vermeinte. Ein wahnsinniger Luxus entfaltete sich, der unendliche Summen ver-schlang.
Allen diesen Ausgaben waren die Einnahmen aus dem feudalen Grundbesitz der Könige lange nicht gewachsen. Sie begannen Geldabgaben zu erheben; aber den größten Teil des Ertrags derselben hatten sie aus den reichen Städten zu erwarten, die damals nicht mit sich spassen ließen. Die Könige begannen daher, sich ihrer Zustimmung zu den Abgaben zu versichern, die sie ihnen auflegen wollten; die Städte wurden aufgefordert, als dritter Stand Abgeordnete zu senden, um neben den beiden anderen Ständen, dem Adel und der Geistlichkeit, mit dem König den Betrag der auszuschreibenden Steuern zu vereinbaren. Wo die Städte genügende Macht hatten, verstanden sie sich zu solchen Steuern nur unter gewissen Bedingungen; in England entwickelte sich daraus unter besonders günstigen Umständen – namentlich infolge der Vereinigung der kleineren Grundbesitzer mit dem Bürgertum – die gesetzgebende Gewalt des Parlaments.
Aber die Geldbewilligungen waren nur selten genügend, die Lücken zu füllen, die ewige Kriege und maßlose höfische Verschwendung in den Schatzkammern der Landesfürsten rissen. Die meisten derselben waren in ewiger Verlegenheit, trotzdem die Steuern das Volk auf das ärgste bedrückten: aus dieser unangenehmen Klemme halfen ihnen bereitwilligst die reichen Handelsherren und Bankiers, natürlich nicht umsonst, sondern meist gegen Verpfändung eines Teiles des Staatseinkommens. Die Staatsschulden begannen, die Staaten und ihre Häupter wurden Schuldknechte des Kapitals, sie hatten seinen Interessen zu dienen.
»Es ist der größte Irrtum, wenn man glaubt, das Verfahren, Staatsbedürfnisse durch Anleihen zu decken, sei erst durch Wilhelm III. in England eingeführt worden. Von undenklich langer Zeit her hatte jede englische Regierung die Gewohnheit gehabt, Schulden zu kontrahieren. Nur die Gewohnheit, sie ehrlich zu bezahlen, wurde durch die bürgerliche Revolution eingeführt.« (Macauley, Geschichte von England. Deutsch von Lemcke. 1. Band, S. 211.) Dem Volke gegenüber wuchs die Macht des Absolutismus. Sie wuchs gegenüber Bauern und Handwerkern, gegenüber Adel und Klerus. Aber durch den Absolutismus kamen diesen gegenüber zur Geltung die Anschauungen und Interessen der Handelsherren, der Bankiers und der Landspekulanten.
Die Auffassung, daß ein monarchisches Staatsoberhaupt notwendig und unentbehrlich sei, und daß es bloß darauf ankomme, es den Interessen des Bürgertums dienstbar zu machen, diese Auffassung ist heute noch die der Masse der Bourgeoisie. Der Kampf des achtzehnten Jahrhunderts, der zur großen Revolution führte, drehte sich wesentlich darum, ob das Königtum Werkzeug des Adels und der Geistlichkeit oder des dritten Standes sein solle. Wohl kannten die Ideologen des Bürgertums bäuerliche und aristokratische Republiken, aber kaum einem kam der Gedanke einer bürgerlichen Republik. Die Philosophen der »Aufklärung« scharten sich vielmehr um den »aufgeklärten«, das heißt in ihrem Sinne wirkenden Despotismus. Erst die Macht der Tatsachen zwang den Franzosen die bürgerliche Republik auf; diese, das Königtum ohne König, wurde mit den bürgerlichen Verhältnissen erst dann verträglich, als der Mechanismus der zentralisierten Armee und Bureaukratie vollständig eingerichtet und im Gange war.
Zweites Kapitel. Der Grundbesitz.
1. Feudaler und kapitalistischer Landhunger.
Die Warenproduktion und der Warenhandel erzeugten nicht nur neue Klassen mit neuen Interessen und neuen Anschauungen. Sie wandelten auch die Klassen, die sie vorfanden, entsprechend um. Die neuen Bedürfnisse, welche sie hervorriefen, wanderten aus den Städten auf das flache Land und erzeugten dort ebenso wie hier das Bedürfnis und die Gier nach Gold und Silber, den Waren, die alles kauften. Damit erwuchs auch die Notwendigkeit, den Feudalismus den neuen Produktionsbedingungen anzupassen, aus dem Grundbesitz eine Geldquelle zu machen; die Landwirtschaft mußte zur Warenproduktion übergehen; der Landwirt mochte fortfahren, zum Selbstgebrauch zu produzieren, aber er mußte daneben noch einen Überschuß herstellen, der als Ware auf den Markt gebracht werden konnte.
Diesen Markt bot die Stadt. Sie brauchte nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Rohstoffe in immer steigendem Maße, nicht nur Korn und Fleisch, Käse und Butter, sondern auch Wolle und Flachs, Häute, Holz usw...
