»Und nun,« fuhr der Herzog fort, »da Ihr mir keine Auskunft über diesen Burschen geben könnt ...«
»Nein, in der Tat, Monseigneur, ich kann es nicht.«
»Wohl, ich lasse Euch, wie ich vorhin sagte, mit Eurer Schwester. Nanon,« fuhr der Herzog fort, »gebt diesem jungen Manne genaue Instruktionen, und er soll besonders keine Zeit verlieren.«
»Seid ruhig, Monseigneur.«
»Also Gott befohlen!«
Der Herzog grüßte Nanon anmutig mit der Hand, machte eine freundschaftliche Gebärde gegen Cauvignac und stieg mit dem Versprechen, wahrscheinlich noch an demselben Tage zurückzukehren, die Treppe hinab.
Nanon begleitete den Herzog auf den Vorplatz.
»Pest!« sagte Cauvignac, »der würdige Herr hat wohl daran getan, mich in Kenntnis zu setzen. Er ist nicht so dumm, als er aussieht! Aber was soll ich mit dem Blankett machen? Verdammt! was man mit einem Wechsel macht; ich werde es diskontieren.«
»Nun, mein Herr,« sagte Nanon zurückkehrend und die Türe schließend, »jetzt haben wir beide miteinander zu tun.«
Nanon erfuhr nun durch Fragen von ihrem Bruder, daß dieser aus dem Karmeliterkloster entwichen war, wohin er sich gemäß seinem Versprechen begeben hatte, um in den geistlichen Stand zu treten, und wohin ihm die Schwester jährlich hundert Pistolen schickte.
Sie erfuhr weiter, daß ihr Bruder sodann als wahl- und skrupelloser Parteigänger auf jede Weise durch Verrat oder Gewalt, bald diesem, bald jenem Mächtigen dienend, sich durchgeschlagen habe.
»Welch ein Gewebe von Abscheulichkeiten!« rief sie aus, als er zu Ende war.
»Nein, meine liebe Schwester, das sind die Notwendigkeiten des Bürgerkrieges.«
»Ich begreife jetzt, wie ein Mensch, der zu solchen Dingen fähig ist, wagen konnte, was Ihr gestern gewagt habt.«
»Was habe ich denn getan?« fragte Cauvignac mit der unschuldigsten Miene der Welt, »was habe ich gewagt?« – »Ihr habt es gewagt, eine so angesehene Person wie Herrn von Epernon ins Gesicht zu betrügen. Aber das habe ich, ich gestehe es, nie gedacht, daß ein Bruder, den ich mit Wohltaten überhäuft, kaltblütig den Plan entwerfen könnte, seine Schwester zugrunde zu richten!« – »Ich? Meine Schwester zugrunde richten!« – »Ja Ihr! Ich brauchte nicht Eure Erzählung abzuwarten, die mir beweist, daß Ihr zu allem fähig seid, um die Handschrift des Billetts zu erkennen. Seht! wollt Ihr leugnen, daß dieser anonyme Brief von Eurer Hand ist?«
Entrüstet legte Nanon den verräterischen Brief, den ihr der Herzog am Abend vorher zugestellt hatte, ihrem Bruder vor die Augen.
Cauvignac las ihn, ohne aus der Fassung kommen.
»Nun,« sagte er, »was habt Ihr gegen diesen Brief? Findet Ihr ihn etwa schlecht abgefaßt?«
»Es handelt sich nicht um die Abfassung, sondern um die Sache selbst. Seid Ihr es oder seid Ihr es nicht, der diesen Brief geschrieben hat?«
»Ich bin es allerdings. Hätte ich leugnen wollen, so würde ich meine Handschrift verstellt haben; aber das war unnötig. Es war nie meine Absicht, mich vor Euren Augen zu verbergen. Ich wünschte sogar, daß Ihr erkennen solltet, daß der Brief von mir kam.«
»Ihr gesteht es!« rief Nanon mit einer Gebärde des Abscheus.
