers. Er wollte dieses zarte Geschöpf einfach kennenlernen. Irgendwie fühlte er sich zu ihr hingezogen. Er hatte sie für den Bruchteil einer Sekunde gesehen. Doch ging sie ihm nicht aus dem Kopf. Ihre Gesichtszüge waren in seine Gedanken eingebrannt, wunderbar und unauslöschlich. Es verging noch eine Viertelstunde, bevor er sie auf der Tanzfläche entdeckte.
Ihre braunen, langen Haare wippten auf und ab. Ihre Laune schien sich gebessert zu haben, denn sie lächelte den Typen an, mit dem sie tanzte. Scheiße! Die Frau ist vergeben. John blieb wie angewurzelt stehen und beobachtete die beiden. Sein Magen rebellierte, ihm wurde schlecht. Doch er zwang sich hinzuschauen. Schließlich konnte man von einer Momentaufnahme nicht alles abhängig machen. Er konnte ihr Bruder sein oder der Chef. Aber der Typ schien noch ziemlich jung zu sein für einen Firmenboss. Anfang 30.
John beobachtete sie. Ihr Tanzabstand war größtmöglich, obwohl man auf diesen Song durchaus enger tanzen konnte. Schließlich war es eine dieser Schnulzen, die John so hasste.
Er stellte sich an den Rand und sah dem ungleiche Paar zu. Er war schlank und ein gutes Stück größer als sie. Ihre Figur war durchtrainiert, aber nicht zu sehr. Ihre Haare trug sie offen.
Sie lachte laut. Anscheinend hatte der Idiot etwas total Witziges gesagt. Arschloch, dachte John nur. Ihr Lachen war warm und herzlich. John beneidete den Mann. Diese Frau war so ziemlich das Schönste, was er jemals gesehen hatte. Und der Arsch schien keine Augen dafür zu haben. Wahrscheinlich sah er in ihr nur eine gute Freundin. Und warum bist du dann so sauer?
Er wusste gar nicht, was mit ihm los war. Warum war er so böse? Er wusste weshalb. Er würde alles dafür geben, diesen Engel in den Armen halten zu können. Sich an sie zu schmiegen und sie im Takt der Musik zu wiegen. Seine Fantasie ging mit ihm durch. Er sah sich als alten Mann mit ihr im Schaukelstuhl sitzen, natürlich eng aneinander gekuschelt. Ihre Enkel liefen fröhlich um sie herum, sangen, tanzten und verlangten ständig Süßigkeiten.
„Würdest du vielleicht mal arbeiten? Der Chef hat dich schon auf dem Kicker!“,