George Sand

Geschichte meines Lebens


Скачать книгу

meine Ellbogen auf einen der Sitze stemmen und benutzte meine Nägel mit einer wunderbaren Geduld. Aber indem ich so dem Bedürfnisse genügte, meine Finger zu beschäftigen, ein Bedürfniß, das ich noch immer fühle, dachte ich nicht im Geringsten an das Stroh der Stühle, sondern componirte mit lauter Stimme endlose Erzählungen, die meine Mutter meine Romane nannte. Sehr oft erklärte sie dieselben, ihrer Länge und der Entwicklung der Nebenumstände wegen, für außerordentlich langweilig. Es ist dies ein Fehler, den ich noch habe, wie man sagt, denn ich meinestheils gestehe, daß ich mir wenig Rechenschaft von dem gebe, was ich thue, und daß ich heute wie damals, als ich vier Jahr alt war, bei dieser Art von Schöpfungen ein völliges Michgehenlassen nicht besiegen kann.

      Es scheint, daß meine Geschichten eine Art Abguß von Allem waren, was mein kleines Gehirn erfüllte. Es entstand immer eine Skizze in der Weise der Feenmärchen, und die Hauptpersonen waren eine gute Fee, ein guter Prinz und eine schöne Prinzessin. Böse Wesen gab es nur wenige darin, und ein großes Unglück niemals. Alles entwickelte sich unter dem Einflusse eines Gedankens, so lachend und optimistisch, wie die Kindheit selbst ist. Das Merkwürdigste war die Länge der Geschichten und ihre Fortsetzungen, denn ich nahm den Faden der Erzählung genau da wieder auf, wo ich ihn am Tage vorher hatte fallen lassen. Vielleicht hat mir meine Mutter, ohne es zu wissen, geholfen, mich in den langen Geschichten wieder zurecht zu finden, die sie unwillkürlich mit anhörte. Auch meine Tante erinnert sich dieser Erzählungen mit vieler Heiterkeit und weiß noch, daß sie mich oft gefragt hat: „Nun Aurora, ist Dein Prinz noch nicht wieder aus dem Walde gekommen? Ist Deine Prinzessin bald damit fertig, ihr Schleppkleid und ihre goldne Krone anzulegen?“ „Laß sie in Frieden,“ sagte dann meine Mutter; „ich kann nicht eher in Ruhe arbeiten, als wenn sie ihre Romane zwischen vier Stühlen anfängt.“

      Noch genauer erinnere ich mich meines Eifers bei Spielen, die eine wirkliche Handlung vorstellten. Anfänglich war ich immer verdrießlich, und wenn meine Schwester oder die älteste Tochter des Glasers mich zu den klassischen Spielen „pied de boeuf“ oder „main chaude“ aufforderten, so fand ich diese nicht nach meinem Geschmacke oder war ihrer bald müde, aber mit meiner Cousine Clotilde oder andern Kindern meines Alters spielte ich mit Leidenschaft Spiele, die meine Phantasie anregten. Wir führten Schlachten auf, oder Fluchten durch die Wälder, die in meiner Einbildung eine so große Rolle spielten; oder eine von uns hatte sich verirrt und die Andern riefen und suchten sie — sie war dann unter einem Baume eingeschlafen, d. h. unter dem Sopha, und wir kamen ihr zu Hülfe. Eine von uns war die Mutter der Andern oder ihr General, denn der militärische Geist drang von außen selbst in unser Nest, und mehr als einmal habe ich den Kaiser gemacht und auf dem Schlachtfelde kommandirt. Wir zerschlugen die Puppen und die Wirthschaftsgegenstände und es scheint, als hätte mein Vater eine ebenso jugendliche Einbildungskraft besessen als wir, denn er konnte die mikroskopische Darstellung der Greuelscenen, die er im Kriege sah, nicht ertragen. „Ich bitte Dich, fahre mit dem Besen über das Schlachtfeld der Kinder,“ sagte er zu meiner Mutter; „es ist Thorheit, aber ich kann diese Arme, Beine und rothen Lappen nicht auf der Erde liegen sehen.“

      Wir gaben uns keine Rechenschaft von unsrer Grausamkeit, weil die Puppen die Metzelei geduldig ertrugen, aber indem wir auf unsern eingebildeten Pferden umhergaloppirten und mit unsern unsichtbaren Säbeln die Meubel und das Spielzeug zerschlugen, überließen wir uns einem Enthusiasmus, der zum Fieber wurde. Man machte uns wegen unsrer Knabenspiele Vorwürfe und gewiß ist es, daß meine Cousine und ich nach wilden Aufregungen verlangten. Besonders deutlich erinnere ich mich eines Herbsttages, wo es, während das Diner servirt wurde, finster in der Stube geworden war. Wir befanden uns nicht bei uns, sondern wie ich glaube, bei meiner Tante in Chaillot, denn es waren Bettvorhänge da und wir besaßen keine. Wir, Clotilde und ich, verfolgten einander zwischen den Bäumen, d.h. hinter den Fallen der Bettvorhänge. Das Zimmer entschwand unsern Augen und wir befanden uns beim Einbruche der Nacht wirklich in einer dunkeln Landschaft. Man rief uns zu Tisch, aber wir hörten nicht — endlich kam meine Mutter und nahm mich auf den Arm, um mich an den Tisch zu tragen, und ich erinnere mich noch immer meines Staunens, als ich die Lichter, den Tisch und alle wirklichen Gegenstände erblickte, die mich umgaben. Ich hatte eine vollständige Vision gehabt, und es that mir weh, so plötzlich herausgerissen zu werden. — Zuweilen, wenn ich in Chaillot war, glaubte ich in Paris zu sein, und umgekehrt; und es kostete mich oft eine Anstrengung, mich zu überzeugen, wo ich mich befand, und meine Tochter war als Kind derselben Sinnentäuschung ausgesetzt.

