war voll von Soldaten. Andere rannten mit gezückten Schwertern die Zimmer aus und ein. In einer Ecke kauerte dicht zusammengedrängt eine Gruppe von Frauen, die um Schonung baten. An einer andern Stelle rang eine Frau mit einem der Soldaten und suchte sich von ihm loszureißen, so daß dieser seine ganze Kraft anwenden mußte, um sie festzuhalten. Ihr Kleid war zerrissen; das Haar hing ihr in langen Strähnen über das Gesicht; ihre Rufe übertönten jeden andern Lärm, so daß sie deutlich vernehmbar bis zum Dache hinausdrängen. Die Angst beflügelte Judahs Schritte; mit einem Satze war er bei ihr.
»Mutter, Mutter!« rief er aus. Sie streckte die Hand nach ihm, aber eben als er sie fassen wollte, wurde er ergriffen und zurückgerissen. Dann hörte er, wie jemand rief: »Der ist es!« Judah schaute um sich und erblickte Messala.
»Was, dieser ist der Meuchler?« fragte ein stattlicher Legionär in prächtigem Waffenschmucke. »Er ist ja noch ein Knabe!«
Die Liebe zu den Seinigen ließ Judah den Streit vergessen, den er mit dem Jugendfreunde gehabt hatte.
»Hilf ihnen, Messala! Gedenke unserer Knabenzeit und hilf ihnen! Ich – Judah – bitte dich!«
Messala tat, als hörte er ihn nicht. »Ich kann hier nicht weiter von Nutzen sein,« sagte er, zum Offizier gewendet. »Auf der Straße unten gibt es bessere Beschäftigung. Nieder mit Eros, hoch Mars!«
Mit diesen Worten entfernte er sich. Judah verstand ihn, und in der Bitterkeit seiner Seele flehte er zum Himmel: »In der Stunde deiner Rache, o Herr, sei mein die Hand, die ihn treffen soll!«
Mit Mühe konnte er sich einen Weg zum Offizier bahnen. »Herr,« rief er, »jene Frau ist meine Mutter. Verschone sie, verschone meine Schwester dort! Gott ist gerecht, er wird Barmherzigkeit für Barmherzigkeit erweisen.«
Der Mann schien bewegt. »In den Turm mit den Frauen,« rief er; »aber tut ihnen kein Leid! Ihr seid mir für sie verantwortlich.« Dann wandte er sich zu denen, welche Judah festhielten, und sprach: »Holet Stricke und bindet ihm die Hände, dann führt ihn auf die Straße hinab. Seiner Strafe soll er nicht entgehn.« Die Mutter wurde hinweggetragen. Die kleine Tirzah war ganz betäubt vor Furcht und ging in ihrem Hauskleide ohne Widerstreben mit den Soldaten, welche sie fortführten. Judah warf einen letzten Blick auf beide und barg dann das Gesicht in seine Hände, als ob er sich ihre Züge unvertilgbar einprägen wolle. Vielleicht vergoß er auch Tränen, doch niemand sah sie. Die Ereignisse dieses Tages hatten in Judah eine plötzliche Umwandlung bewirkt, er war aus einem Jüngling ein Mann geworden. Mit entschlossenem Gesicht bot er seine Arme den Fesseln dar.
Ein Trompetensignal erscholl im Hofe, die Soldaten sammelten sich. Als Judah hinabstieg, standen sie bereits in Marschordnung. Seine Mutter und Schwester sowie das gesamte Gesinde wurden durch das nördliche Eingangstor geführt, dessen Trümmer den Weg versperrten. Herzzerbrechend war das Weinen der Dienstpersonen, deren manche im Hause geboren waren.
Als endlich auch die Pferde und der gesamte Viehstand des Hauses fortgetrieben wurden, begann Judah den ganzen Umfang der Rache des Prokurators zu erfassen. Das Gebäude und alles, was dazu gehörte, war ihr verfallen. Sollte es in Judäa noch andere geben, die so verwegen waren, auf die Ermordung eines römischen Statthalters zu sinnen, so sollte ihnen die Geschichte vom Schicksal der fürstlichen Familie Hur zur Warnung dienen.
Der Offizier wartete draußen, indes eine Abteilung Soldaten das Tor einstweilen verrammelte. Auf der Straße hatte der Kampf beinahe aufgehört, die Legionäre standen größtenteils ruhig in Reih und Glied, sie hatten nichts von ihrem Glanze und ihrer Stärke eingebüßt.
Seiner eigenen Lage vergessend, war Judah nur um die Gefangenen besorgt, unter denen er vergebens nach seiner Mutter und Schwester spähte. Da erhob sich plötzlich ein Weib von der Erde, wo sie sich niedergekauert hatte, und rannte zurück nach dem Tore. Vor Judah sank sie nieder und umfaßte seine Knie, ihr Gesicht war vom staubbedeckten schwarzen Haar, das wirr vom Kopfe herabfiel, fast ganz verhüllt.