Unter gewissen Umständen wurde dadurch der Bauer instand gesetzt, Warenproduzent zu werden. Die Landwirtschaft wurde dann eine Geldquelle, und wo dies der Fall war, lag es ebenso im Vermögen, wie im Interesse des Bauern, die persönlichen Dienste und die Naturallieferungen, zu denen er dem Feudalherrn gegenüber verpflichtet war, in Geldabgaben zu verwandeln. Unter besonders günstigen Verhältnissen vermochte er sich sogar vom Joche der Feudalität völlig zu befreien.
Ebensosehr wie diese Bauern trachteten auch die Feudalherren nach Umwandlung der feudalen Leistungen in Geldabgaben. Aber diese Umwandlung war nur unter besonders günstigen Umständen dem Bauern förderlich. Sie wurde ihm verderblich, wenn die landwirtschaftliche Warenproduktion nicht genügend entwickelt war. Für die englischen Bauern war sie allerdings ein Mittel der Lockerung der feudalen Bande, für die Masse der Bauern Deutschlands wurden die Geldabgaben eine Geißel, die sie zur Verzweiflung trieb und ruinierte, ohne den Feudalherren einen erheblichen Vorteil zu bringen.
Indessen hatten die englischen Bauern sich ihrer günstigen Lage nicht lange zu freuen. Die Warenproduktion verlieh dem Grund und Boden selbst den Charakter einer Ware und damit einen Wert, der nicht bestimmt wurde durch die Zahl der Bewohner, die er ernährte, sondern durch den Überschuß, den er lieferte. Je geringer die Zahl seiner Bebauer im Verhältnis zum Erträgnis, und je anspruchsloser deren Lebenshaltung, desto erheblicher der Überschuß, desto größer der Grundwert.
Im ganzen westlichen Europa sehen wir daher am Ausgang des Mittelalters und dem Beginn der neuen Zeit zwei eigentümliche Erscheinungen: es ersteht ein Hunger nach Land, und zwar namentlich nach solchem Land, das zu seiner Bewirtschaftung wenig Hände benötigt, z. B. Wälder und Weiden. Und gleichzeitig damit geht das Bestreben, die landwirtschaftliche Bevölkerung möglichst zu lichten, teils dadurch, daß man Kulturen, die viele Hände erfordern, durch andere ersetzt, die weniger Hände beanspruchen, teils durch Vermehrung der Arbeitslast der einzelnen Landbebauer, so zum Beispiel dadurch, daß jetzt zwei Leute leisten, was bisher drei geleistet haben, und der dritte überflüssig wird.
Auch die Feudalzeit hatte ihren Landhunger, der ebenso gierig war, wie der der Neuzeit; aber sein Charakter war ein ganz anderer. Die alten Feudalherren waren lüstern nach dem Lande mit den Bauern, die neuen Herren verlangten nach dem Lande der Bauern.
Was der Feudaladel verlangte, das war nicht Land allein, sondern Land und Leute. Je dichter besiedelt sein Grund und Boden war, desto größer die Zahl der Abgaben Entrichtenden und Dienste Leistenden, desto größer das kriegerische Gefolge, das er erhalten konnte. Das Streben des mittelalterlichen Adels ging nicht dahin, die Bauern zu verjagen, sondern sie an die Scholle zu fesseln und soviel als möglich neue Ansiedler heranzuziehen.
Anders der neue Adel. Da die Bauernschinderei nicht Geld genug abwarf, sah er sich immer mehr gezwungen, selbst zur Warenproduktion überzugehen, eigene landwirtschaftliche Betriebe einzurichten – in England wurden diese bald an kapitalistische Pächter übergeben –: dazu bedurfte man eines Teiles des Bauernlandes, aber nicht seiner Inhaber. Man hatte alles Interesse daran, sie zu vertreiben.
Dazu kam, daß, wie erwähnt, Weiden und Wälder einen Wert erhielten. Die Feudalherren fingen jetzt an, die Gemeinweiden und Gemeinwälder als Privateigentum an sich zu ziehen und die Bauern von deren Benutzung auszuschließen.
Von den Gemeinweiden hing aber die Erhaltung des Viehstandes des Bauern ab; das Rindvieh wiederum war für ihn nicht nur nützlich wegen des Ertrags an Milch, Fleisch und Häuten, sondern geradezu unentbehrlich für den Ackerbau als Zugvieh und Düngerlieferant. Die Wälder waren für den Bauern wichtig wegen der Jagd, der Holz- und Streunutzung und auch als Weidegrund für die Schweine. Mit den Gemeinwäldern und Gemeinweiden wurden also dem Bauern wichtige Betriebsmittel entzogen; und gleichzeitig ruinierten ihn, wie schon erwähnt, die Geldabgaben. Kein Wunder, daß ein Bauer nach dem anderen zugrunde ging und aus seinem Heime vertrieben wurde, nicht durch das »Judentum«, sondern durch den christlich-germanischen Adel. Wo der ökonomische Prozeß das Bauernlegen nicht so schnell vorangehen ließ, als den Interessen des Grundherrn entsprach, half dieser vielfach nach durch Prozesse auf Grundlage eines den Bauern unbekannten Rechtes,