Lassen Sie sich den da nicht kümmern!« erwiderte Ben-Zouf, während der Gelehrte Isaak Hakhabut mit der Hand abzuwehren suchte.
Es war aber weder leicht, den Juden zurück zu halten, noch ihn am Sprechen zu verhindern. Er nahm immer und immer wieder einen Anlauf, ohne der anderen Anwesenden zu achten.
»Mein Herr, sagte er, im Namen des Gottes Abraham's, Isaak's und Jakob's, geben Sie uns Nachricht von Europa!«
Palmyrin Rosette sprang, wie von einer Feder emporgeschnellt, aus seinem Sessel auf.
»Nachrichten von Europa! rief er. Er will Nachrichten von Europa haben!
– Ja ... ja ... antwortete der Jude, der sich an den Lehnsessel des Professors klammerte, um dem ihn zurückdrängenden Ben-Zouf zu widerstehen.
– Und wozu das? fuhr Palmyrin Rosette fort.
– Um dahin zurückzukehren.
– Dahin zurückkehren! – Welches Datum haben wir doch heute? fragte der Professor nach seinem früheren Schüler gewendet.
– Den zwanzigsten April, antwortete Kapitän Servadac.
– Gut; also heute am zwanzigsten April, erklärte Palmyrin Rosette, dessen Stirn sich wie von leichtem Nachdenken furchte, heute ist Europa nahezu dreiundsiebzig Millionen Meilen von uns entfernt!«
Isaak Hakhabut sank zusammen, als hätte man ihm das Herz aus dem Leibe gerissen.
»Ah, wie mir scheint, weiß man hier noch nichts? fragte Palmyrin Rosette.
– Einiges doch!« antwortete Kapitän Servadac.
Mit kurzen Worten theilte er dem Professor Alles mit. Er erzählte, was sich seit der Nacht des 31. Decembers zugetragen, wie die Dobryna eine Entdeckungsreise unternommen und aufgefunden habe, was noch von den alten Continenten übrig war, nämlich einige Punkte von Tunis, Sardinien, Gibraltar und Formentera; ferner daß seine Documente in drei Fällen in ihre Hände gekommen seien, und endlich, daß man die Insel Gourbi verlassen, um nach Warm-Land überzusiedeln und den alten Wachtposten gegen den Nina-Bau zu vertauschen.
Palmyrin Rosette hatte diesem Berichte nicht ohne einige Zeichen von Ungeduld zugehört. Als Kapitän Servadac geendet hatte, fragte er:
»Nun, meine Herren, wo glauben Sie sich denn augenblicklich zu befinden?
– Auf einem neuen Asteroïden, der durch die Sonnenwelt kreist, erwiderte Kapitän Servadac.
– Und dieser neue Asteroïd wäre Ihrer Ansicht nach? ...
– Ein ungeheures Bruchstück, das aus der Erde gerissen ward.
– Herausgerissen, ah so, herausgerissen! Ein Fragment der Erdkugel! Und durch wen, durch was herausgerissen?
– Durch den Anprall eines Kometen, dem Sie, lieber Professor, den Namen ›Gallia‹ gegeben haben.
– Nun, Sie irren sich doch, meine Herren, erklärte Palmyrin Rosette aufstehend. Die Sache verhält sich noch weit besser!
– Noch weit besser! wiederholte lebhaft Lieutenant Prokop.
– Gewiß, fuhr der Professor fort, gewiß. Es ist ganz richtig, daß ein bisher unbekannter Komet in der Nacht vom 31. December zum 1. Januar, um zwei Uhr siebenundvierzig Minuten und fünfunddreißig Secunden die Erde getroffen hat, aber er hat sie dabei sozusagen nur gestreift und die kleinen Bruchstückchen mit entführt, welche Sie bei Ihrer Entdeckungsfahrt auffanden.
– Und folglich, rief Kapitän Servadac, befinden wir uns ...
– Auf dem Gestirn, welches ich ›Gallia‹ genannt habe, antwortete Palmyrin Rosette triumphirenden Tones. Sie leben jetzt auf meinem Kometen!«
Drittes Kapitel
Einige Variationen über das längst bekannte Thema von den Kometen und anderen Wanderern der Sonnenwelt.
