George Sand

Geschichte meines Lebens


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Frauen auf einander machten. Für den Augenblick beschränke ich mich darauf zu sagen, daß das Benehmen Beider vortrefflich war, daß sie sich Mutter und Tochter nannten, und daß die Heirath meines Vaters vielleicht für einen engern Kreis ein Aergerniß abgab, daß jedoch die Gesellschaft, welche mein Vater besuchte, sich nicht darum kümmerte und meine Mutter aufnahm, ohne nach ihren Ahnen und ihrem Schicksal zu fragen. Aber sie liebte die Gesellschaft nie und ließ sich an Mürat's Hofe nur vorstellen, weil sie durch das Amt, das mein Vater späterhin bei diesem Fürsten bekleidete, gleichsam dazu gezwungen wurde.

      Meine Mutter fühlte sich weder gedemüthigt noch geehrt, wenn sie mit Leuten zusammentraf, die sich über sie erhaben dünken konnten. Sie verspottete auf feine Weise den Hochmuth der Einfältigen, die Eitelkeit der Emporkömmlinge, das Gefühl ihrer Abstammung vom Volke durchdrang sie bis zu den Fingerspitzen, und darum hielt sie sich für adliger, als alle Patrizier und Aristokraten der Erde. Sie pflegte zu sagen, daß die Abkömmlinge ihres Stammes ein rötheres Blut und weitere Adern hätten, als die der andern, und ich möchte das fast glauben, denn wenn es wahr ist, daß die Vortrefflichkeit der Geschlechter auf der moralischen und physischen Thatkraft beruht, so läßt sich auch nicht leugnen, daß sich dieselbe bei allen Familien vermindert, welche aufhören sich in Arbeit, in Muth und in Leiden zu üben. Dieser Satz kann gewiß nicht ohne Ausnahme gelten und man kann hinzufügen, daß ein Uebermaß von Arbeit und Leid die Organisation eben so entkräftet wie ein Uebermaß von Weichlichkeit und Unthätigkeit. Aber im Allgemeinen ist es gewiß, daß das Leben aus den untern Schichten der Gesellschaft hervorströmt und sich um so mehr verliert, je mehr es sich dem Gipfel nähert, wie das auch bei dem Safte der Pflanzen der Fall ist.

      Meine Mutter gehörte nicht zu jenen kühnen Intriguantinnen, deren geheimes Verlangen ist, gegen die Vorurtheile ihrer Zeit zu kämpfen und die sich zu erhöhen glauben, wenn sie sich an die falsche Größe der Welt anklammern, auf die Gefahr hin tausendmal zurückgewiesen zu werden. Sie war viel zu stolz, um sich nur einer kalten Begegnung auszusetzen; ihre Haltung war so zurückhaltend, daß sie schüchtern zu sein schien — aber wenn man sie durch herablassende Mienen zu ermuthigen suchte, wurde sie mehr als zurückhaltend, wurde sie kalt und schweigsam.

      Ihr Benehmen gegen Personen, die ihr eine gegründete Achtung einflößten, war ausgezeichnet, das heißt sie war zuvorkommend und liebenswürdig; aber von Natur war sie lustig, neckisch, rührig und vor Allem dem Zwange feind. Große Diners, lange Abendgesellschaften, gewöhnliche Besuche, Bälle sogar waren ihr verhaßt. Sie war für die Häuslichkeit geschaffen, oder für einen raschen, heitern Spaziergang. Aber im Hause und bei ihren Streifereien bedurfte sie der Vertraulichkeit, der Unbefangenheit, eines vollständig zwanglosen Umganges und der gänzlichen Freiheit in ihren Gewohnheiten und im Gebrauch ihrer Zeit. Sie lebte daher immer zurückgezogen und ließ es sich viel angelegener sein, genante Bekanntschaften zu vermeiden, als vortheilhafte Bekanntschaften aufzusuchen. Das war auch ganz die Sinnesart meines Vaters, und in dieser Beziehung konnte nie ein Ehepaar besser harmoniren. Glücklich fühlten sie sich nur in ihrer kleinen Häuslichkeit; an allen andern Orten mußten sie ein melancholisches Gähnen unterdrücken, und sie haben auch mir diese geheime Sauvagerie vererbt, welche mir die Gesellschaft unerträglich und das „Daheim“ nothwendig macht.

      Alle Schritte meines Vaters — die freilich mit einiger Nachlässigkeit gethan wurden— führten zu nichts. Er hatte nur zu sehr recht, als er sagte: daß er nicht dazu gemacht wäre, seine Sporen in Friedenszeiten zu verdienen, und daß ihm die Kämpfe in den Vorzimmern keine Erfolge gewährten. Der Krieg allein konnte ihn aus der Sackgasse des Generalstabes erlösen.

