Balthasar Gracian

Gracians Orakel der Weltklugheit


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      Denken wie die Wenigsten und reden wie die Meisten.

      Gegen den Strom schwimmen zu wollen, vermag keineswegs den Irrthum zu zerstören, sehr wohl aber, in Gefahr zu bringen. Nur ein Sokrates konnte es unternehmen. Von Andrer Meinung abweichen, wird für Beleidigung gehalten; denn es ist ein Verdammen des fremden Urtheils. Bald mehren sich die darob Verdrießlichen, theils wegen des getadelten Gegenstandes, theils wegen dessen, der ihn gelobt hatte. Die Wahrheit ist für Wenige, der Trug so allgemein wie gemein. Den Weisen wird man nicht an dem erkennen, was er auf dem Marktplatz redet: denn dort spricht er nicht mit seiner Stimme, sondern mit der der allgemeinen Thorheit, so sehr auch sein Inneres sie verleugnen mag. Der Kluge vermeidet eben so sehr, daß man ihm, als daß er Andern widerspreche: so bereit er zum Tadel ist, so zurückhaltend in der Aeußerung desselben. Das Denken ist frei, ihm kann und darf keine Gewalt geschehn. Daher zieht der Kluge sich zurück in das Heiligthum seines Schweigens: und läßt er ja sich bisweilen aus; so ist es im engen Kreise Weniger und Verständiger.

      Mit großen Männern sympathisiren.

      Es ist eine Eigenschaft der Heroen, mit Heroen übereinzustimmen. Hierin liegt ein Wunder der Natur, sowohl wegen des Geheimnißvollen darin, als auch wegen des Nützlichen. Es giebt eine Verwandtschaft der Herzen und Gemüthsarten: ihre Wirkungen sind solche, wie die Unwissenheit des großen Haufens sie Zaubertränken zuschreibt. Sie bleibt nicht bei der Hochachtung stehn, sondern geht bis zum Wohlwollen, ja bis zur Zuneigung. Sie überredet ohne Worte und erlangt ohne Verdienst. Es giebt eine aktive und eine passive: beide sind heilbringend, und um so mehr, in je erhabenerer Gattung. Es ist eine große Geschicklichkeit, sie zu erkennen, zu unterscheiden und sie zu nutzen zu verstehen. Denn kein Eigensinn kann ohne diese geheime Gunst zum Zwecke führen.

      Von der Schlauheit Gebrauch, nicht Mißbrauch machen.

      Man soll sich nicht in ihr gefallen, noch weniger sie zu verstehn geben. Alles Künstliche muß verdeckt bleiben, weil es verdächtig ist, besonders aber, wenn es Vorsichtsmaaßregeln betrifft; denn da ist es verhaßt. Der Betrug ist stark im Gebrauch; daher verdoppele sich der Verdacht, ohne jedoch sich zu erkennen zu geben; weil er sonst Mißtrauen erregt, sehr kränkt, zur Rache auffordert und Schlechtigkeiten erweckt, an welche vorher Keiner gedacht hatte. Mit Ueberlegung zu Werke gehn, ist ein mächtiger Vortheil beim Handeln, und es giebt keinen sicherern Beweis von Vernunft. Die größte Vollkommenheit der Handlungen stützt sich auf die sichere Meisterschaft, mit der man sie ausführt.

      Seine Antipathie bemeistern.

      Oft verabscheuen wir aus freien Stücken, und sogar ehe wir die Eigenschaften der betreffenden Personen kennen gelernt haben: bisweilen wagt dieser angeborene, pöbelhafte Widerwille sich selbst gegen die ausgezeichnetesten Männer zu regen. Die Klugheit werde Herr über ihn: denn nichts kann eine schlechtere Meinung von uns erregen, als daß wir die verabscheuen, welche mehr werth sind als wir. So sehr als die Sympathie mit großen Männern zu unserm Vortheil spricht, setzt die Antipathie gegen dieselben uns herab.

      Ehrensachen meiden.

