im dreizehnten Jahrhundert. Vom vierzehnten Jahrhundert an wird der Bauer in steigendem Maße für den Feudalherrn überflüssig, und damit verschlechtert sich seine Lage wieder zusehends. Wenn man ihn nicht verjagt, so deswegen, um den Taglöhner zu ersparen. Die Ländereien des Bauernhofes werden beschnitten, damit das Gebiet der Gutsherrschaft vergrößert werden kann, oft bleibt dem Bauer nichts als eine Hütte und etwas Gartenland. Die Frondienste der Bauern wurden natürlich nicht entsprechend beschnitten. Im Gegenteil, sie wurden ins Ungemessene verlängert. Die Produktion für den Selbstgebrauch hat eine gewisse Grenze, das Bedürfnis der zu Versorgenden, auch dort, wo sie auf der Zwangsarbeit beruht. Der Warenproduktion mit Zwangsarbeit ist dagegen dieselbe maßlose Profitwut eigen wie dem Kapitalismus: Geld kann man nie genug haben. Es fehlt ihr aber die eine Schranke des Kapitalismus, die diesem mitunter fühlbar wird, die Widerstandskraft des freien Arbeiters.
Die Warenproduktion mit Zwangsarbeit ist daher die scheußlichste Form der Ausbeutung. Die orientalische patriarchalische Sklaverei erscheint als eine Idylle gegenüber der Sklaverei, wie sie in den Zucker- und Baumwollplantagen der Südstaaten der Union noch vor wenigen Jahrzehnten herrschte. Und so war auch die Leibeigenschaft der Feudalzeit unvergleichlich milder als die, welche aus der Entwicklung der Warenproduktion erwuchs. (Vergleiche Marx, Kapital, 1. Band, S. 219 [Fabrikant und Bojar].)
Die kapitalistische Produktionsweise in den Städten förderte mitunter die Leibeigenschaft. Der Kapitalismus bedurfte zu seiner Entwicklung massenhafter Zufuhr von Rohstoffen, wie sie damals mitunter nur der landwirtschaftliche Großbetrieb mit Leibeigenen leisten konnte. Die Leibeigenschaft in Europa war in der Tat zu gewissen Zeiten ebenso eine Lebensbedingung für die kapitalistische Produktionsweise, wie später die Sklaverei in Amerika.
Noch 1847 konnte Marx schreiben: »Die direkte Sklaverei ist der Angelpunkt der bürgerlichen Industrie, ebenso wie die Maschinen usw. Ohne Sklaverei keine Baumwolle, ohne Baumwolle keine moderne Industrie. Nur die Sklaverei hat den Kolonien ihren Wert gegeben; die Kolonien haben den Welthandel geschaffen; und der Welthandel ist die Bedingung der Großindustrie.« (Marx, Das Elend der Philosophie, Stuttgart 1885. S. 103.) – Noch vor wenigen Jahrzehnten, während des Sezessionskrieges, erklärten die englischen Kapitalisten die Sklaverei der Südstaaten für eine notwendige Existenzbedingung der englischen Industrie.
Nichts komischer, als wenn Großgrundbesitz und Kapital sich um die Liebe der Arbeiterklasse bewerben: »Ich bin der natürliche Schützer des Arbeiters,« ruft jener; »ich will, daß jeder seine feste Stellung in der Gesellschaft habe, daß es keine Proletarier gebe.« »Höre nicht auf die Lockungen,« ruft der Kapitalist, »ich bin es, der dich aus dem Joche der Leibeigenschaft erlöst hat.«
In Wirklichkeit haben Grundbesitz und Kapital einander nichts vorzuwerfen; nicht nur das Kapital, auch der Grundbesitz hat an der »Befreiung« der Arbeiter von der Scholle mitgearbeitet; andererseits hat auch das Kapital für Leibeigenschaft und Sklaverei geschwärmt, wo es ihm paßte.
4. Die ökonomische Überflüssigkeit des neuen Adels.
Die Entwicklung der Warenproduktion führte dazu, daß die Formen des Feudalismus zur größtmöglichen Ausbeutung des ländlichen Arbeiters ausgenutzt wurden, den man kaum mehr Bauer nennen kann.
Indes die Ausbeutung des Leibeigenen wuchs, schwand die Notwendigkeit des Feudaladels rasch dahin. Im Mittelalter hatte nicht nur der Feudalherr zu seiner Erhaltung des Bauern bedurft, sondern dieser auch des Feudalherrn, der ihn vor Vergewaltigung schützte, ihm einen Teil seiner gerichtlichen und administrativen Pflichten gegenüber dem Gemeinwesen abnahm und ihn vor allem von der erdrückenden Last des Kriegsdienstes befreite.
Mit der Entwicklung des modernen Staates wurden die Gründe immer hinfälliger, die den Bauer im Anfange des Mittelalters in die Abhängigkeit trieben. Je stärker die staatliche Zentralgewalt wurde, je mehr die Polizei die inneren Fehden unterdrückte und der Adel aufhörte, eine selbständige militärische Macht zu besitzen, desto überflüssiger wurde es für den Bauern, einen Herrn zu haben, der ihn gegen die Mächtigen schützte. Der Schutz- und Schirmherr wurde jetzt derjenige, gegen den er des meisten Schutzes bedurfte.