      Er kehrte mit Dupont in das Lager von Montreuil zurück. Meine Mutter folgte ihm im Frühling 1805, brachte aber nur zwei oder drei Monate daselbst zu. Während dieser Zeit übernahm meine Tante Lucie die Sorge für meine Schwester und mich. Diese Schwester, auf deren Dasein ich schon hingedeutet habe, und von welcher ich später mehr erzählen werde, war nicht das Kind meines Vaters. Sie war fünf bis sechs Jahr älter als ich und hieß Caroline. Zu derselben Zeit, als sich meine Mutter mit meinem Vater vermählte, hatte meine gute Tante Lucie Herrn Maréchal, einen pensionirten Offizier geheirathet. Fünf oder sechs Monate nach meiner Geburt wurde ihnen eine Tochter geschenkt, meine theure Clotilde, die beste Freundin vielleicht, die ich jemals gehabt habe. Meine Tante wohnte damals in Chaillot, wo mein Onkel ein kleines Haus gekauft hatte, das zu jener Zeit im freien Felde stand und jetzt zur Stadt gehört. Um uns spazieren zu führen, miethete meine Tante den Esel eines benachbarten Gärtners; wir wurden auf Heu in die Körbe gesetzt, die zum Transport der Flüchte und Gemüse bestimmt waren; in dem einen Korbe befand sich Caroline, in dem andern waren Clotilde und ich und es scheint, als hätte uns diese Art von Bewegung sehr gefallen.

      Während dieser Zeit begab sich der Kaiser Napoleon, der sich mit andern Dingen und andern Spazierfahrten beschäftigte, nach Italien, um sein Haupt mit der eisernen Krone zu schmücken. Guai a chi la tocca! hatte der große Mann gesagt. England, Oestreich und Rußland entschlossen sich danach zu langen und der Kaiser hielt sein Wort.

      Im Augenblicke, als die Armee, die am Ufer des Kanals vereinigt war, mit Ungeduld das Signal zu der Ueberfahrt nach England erwartete, änderte der Kaiser, der sein Glück auf dem Meere gefährdet sah, alle seine Pläne in einer Nacht. In einer jener eingebungsvollen Nächte, wo das Fieber in seinen Adern nachließ, verzichtete er auf ein übermächtiges Unternehmen, um ein neues Project in seinem Geiste entstehen zu lassen.

       Einundzwanzigstes Kapitel.

       Der Feldzug von 1805. — Briefe meines Vaters an meine Mutter. — Die Schlacht von Haslach. Brief aus Nürnberg. — Große Thaten der Division Gazan und der Division Dupont an den Ufern der Donau. — Brief aus Wien. — Der General Dupont. — Mein Vater erhält das Kreuz, wird Rittmeister und geht in die Linie über. — Die Feldzüge von 1806 und 1807. — Die Fähre von Tilsit. — Rückkehr nach Frankreich. — Reise nach Italien. — Briefe aus Venedig und Mailand. — Ende des Briefwechsels mit meiner Mutter und Anfang meiner eignen Geschichte.

       Erster Brief.

      Von meinem Vater an meine Mutter.

      Hagenau, den 1. Vendemiaire, Jahr XIV. (22. Sept. 1803.)

      „Ich komme mit Decouchy hier an, um wie gewöhnlich unserer Division Quartier zu machen. Wir speisen bei dem Marschall Ney und dieser benachrichtigt uns, daß wir ohne abzusatteln noch zwanzig Meilen zu machen und den Rhein zu überschreiten haben, und daß wir erst in Durlach, wo wir mit dem Feinde zusammentreffen, Halt machen dürfen. Nach einem Marsch von hundert und fünfzig Meilen kann uns eine solche Galoppade sämmtlich zu Grunde richten. Aber was thut's, es ist der Befehl. Wenn wir den Rhein überschreiten, nehmen wir noch das erste Husaren-Regiment und viertausend Mann des Großherzogs von Baden unter unser Kommando. Mit unserer Division von zwölftausend Mann werden wir also sehr stark sein und Du sollst von uns reden hören. Ach! meine Geliebte, wenn ich von Dir entfernt bin, sind Getümmel und Schlachten die einzigen Zerstreuungen, denen ich zugänglich bin, denn ohne Dich wird mir jede Freude ein Anlaß zur Traurigkeit, und Alles, was Andre beunruhigt und aufregt, sie also meinem Standpunkte nähert, läßt sie mir erträglicher erscheinen. Ich freue mich innerlich über die verstörten Gesichter vieler Leute, die in Friedenszeiten sehr tapfer und sehr wichtig thun. Die Straßen sind mit Hofwagen bedeckt, in welchen Pagen, Kammerherrn und Laquaien in weißseidnen Strümpfen reisen. Sie mögen sich vor den Kothflecken hüten!

      „Wenn ich mich über irgend etwas freuen könnte, so lange ich Dich nicht sehe, glaube ich wirklich, daß ich mit den Erschütterungen zufrieden sein könnte, die sich vorbereiten. Fürchte nur keine Untreue, denn für längere Zeit werde ich nur mit dem männlichen Geschlechte verkehren. Die Herren Oestreicher werden uns Arbeit geben und bei der Art und Weise, wie man uns führt, glaube ich schwerlich, daß uns Zeit bleibt an Uebles zu denken.

      „Ich gehe nicht nach Straßburg und werde weder ***, noch ***, noch *** sehen; sie sind nicht die Leute danach mit Flintenkugeln zu verkehren.

      „Seit ich Dich verlassen habe, ist mir noch kein Augenblick der Ruhe zu