Wenn Professor Palmyrin Rosette einen Vortrag über Kometographie hielt, so definirte er, in Uebereinstimmung mit den hervorragendsten Astronomen, die Kometen folgendermaßen:
»Gestirne mit einem leuchtenden Centralpunkte, dem sogenannten Kerne, mit einer Nebelhülle, welche man auch als Strahlenkranz bezeichnet, und einem schwächer leuchtenden Anhängsel, dem Schweife, wobei diese Gestirne in Folge der großen Excentricität ihrer Bahn für die Bewohner der Erde nur zeitweilig und im Vergleich zur Dauer ihres Umlaufes nur sehr kurze Zeit sichtbar sind.«
Palmyrin Rosette unterließ es auch niemals, hinzuzusetzen, daß seine Definition eine vollkommen treffende sei – freilich mit den Ausnahmefällen, daß diese Gestirne wohl auch ohne Kern und Schweif und ohne Nebelhülle auftreten könnten und dennoch als Kometen zu betrachten seien.
Auch setzte er, nach Arago, stets noch hinzu, daß ein solches Gestirn, um den Ehrennamen eines Kometen zu verdienen, noch: 1. eine eigene Bewegung besitzen und 2. eine sehr verlängerte Ellipse beschreiben müsse, in welcher es sich so weit entferne, um von der Erde und der Sonne aus unsichtbar zu werden. Bei Erfüllung jener ersten Bedingung konnte dann ein solcher Wandelstern nicht mehr mit einem Fixsterne und bei Erfüllung der zweiten auch nicht mit einem Planeten verwechselt werden. War es dann endlich nicht unter die Klasse der Meteore zu bringen, so mußte ein solches Gestirn, das weder ein Fixstern noch Planet war, nothwendig ein Komet sein.
Wenn Professor Palmyrin Rosette in der Art von seinem bequemen Lehnstuhl aus docirte, wiegte er sich immer in dem Glauben, einmal noch von einem Kometen fortgerissen und durch die Sonnenwelt geführt zu sehen.
Unentwegt bewahrte er für diese behaarten oder unbehaarten Gestirne eine ausgesprochene Vorliebe. Ahnte er vielleicht voraus, was ihm die Zukunft wirklich gewähren sollte? In der Kometographie war er, wie man sich leicht denken kann, denn auch ganz besonders sattelfest. Nach dem Zusammenstoße hatte er auf Formentera gewiß nur das Eine schmerzlich vermißt, keinen Zuhörerkreis um sich zu haben; denn in diesem Falle hätte er bestimmt sofort einen Eilcursus über die Kometen begonnen und sein Lieblingsthema in folgender Ordnung abgehandelt:
1 Wie groß ist die Zahl der Planeten im Weltraume?
2 Welche sind die periodischen Kometen, d.h. die, welche nach einer gewissen Zeit wiederkehren, und welche sind die nichtperiodischen?
3 Wie verhält es sich mit der Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes zwischen der Erde und irgend einem jener Kometen?
4 Was würde die Folge eines solchen Stoßes sein, je nachdem der betreffende Komet einen harten Kern besäße oder nicht?
Mit der Beantwortung dieser vier Fragen hätte Palmyrin Rosette gewiß auch die anspruchsvollsten seiner Zuhörer befriedigt.
Eben das wollen wir an seiner Stelle in diesem Kapitel versuchen.
Also die erste Frage lautete: Wie groß ist die Zahl der Planeten im Weltraume?
Keppler nahm an, die Kometen am Himmel seien ebenso zahlreich wie die Fische im Wasser.
Arago hat, unter Zugrundelegung derjenigen dieser Gestirne, welche zwischen Merkur und Sonne gravitiren, die Zahl der übrigen, welche den Raum unseres Sonnensystems berühren, auf siebzehn Millionen berechnet.
Lambert nimmt allein bis zum Saturn, also innerhalb eines Rayons von etwa zweihundertneunzehn Millionen Meilen, deren gegen fünfhundert Millionen an.
Andere Berechnungen ergeben gar vierundsiebzig Millionen Milliarden dieser Himmelskörper.
Die Wahrheit ist, daß man nichts Bestimmtes über die Anzahl der Haarsterne weiß, daß man sie niemals gezählt hat und niemals wird zählen können, aber daß sie jedenfalls sehr zahlreich vorhanden sind. Um den Vergleich Keppler's zu verdeutlichen und zu erweitern, könnte man sagen, daß ein auf der Sonnenoberfläche stehender Fischer seine Angel gar nicht auswerfen könnte, ohne einen Kometen zu fangen.
Und das ist noch nicht Alles. Eine große Anzahl schweift durch das Universum, welche sich dem Einflusse der Sonne vollständig