Der Feudalherr hatte dem Bauer die Last des Kriegsdienstes abgenommen und sie auf sich geladen. Der moderne Staat nahm sie dem Feudalherrn ab und lud sie wieder dem Bauer auf. An Stelle des Ritterheers trat, wie schon erwähnt, das Söldnerheer, das sich aus Bauern rekrutierte: entweder aus den zugrunde gegangenen oder, sobald diese Quelle schwächer floß, aus den noch seßhaften Bauern. Aus der Werbung wurde bald eine wenig verblümte Pressung. Der Bauer war es auch, dem die Erhaltung des Heeres zufiel; die Soldaten wurden bei ihm einquartiert, und zu den Abgaben an Adel und Kirche gesellten sich die Geldabgaben an den Staat, hauptsächlich zur Erhaltung des Heeres. Wohl prahlte der Adel nach wie vor, daß er der zur Verteidigung des Vaterlandes auserkorene Stand sei, aber seine ganze Ritterlichkeit bestand jetzt darin, daß er sich die gut bezahlten Offiziersstellen vorbehielt.
Auch an der Landesverwaltung und Gerichtsbarkeit hatte der Grundbesitz immer weniger Anteil; sie fielen immer mehr der Bureaukratie zu, zu deren Erhaltung der Bauer natürlich auch beitragen mußte. Was sich von der alten feudalen Gerichtsbarkeit in den Patrimonialgerichten noch erhielt, wurde nur ein neuer Hebel zur Vermehrung der Ausbeutung.
Von allen Diensten, die der Adel einst dem Bauer erwiesen und wofür dieser ihm seine Gegenleistungen abstattete, blieb keiner übrig, indes die Leistungen des Bauern maßlos ausgedehnt wurden.
Schließlich wurden die feudalen Lasten und Schranken zu einer wahren Fessel der Produktion, welche dringend danach verlangte, daß die ländliche Warenproduktion den feudalen Charakter gänzlich abstreife. Die feudale Aneignungsweise geriet in Widerspruch mit den Forderungen der Produktionsweise. Der feudale Adel, längst überflüssig geworden, wurde von diesem Punkte an entschieden schädlich, seine Beseitigung ein Gebot der Notwendigkeit.
Wir können auf diese weitere Entwicklung hier nicht näher eingehen, da in dem von uns behandelten Zeitraum nur ihre Anfänge sichtbar werden. Der erste und, wenn auch nicht der Form, so doch dem Endziel nach, schüchterne Protest gegen diese Anfänge des eben gekennzeichneten modernisirten, den Bedürfnissen der Warenproduktion angepaßten Feudalismus waren die Bauernkriege. Sie bildeten gleichzeitig eine der letzten krampfhaften Zuckungen der ersterben-den Markgenossenschaft; sie waren aber auch die Vorläufer der großen Revolution von 1789.
5. Das Rittertum.
Zwischen dem großen Adel und den Bauern stand der niedere Adel, die Ritter, zum großen Teil Nachkommen der alten, gemeinfreien Bauern, die infolge günstiger Umstände ihre Freiheit zu wahren gewußt hatten. Dem Lehndienst an einen Mächtigeren hatten sie sich freilich nicht entziehen können, aber sie waren frei von grundherrlichen Leistungen und Abgaben. (G.L.v. Maurer, Einleitung zur Geschichte der Mark-, Hof-, Dorf- und Stadtverfassung und der öffentlichen Gewalt. München 1854. S. 236 ff.)
Der Ritter stand zwischen dem großen Grundherrn und dem Bauern, wie heute der Kleinbürger zwischen dem Kapitalisten und dem Arbeiter steht. Und er spielte auch eine ähnliche schwankende Rolle, ging heute mit den Bauern gegen die Fürsten, um morgen mit den Fürsten gegen die Bauern zu gehen, sobald diese gefährlich wurden. Der Typus dieses Rittertums ist Götz von Berlichingen. Natürlich fehlte es auch nicht an Rittern, die mit vollem Herzen für die Sache der Bauern eintraten: wer hat nicht schon von Florian Geyer gehört? Aber in der Mehrzahl blieben sie unzuverlässig. Selbst Huttens Stellung gegenüber den Bauern war keine entschiedene.
Ob das Rittertum für die Sache der Bauern oder der Grundherren eintrat, sein Untergang als selbständige Klasse war nicht aufzuhalten. Entweder gelang es dem Ritter, in die Klasse der großen Grundherren aufzusteigen, seine Güter so sehr zu erweitern, daß er zur Warenproduktion übergehen konnte, oder sein Grundbesitz wurde bedeutungslos, oft die Beute eines mächtigen Nachbarn, stets unzureichend, dem Ritter einen »standesgemäßen« Unterhalt zu gewähren. Dieser war gezwungen, von der Bildfläche als Grundbesitzer zu verschwinden und in den Städten sein Fortkommen zu suchen als Kaufmann oder, was für weniger entwürdigend galt, als Literat im Gefolge eines großen Herrn, namentlich aber als eine Art höherer Lakaien und Leibgardisten des Fürsten. Der Ritter wurde zum Höfling oder zum Landsknecht.
In Spanien, England