Alexandre Dumas

Der Frauenkrieg


Скачать книгу

Funken sprangen.

      Dieses Rennen dauerte ungefähr eine halbe Stunde; aber statt Boden zu gewinnen, kam es den zwei Flüchtlingen vor, als näherten sich ihre Feinde.

      Plötzlich erhob sich mitten aus der Finsternis eine den Fliehenden gräßlich klingende Stimme, die Pompées graue Haare sich sträuben ließ.

      »Sie rufen: ›Halt‹!« murmelte er, »sie rufen: ›Halt!‹«

      »Nun, sollen wir anhalten?« fragte der Vicomte.

      »Im Gegenteil, verdoppeln wir womöglich unsere Geschwindigkeit! Vorwärts! vorwärts!«

      »Ja, ja, vorwärts! vorwärts!« rief der Vicomte, diesmal ebenso erschrocken wie sein Verteidiger.

      »Sie kommen näher! hört Ihr sie?« sagte Pompée.

      »Ach, ja.«

      »Es sind ihrer mehr als dreißig. Hört Ihr? Sie rufen abermals. Wir sind verloren!«

      »Reiten wir die Pferde tot!« sagte der Vicomte, am ganzen Leibe zitternd.

      »Vicomte! Vicomte!« rief die Stimme. »Halt, halt, halt! alter Schuft!«

      »Das ist einer, der uns kennt. Das ist einer, der weiß, daß wir der Frau Prinzessin Geld bringen. Das ist einer, der weiß, daß wir konspirieren. Wir werden lebendig gerädert!«

      »Halt! halt!« fuhr die Stimme fort.

      »Sie schreien, man solle uns aufhalten,« sagte Pompée, »sie haben Leute voraus; wir sind abgeschnitten!«

      »Wenn wir uns auf die Seite, in dieses Feld hier werfen und unsere Verfolger vorüberziehen lassen?«

      »Das ist ein Gedanke,« sagte Pompée, »vorwärts!«

      Sie ließen ihre Tiere zugleich Zügel und Knie fühlen und wandten sich links. Das Pferd des Vicomte sprang, geschickt gehoben, über den Graben; aber das plumpere Pompées nahm zu wenig Rand; die Erde sank unter seinen Füßen, und es stürzte mit seinem Herrn nieder. Der arme Reitknecht stieß einen Schrei der Verzweiflung aus.

      Der Vicomte, der bereits fünfzig Schritte auf dem Felde gemacht hatte, hörte diesen Unglücksruf, wandte, obgleich selbst voll Schrecken, sein Pferd um und kehrte zu seinem Gefährten zurück.

      »Gnade!« rief Pompée. »Lösegeld! ich ergebe mich! Ich gehöre zu dem Hause Cambes.«

      Ein ungeheures Gelächter antwortete auf dieses klägliche Geschrei, und der Vicomte, der in diesem Augenblick anlangte, sah Pompée den Steigbügel des Siegers umfassen, der ihn mit einer vor Lachen sich schüttelnden Stimme zu beruhigen suchte.

      »Der Herr Baron von Canolles!« rief der Vicomte.

      »Ja, bei Gott! Aber, Vicomte, es ist nicht schön, daß Ihr die Leute, die Euch suchen, so rennen läßt.«

      »Der Herr Baron von Canolles!« wiederholte Pompée, immer noch an seinem Glücke zweifelnd. »Der Herr Baron von Canolles und Herr Castorin?«

      »Ja, Herr Pompée,« sagte Castorin, sich auf den Steigbügeln erhebend, um über die Schultern seines Herrn zu sehen, der lachend sich auf den Sattelknopf beugte. »Was macht Ihr denn da in dem Graben?«

      »Ihr seht es,« erwiderte Pompée; »mein Pferd stürzte in dem Augenblick, wo ich mich, da ich Euch für Feinde hielt, zum Zweck einer kräftigen Verteidigung verschanzen wollte. Herr Vicomte,« fuhr Pompée, aufstehend und sich schüttelnd, fort, »es ist Herr von Canolles.«

      »Wie, mein Herr, Ihr hier?« murmelte der Vicomte mit einer Art von Freude, die unwillkürlich in seinem Tone durchdrang.

      »Wahrhaftig, ja, ich selbst,« antwortete Canolles und schaute den Vicomte mit einer Festigkeit an, die sich durch das Auffinden des Handschuhes erklärte. »Ich langweilte mich zum Sterben in dem Gasthause. Richon verließ mich, nachdem er mir mein Geld abgenommen hatte. Ich erfuhr, Ihr wärt auf der Straße nach Paris abgereist. Glücklicherweise hatte ich in derselben Richtung ein Geschäft und begab mich auf den Marsch, um Euch einzuholen. Ich vermutete nicht, daß ich zu diesem Zwecke mit Sturmeseile jagen mußte. Teufel, mein Herr, was für ein Reiter Ihr seid!«

      Der Vicomte lächelte und stammelte einige Worte.