      Ich glaube nicht, daß ich seit 1808 in Chaillot gewesen bin, denn nach der spanischen Reise, bis zu der Zeit, wo mein Onkel sein kleines Besitzthum an den Staat verkaufte, weil es sich auf dem Platze befand, der für den Palast des Königs von Rom bestimmt war, habe ich Nohant nicht verlassen. Aber mag ich mich täuschen oder nicht, ich will hier einfügen, was ich über dieses Haus zu sagen habe, welches damals ein wirkliches Landhaus war. Chaillot war zu jener Zeit nicht so gebaut, wie es jetzt ist.

      Es war — wie ich jetzt weiß,da mir die Gegenstände, die mir im Gedächtniß geblieben sind, in ihrem wahren Werthe erscheinen — die bescheidenste Wohnung der Welt, aber in meinem damaligen Alter schien sie mir ein Paradies zu sein. Ich würde den Plan des Hauses und Gartens geben können, so genau habe ich noch Alles in der Erinnerung. Der Garten besonders war für mich ein Ort der Wonne, denn es war der einzige, den ich kannte. Meine Mutter, die, was man damals auch meiner Großmutter von ihr sagte, in einer Beschränkung lebte, die an Armuth grenzte und eine Sparsamkeit und einen häuslichen Fleiß zeigte, die einer Frau des Volkes würdig waren, führte mich nicht in die Tuilerien, um unsere Toilette zur Schau zu stellen, denn wir hatten keine, und um mich beim Spiel mit Reifen und Schnur unter den Augen der Laffen in der Ziererei zu üben. Wir verließen unsere traurige Zurückgezogenheit nur, um zuweilen das Theater zu besuchen, das meine Mutter außerordentlich liebte und öfter noch, um nach Chaillot zu gehen, wo wir immer mit Freudengeschrei empfangen wurden. Die Fußpartie und das Passiren der Dampfmaschine war mir zwar zuwider, aber kaum befand ich mich in dem Garten, so glaubte ich auf einer der Zauber-Inseln meiner Märchen zu sein, Clotilde, die sich dort den ganzen Tag in Sonnenschein aufhalten durfte, war frischer und fröhlicher als ich, und sie machte die Honneurs ihres Eden mit der Gutmüthigkeit und ungezwungenen Heiterkeit, die ihr immer eigen geblieben sind, Sie war jedenfalls die Beste von uns Beiden; sie war gesünder und weniger launenhaft als ich, und ich betete sie an, obwohl ich mir oft Ausfälle gegen sie erlaubte, auf die sie mit Spöttereien antwortete, die mich verdrossen. Sie verdrehte zum Beispiel, wenn sie unzufrieden mit mir war, meinen Namen Aurora und nannte mich „Horreur“, eine Beleidigung, die mich außer mir bringen konnte. Aber wie sollte ich lange zürnen bei dieser grünen Hagebuchenhecke, bei dieser mit Blumentöpfen eingefaßten Terrasse? Dort habe ich auch die ersten „Fäden der Jungfrau“ gesehen, die weiß und glänzend in der Herbstsonne umherflogen. Meine Schwester war an tiefem Tage bei uns und erklärte uns mit weiser Miene, daß die Jungfrau selbst diese Faden auf ihrer Elfenbeinspindel zu spinnen pflegte; darum wagte ich nicht sie zu zerreißen, und machte mich ganz klein, um darunter durchzuschlüpfen.

      Der Garten war ein längliches Viereck und in Wahrheit sehr klein, aber mir erschien er ungeheuer groß, obwohl ich ihn täglich wohl zweihundert Mal umkreiste. Er war nach alter Weise in regelmäßige Beete abgetheilt und enthielt Gemüse und Blumen, gewährte aber nicht die geringste Aussicht, da er ganz von Mauern umgeben war. Im Hintergründe befand sich eine mit Sand bestreute Terrasse, zu der einige steinerne Stufen führten und die an jeder Seite mit einer großen Vase von gebranntem Thon und von merkwürdig einfältiger Form verziert war. Und auf dieser Terrasse, die mir wie ein zauberhafter Ort erschien, wurden unsere großen Spiele: Schlacht, Flucht und Verfolgung vorgenommen.

      In diesem Garten habe ich auch die ersten Schmetterlinge gesehen und große Sonnenblumen, die mir wenigstens hundert Fuß hoch schienen. Eines Tages wurden wir in unsern Spielen durch einen großen Lärm unterbrochen. Man rief: „Es lebe der Kaiser!“ man ging eilig vorüber, entfernte sich und das Rufen dauerte fort. Der Kaiser kam wirklich in der Ferne vorüber: wir hörten den Trab der Pferde und die Bewegung der Menge. Leider konnten wir nicht durch die Mauer sehen; aber in meiner Einbildung war es wunderschön, und wir schrien aus Leibeskräften und von sympathetischer Begeisterung erregt: „Es lebe der Kaiser!“

      Wußten wir, was der Kaiser war? ich kann mich nicht mehr darauf besinnen; aber es ist wahrscheinlich, daß wir unaufhörlich