»Das ist ein Rest von Demut, liebe Schwester. Ja, ich muß Euch sagen, ich wurde durch eine Art von Rache angetrieben.«
»Von Rache?« – »Ja, von einer sehr natürlichen.«
»Rache gegen mich, Unglücklicher! Bedenkt Ihr auch, was Ihr sagt? Was habe ich Euch Böses zugefügt, daß Euch der Gedanke kommt, Rache an mir zu nehmen?«
»Was Ihr mir getan habt? Ah! Nanon, versetzt Euch an meine Stelle. Ich verlasse Paris, weil ich dort zu viel Feinde hatte; das ist das Unglück aller Politiker. Ich wende mich an Euch, ich flehe Eure Hilfe an. Erinnert Ihr Euch? Ihr habt drei Briefe erhalten. Ihr werdet wohl nicht sagen, Ihr habt meine Handschrift nicht erkannt. Es war ganz die des anonymen Billetts, und überdies hatte ich die Briefe unterzeichnet. Ich schrieb drei Briefe an Euch und bat um hundert armselige Pistolen. Hundert Pistolen von Euch, die Millionen besitzt! Nun wohl, meine Schwester stößt mich zurück. Ich zeige mich bei meiner Schwester, meine Schwester läßt mich abweisen. Ich erfahre, meine Schwester sei frei, glücklich, reich, sehr reich, und ein Fremder, ein Baron von Canolles, maße sich meine Rechte an und lasse sich von ihr an meiner Stelle protegieren. Nun verdrehte mir die Eifersucht den Kopf.«
»Sagt die Habgier. Ich frage Euch, was ging es Euch an, daß ich mit Herrn von Canolles in Verbindung stand?«
»Mich? nichts, und ich hätte nicht daran gedacht, mich darüber zu beunruhigen, wenn Ihr Eure Verbindung mit mir fortgesetzt hättet.«
»Wißt Ihr wohl, daß Ihr, wenn ich ein einziges Wort zu dem Herrn Herzog von Epernon sagte, wenn ich ihm ein unumwundenes Geständnis machte, verloren wärt? Ihr habt selbst soeben und aus seinem eigenen Munde gehört, was für ein Schicksal er dem bestimmt, der ihm sein Blankett gestohlen hat.«
»Sprecht nicht mehr davon; ich schauerte bis ins Mark meiner Knochen, und ich bedurfte meiner ganzen Selbstbeherrschung, um mich nicht zu verraten.«
»Vor allem hört nun zweierlei,« sagte Nanon mit kurzem Tone.
»Was, liebe Schwester? Sprecht, ich bitte Euch.«
»Erstens werdet Ihr dem Herzog das Blankett zurückgeben, sonst hängt man Euch. Ihr habt den Spruch aus seinem eigenen Munde gehört. Sodann entfernt Ihr Euch sogleich von hier, oder ich bin verloren, was Euch zwar an sich nichts ausmacht, aber Ihr stürzt Euch mit mir ins Verderben, ein Grund, der Euch vielleicht bewegen wird, auch mich zu schonen.«
»Zwei Antworten, liebe Dame: Dieses Blankett ist mein Eigentum, und Ihr könnt mich nicht abhalten, mich hängen zu lassen, wenn es mir gefällt.«
»Meinetwegen!«
»Ich danke! Aber seid unbesorgt, es wird dem nicht so sein. Ich habe Euch soeben meinen Widerwillen gegen diese Todesart ausgedrückt. Ich behalte also das Blankett, wenn Ihr nicht etwa Lust habt, es mir abzukaufen, in welchem Fall wir miteinander handeln können.«
»Ich brauche es nicht, ich erteile selbst Blankette.«
»Glückliche Nanon!«
»Ihr behaltet es also?« – »Ja.«
»Auf die Gefahr, was auch daraus entstehen mag?« – »Seid unbesorgt, ich weiß, wo ich es anbringe. In Eurem Verlangen, Euch meiner zu entledigen, vergeßt Ihr eines.«
»Was?« – »Den wichtigen Auftrag, von dem der Herzog gesprochen hat und der mein Glück machen soll.«
Nanon erbleichte.
»Aber, Unglücklicher,« sagte sie, »Ihr wißt wohl, daß dieser Auftrag nicht für Euch bestimmt ist. Ihr wißt wohl, daß ein solcher Mißbrauch mit der Lage der Dinge ein Verbrechen wäre, das früher oder später seine Strafe nach sich ziehen müßte.«
»Ich will auch keinen Mißbrauch, sondern einen Gebrauch davon machen.«
»Überdies ist Herr von Canolles in dem Auftrag genannt.«
»Heiße ich nicht Baron von Canolles?« – »Ja, aber man kennt dort nicht bloß seinen Namen, sondern auch sein Äußeres. Herr von Canolles ist wiederholt bei Hofe gewesen.«
»Das lasse ich mir gefallen, das ist ein guter Grund, und zwar der erste, den Ihr mir angebt; Ihr seht auch, ich füge mich darein.«
»Überdies würdet Ihr dort Eure politischen Feinde finden, und Euer Gesicht ist vielleicht, obgleich Ihr unter einer andern Gestalt erscheint, nicht minder bekannt, als das des Herrn von Canolles.«
»Oh! das würde nichts zu der Sache tun, wenn es, wie der Herzog gesagt hat, Zweck der Sendung ist, Frankreich einen großen Dienst zu leisten. Die Botschaft wird dem Boten