      »Castorin,« fuhr Canolles fort, »hilf doch Herrn Pompée auf den Sattel; du siehst, daß es ihm trotz seiner Geschicklichkeit nicht gelingen will.«

      Castorin stieg ab und unterstützte Pompée, der nach und nach wieder seinen Sattel erreichte.

      »Nun laßt uns weiter reiten, wenn es Euch gefällig ist,« sagte der Vicomte.

      »Ja,« erwiderte Canolles, »aber ich will Euch nun, um Euch vor Ähnlichem zu bewahren, als Geleite dienen. Eine Verstärkung von zwei Mann wird für Euch nicht überflüssig sein.«

      »Nein, gewiß nicht,« rief Pompée, »die Anzahl bildet die Sicherheit.«

      »Und Ihr, Vicomte, was denkt Ihr von meinem Anerbieten?« fragte Canolles, als er sah, daß der Vicomte seinen höflichen Vorschlag mit weniger Begeisterung aufnahm, als sein Reitknecht.

      »Ich, mein Herr,« versetzte der Vicomte, »ich erkenne darin Eure gewöhnliche Artigkeit und danke Euch aufrichtig dafür. Aber wir verfolgen nicht denselben Weg, und ich müßte fürchten, Euch lästig zu werden.«

      »Wie,« sagte Canolles ärgerlich, da er merkte, daß der Vicomte sein Verhalten vom Gasthaus fortsetzen wollte, »wir verfolgen nicht denselben Weg? Geht Ihr nicht nach ...«

      »Nach Chantilly,« rief eilig Pompée, der bei dem Gedanken zitterte, seine Reise ohne einen andern Gefährten als den Vicomte fortsetzen zu müssen.

      Dieser machte eine sehr bezeichnende Gebärde der Ungeduld, und wenn es Tag gewesen wäre, hätte man sehen können, wie ihm die Röte des Zorns in die Wangen stieg.

      »Vortrefflich!« rief Canolles, ohne daß er den wütenden Blick zu bemerken schien, mit dem der Vicomte den alten Pompée niederschmetterte. »Chantilly ist gerade mein Weg. Ich gehe nach Paris, oder vielmehr,« fügte er lachend hinzu, »seht, Vicomte, ich habe nichts zu tun und weiß nicht, wohin ich gehe. Geht Ihr nach Paris, so gehe ich nach Paris; geht Ihr nach Lyon, so gehe ich nach Lyon; geht Ihr nach Marseille, ich habe längst eine Leidenschaft, die Provence zu sehen, und gehe nach Marseille.«

      »Mein Herr,« versetzte der Vicomte mit einer gewissen Festigkeit, die er ohne Zweifel dem von Pompée angeregten Zorn zu danken hatte, »muß ich es Euch sagen? Ich reise ohne Gesellschaft, wegen persönlicher Angelegenheiten vom höchsten Belang, aus sehr ernsten Gründen, und wenn Ihr auf Eurer Absicht besteht, so nötigt Ihr mich zu meinem großen Bedauern, Euch zu bemerken, daß Ihr mich in meinen Schritten belästigt.«

      Nur die Erinnerung an den kleinen Handschuh, den Canolles auf seiner Brust zwischen Rock und Hemd verborgen hielt, hielt den lebhaften und aufbrausenden Gascogner ab, loszubrechen.

      »Mein Herr,« versetzte er mit ernstem Tone, »ich habe nie sagen hören, die Landstraßen gehören der einen Person mehr, als der andern. Man nennt sie sogar den Weg des Königs, auf den alle das gleiche Recht haben. Auch habe ich nicht die Absicht, Euch zu belästigen. Ich bin sogar hier, um Euch Dienste zu leisten, denn Ihr seid jung, schwach und ohne große Verteidigungsmittel. Ich glaube nicht auszusehen wie ein Mensch, der die Reisenden ausplündert, unterwerfe mich aber Eurem Spruch und kann nur mein Euch widerwärtiges Aussehen verwünschen. Vergebt mir, daß ich Euch lästig war. Ich habe die Ehre, Euch mein Kompliment zu machen. Glückliche Reise!«

      Und Canolles ließ sein Pferd eine leichte Wendung machen und ritt, nachdem er den Vicomte gegrüßt hatte, auf die andere Seite der Straße, wohin ihm Castorin in der Tat und Pompée in der Absicht folgte.

      Canolles spielte diese Szene mit so anmutiger Höflichkeit, mit so verführerischer Gebärde, indem er mit seinem breiten Hut seine reine, von schwarzen, seidenen Haaren beschattete Stirn wieder bedeckte, daß der Vicomte mehr von seiner vornehmen Miene, als von seinem Verfahren gerührt wurde. Der junge Mann beschleunigte hierauf den Gang seines Pferdes, holte Canolles