»O Amrah, gute Amrah,« sprach er, »helfe dir Gott. Sorge für Tirzah und meine Mutter! Sie werden zurückkehren und –«
Ein Soldat zog sie weg. Sie sprang behende auf und eilte durch das Tor und den Gang in den leeren Hofraum.
»Laßt sie nur!« rief der Offizier. »Wir werden Siegel an das Haus legen und es verriegeln; dann muß sie verhungern.«
Die Soldaten nahmen ihre Arbeit wieder auf; als sie damit fertig waren, begaben sie sich nach der Westseite und verriegelten auch den dortigen Eingang. Der Palast der Familie Hur stand nun öde und leer.
Die Kohorte marschierte nach der Burg zurück. Der Prokurator verweilte hier längere Zeit, um sich von seiner Verletzung zu erholen und über die Gefangenen Verfügungen zu treffen.
Am folgenden Tage kam eine Abteilung Soldaten zum verödeten Palast. Die Ecken der Torflügel wurden mit Wachs versiegelt und an die Mauern ein Plakat geheftet, auf welchem in lateinischer Sprache die Worte standen: »Dies ist Eigentum des Kaisers.«
Die selbstbewußten Römer waren überzeugt, daß diese einfache Ankündigung ihrem Zwecke entsprechen würde.
Wiederum einen Tag später zog ein Trupp von zehn Berittenen unter Anführung eines Hauptmannes von Jerusalem nordwärts gegen Nazareth und näherte sich dem Orte um die Mittagszeit. Nazareth war damals ein unbedeutendes Dorf mit wenigen Häusern, die an einem Hügelabhang zerstreut standen, die einzige Straße war kaum mehr als ein von den Herden ausgetretener Pfad. Das Tal am Fuße des Hügels und die ganze Umgebung waren mit Obst- und Gemüsegärten, Weinbergen und Weideplätzen bedeckt. Vereinzelte Palmen- und Olivenhaine gaben der Landschaft ihr orientalisches Gepräge.
Als der Reitertrupp sich dem Dorfe näherte, erscholl ein Trompetenstoß, der wie ein Zauber auf die Einwohner wirkte. Sie stürmten in Gruppen aus den Häusern heraus, da jeder den Grund des ungewöhnlichen Besuches zuerst erfahren wollte.
Es war ein Gefangener unter der Obhut der Reiter, der bald die Neugierde der Dorfbewohner erregte. Er ging zu Fuß, mit bloßem Kopf, zerrissenen Kleidern und auf den Rücken gebundenen Händen. An seinen Handgelenken war ein Riemen befestigt, der um den Hals eines Pferdes geschlungen war. Der Reiterzug wirbelte derart Staub auf, daß der Gefangene fast beständig in eine gelbliche Wolke gehüllt war. Völlig kraftlos und wund an den Füßen, taumelte er mehr als er ging. Die Dorfbewohner aber konnten erkennen, daß er sehr jung war.
Am Brunnen angelangt, machte der Zug Halt. Der Hauptmann stieg vom Pferde und die meisten der Reiter folgten seinem Beispiele. Der Gefangene sank wie betäubt in den Staub der Straße. Er bat um keine Labung, augenscheinlich hatte seine Erschöpfung den höchsten Grad erreicht.
Gern hätten die Dorfbewohner, da sie näher gekommen waren und sein jugendliches Alter erkannten, ihm geholfen, allein sie wagten es nicht. Während sie so neugierig und ratlos umherstanden und die Wasserkrüge unter den Soldaten von Mund zu Mund gingen, kam ein Mann die Straße von Sapphoris herab. Eine Frau rief, sobald sie ihn bemerkt hatte: »Seht, da kommt der Zimmermann! Jetzt werden wir wohl etwas erfahren.«
Der Mann, von dem sie sprach, hatte ein sehr ehrwürdiges Aussehen. Dünne weiße Locken quollen unter dem Rande seines Turbans hervor, während ein reicher Bart, der womöglich noch weißer war, auf die Vorderseite seines groben grauen Gewandes herabwallte. Beim Brunnen angelangt, blieb er stehn und trat dann zum Hauptmann.
»Der Friede des Herrn sei mit dir!« sprach er mit unvermindertem Ernst.
»Und derjenige der Götter mit dir!« entgegnete der Hauptmann.
»Euer Gefangener ist noch jung!«
»An Jahren, ja.«
»Darf ich fragen, was er verbrochen hat?«
»Er ist ein Meuchelmörder!«
Erstaunt wiederholten sich die Leute das Wort. Rabbi Josef aber fuhr fort zu fragen: »Ist er ein Sohn Israels?«
»Er ist ein Jude,« antwortete der Römer trocken.
Das bereits im Schwinden begriffene Mitleid der Umstehenden wurde neuerdings rege.
»Ich