      Einer der wichtigsten Gegenstände der Vorsicht. In Leuten von umfassendem Geiste liegen stets die Extreme sehr weit von einander entfernt, so daß ein langer Weg vom einen zum andern ist: sie selbst aber halten sich immer im Mittelpunkt ihrer Klugheit, daher sie es nicht leicht zum Bruche kommen lassen. Denn es ist viel leichter einer Gelegenheit dieser Art auszuweichen, als mit Glück aus derselben herauszukommen. Dergleichen sind Versuchungen unsrer Klugheit, und es ist sicherer sie zu fliehen, als in ihnen zu siegen. Eine Ehrensache führt eine andre und schlimmere herbei, und dabei kann die Ehre leicht sehr zu Schaden kommen. Es giebt Leute, die, vermöge ihres eigenthümlichen oder ihres National-Karakters, leicht Gelegenheit nehmen und geben, und geneigt sind Verpflichtungen dieser Art einzugehn. Hingegen bei dem, der am Lichte der Vernunft wandelt, bedarf die Sache längerer Ueberlegung. Er sieht mehr Muth darin, sich nicht einzulassen, als zu siegen: und wenn auch etwa ein allezeit bereitwilliger Narr da ist, so bittet er zu entschuldigen, daß er nicht Lust hat, der andre zu seyn.

      Gründlichkeit und Tiefe:

      nur so weit man diese hat, kann man mit Ehren eine Rolle spielen. Stets muß das Innere noch einmal soviel seyn, als das Aeußere. Dagegen giebt es Leute von bloßer Fassade, wie Häuser, die, weil die Mittel fehlten, nicht ausgebaut sind und den Eingang eines Pallasts, den Wohnraum einer Hütte haben. An solchen ist gar nichts, wobei man lange weilen könnte, obwohl sie langweilig genug sind; denn, sind die ersten Begrüßungen zu Ende, so ist es auch die Unterhaltung. Mit den vorläufigen Höflichkeitsbezeugungen treten sie wohlgemuth auf, wie Sicilianische Pferde, aber gleich darauf versinken sie in Stillschweigen: denn die Worte versiegen bald, wo keine Quelle von Gedanken fließt. Andre, die selbst einen oberflächlichen Blick haben, werden leicht von diesen getäuscht; aber nicht so die Schlauen: diese gehn aufs Innere und finden es leer, bloß zum Spotte gescheuter Leute tauglich.

      Scharfblick und Urtheil.

      Wer hiemit begabt ist bemeistert sich der Dinge, nicht sie seiner: die größte Tiefe weiß er zu ergründen und die Fähigkeiten eines Kopfs auf das vollkommenste anatomisch zu zerlegen. Indem er einen Menschen sieht, versteht er ihn und beurtheilt sein innerstes Wesen. Er macht seine Beobachtungen und versteht meisterhaft das verborgenste Innere zu entziffern. Er bemerkt scharf, begreift gründlich und urtheilt richtig: Alles entdeckt, sieht, faßt und versteht er.

      Nie setze man die Achtung gegen sich selbst aus den Augen,

      und mache sich nicht mit sich selbst gemein. Unsere eigene Makellosigkeit muß die Richtschnur für unsern untadelhaften Wandel seyn, und die Strenge unsers eigenen Urtheils muß mehr über uns vermögen, als alle äußeren Vorschriften. Das Ungeziemende unterlasse man mehr aus Scheu vor seiner eigenen Einsicht, als aus der vor der strengsten fremden Autorität. Man gelange dahin, sich selbst zu fürchten; so wird man nicht Seneka's imaginären Hofmeister nöthig haben.

      Zu wählen wissen.

      Das Meiste im Leben hängt davon ab. Es erfordert guten Geschmack und richtiges Urtheil: denn weder Gelehrsamkeit noch Verstand reichen aus. Ohne Wahl ist keine Vollkommenheit: jene schließt in sich, daß man wählen könne, und das Beste. Viele von fruchtbarem und gewandtem Geist, scharfem Verstande, Gelehrsamkeit und Umsicht, wenn sie zum Wählen kommen, gehn dennoch zu Grunde: sie ergreifen allemal das Schlechteste, als ob sie es darauf anlegten, irre zu gehen. Also ist dieses eine der größten Gaben von Oben.

      Nie aus der Fassung gerathen.

      Ein großer Punkt der Klugheit, nie sich zu entrüsten. Es zeigt einen ganzen Mann, von großem Herzen an: denn alles Große ist schwer zu bewegen. Die Affekten sind die krankhaften Säfte der Seele, und an jedem Uebermaaße derselben erkrankt die Klugheit: steigt gar das Uebel bis zum Munde hinaus, so läuft die Ehre Gefahr. Man sei daher so ganz Herr über sich und so groß, daß weder im größten Glück, noch im größten Unglück man die Blöße einer Entrüstung gebe, vielmehr, als über jene erhaben, Bewundrung gebiete.

      Tätigkeit und Verstand.

      Was dieser ausführlich durchdacht hat, führt jene rasch aus. Eilfertigkeit ist eine Eigenschaft der Dummköpfe: weil sie den Punkt des Anstoßes nicht gewahr werden, gehn sie ohne Vorkehr zu Werke. Dagegen