Zwerg auf die großzügige Öffnung zeigte, blieb Tibur sitzen, als würde es ihn nicht betreffen. Langsam ärgerte sich der Zwerg dann doch. Musste dieser Mann ihn denn immer so verwirren?
„Geh du. Du bist frei mein kleiner Freund“, forderte Tibur Almar auf, seine Freiheit zu ergreifen.
„Du kommst nicht mit?“ Almar fand beinahe keine Worte, weil sein Ärger ihn stumm werden ließ.
„Ich bin hier aufgewachsen. Das ist meine Stadt. Ich will nicht mehr fort!“ Tibur klang dabei so müde wie ein altersschwacher Mensch, der seiner letzten Nacht entgegensah.
„Aber sie werden dich töten“, konnte Almar seinen Zorn kaum noch in seinem Körper halten. Seine Arme schlugen dabei hilflos aufgeregt durch die Luft.
„Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an“, meinte Tibur und sein Ton ließ keine Zweifel daran, dass er seine Worte ernst meinte.
„Und ob es darauf ankommt! Du hast gesagt, du würdest mich mit deinem Leben beschützen, wenn ich deinen König töte. Und das werde ich heute nicht können, also werde ich dich wohl oder übel mitnehmen müssen.“ Almar versuchte es scherzhaft klingen zu lassen, doch es war sein tödlicher Ernst. Er würde nicht ohne Tibur von hier weggehen.
Tibur jedoch war nicht dazu zu bewegen aufzustehen.
„Ich brauche dich, um an den Wachen vorbei zu kommen“, versuchte der Zwerg das Pflichtgefühl des Mannes wachzurufen.
Dieser lachte kurz. „Es sind keine da. Sie haben alle ein Treffen bei dem König“, meinte er schlicht und blieb sitzen.
Der Zwerg lief verloren im Gang hin und her. „Verflucht! Du kannst mich nicht erst befreien und dann bleibst du hier, um zu sterben. Das geht nicht! Das darf nicht sein!“
„Vieles darf nicht sein und doch geschieht es. Geh nun. Du hast einen langen Weg vor dir.“
„Da hast du verdammt recht. Aber ich werde nicht einen Schritt tun, wenn du mich nicht begleitest.“
Der Zwerg stand mit verschränkten Armen vor dem Trümmerfeld, das er hinterlassen hatte. Seine Miene wurde steinern und doch hätte sie nicht ausdrucksstärker sein können.
„Du meinst das ernst, wie“, lachte Tibur. Es klang resignierend. „Gut ich werde dich begleiten. Aber nur bis du in Sicherheit bist.“ Endlich stand Tibur auf.
Der Zwerg lachte. „Das wird vielleicht länger dauern als dir lieb ist. Es zieht ein Krieg auf – da ist niemand sicher.“
Doch nun stand Tibur und so ließ er sich von dieser Aussicht auch nicht mehr aufhalten. Er ging mit, denn das einzige, das er haben wollte, war Ruhe, und der Zwerg hätte ihm keine mehr gelassen, wäre er sitzen geblieben.
Ein tiefes Strahlen erhellte das Gesicht des Zwerges als sein neu gewonnener Freund den Gang betrat. Der Steinmetz wollte auch gleich losschreiten, doch nun war es Almar, der verharrte.
„Was ist?“, wollte der Handwerker wissen.
„Eines habe ich mich die ganze Zeit gefragt“, antwortete dieser, ohne aber zu verraten, was es war.
Mit einer der Öllampen betrat er sein ehemaliges Verlies und ging zu Tiburs Platz.
Er hielt die Lampe nahe an den Stein, den der Handwerker seit Wochen am bearbeiten war. Abermals schaffte der Handwerker es, den Zwerg zu überraschen. Es war als sähe er sich in einem Spiegel. Deutlich erkannte er, dass Tibur seiner Statur eine tiefsitzende Trauer einfließen gelassen hatte. Doch noch etwas erkannte er. Der Steinmetz hatte ihm einen Ausdruck völliger Entschlossenheit verliehen, ganz so als habe er von dem Zwerg gewusst, der er nun erst wieder war. Die Trauer die Almar zu erkennen glaubte, hatte nur wenig mit der eines Sterbenden gemein. Sie spiegelte vielmehr seine tiefen Sorgen wider, die in ihm lasteten, während er nun zurück zu seiner geliebten Königin strebte und damit den Krieg in ihr Reich bringen würde.
„Noch nie habe ich einen Menschen gesehen, der Stein so zum Reden bringt, mein Freund. Dir wird es in den Hallen meiner Königin gefallen. Glaub mir.“ Der Zwerg hielt inne und betrachtete sein steinernes Ebenbild.
„Du hast mich befreit. Nun werde ich dich befreien! Du sollst wieder lernen zu hoffen. Das ist ein Versprechen!“ Almars Stimme zitterte leicht, da er von dem Moment so ergriffen war.
„Wie du meinst. Doch nun sollten wir gehen“, entgegnete Tibur mit einem gutmütigen Lächeln.
Während Tibur bereits voranschritt, sah der Zwerg ganz deutlich die Schwere, die dieser Mann mit sich zog.
Der Steinmetz und seine Last
Die Gänge vor ihnen waren dunkel und die Finsternis ließ sich nur widerwillig von der Öllampe zurückdrängen. Der Steinmetz fühlte sich merklich unwohl. Bei jedem Schritt fürchtete er sich vor seinen eigenen Geräuschen. Obschon er sich sicher war, dass sie hier unten allein waren, wollte diese tiefsitzende Angst ihn nicht loslassen. Dabei wusste er nicht, warum er Angst hatte. Seine geliebte Familie bestand nur noch aus dem kümmerlichen Rest seiner Selbst und sein scheinbar einziger Freund war ein sogenannter Feind seines Volkes. Auch wenn er selbst ihm diese Bezeichnung niemals gegeben hätte, so änderte es nichts daran, dass diese Reise alles verändern würde. Seiner Heimat, seinem Leben musste er auf ewig den Rücken zukehren und auch wenn ihn das nicht allzu sehr schmerzte, so kam es ihm doch vor, als würde er seine tote Frau und seine Tochter verraten. Als würde er ihr Andenken schänden und sie verlassen, auch wenn er wusste, dass er die Erinnerung an sie überall hin mit sich tragen würde.
Er fühlte sich wie ein steinerner Zeuge, der wieder lernen musste, zu gehen. Jeder Schritt schmerzte, jeder Atemzug schien seine verkrampfte Brust sprengen zu wollen. Die Freiheit, der sein Begleiter entgegen schritt, war für ihn unerreichbar. Dabei wusste er nicht, ob er sie wirklich erreichen wollte. Auch wenn es lediglich ein Fristen war, so wollte er sein altes Leben nicht hinter sich lassen. Die Erinnerung, die Liebe, die er in sich trug, wollte er nicht zurücklassen und die Trauer, die diesen anhaftete, hielt ihn gefangen. Dennoch strebten seine Beine neben dem Zwerg her und dem Tageslicht entgegen. Die Freude darüber wollte sich ihm nicht zeigen und nicht einmal eine Erleichterung, dass er diesen tristen, beängstigenden Ort verlassen würde, wollte ihn erfüllen. Er war leer. Leerer noch als am Morgen, da er seine Arbeit aufnehmen sollte. Es war als wäre er die ganze Zeit geflohen und nun müsste er sich eingestehen, dass er nicht vor sich fliehen konnte, und gab es auf zu laufen. Es war wie ein ferner Traum und so ließ er sich treiben. Ziellos wie ein in den Fluss gefallener Zweig und so schwer wie ein sinkender Stein, der in tiefer Trauer zu ertrinken drohte.
„Willst du mich nicht führen, mein hochgewachsener Freund?“, meinte Almar in einem sorglosen Ton, als wisse er nicht, dass er soeben dem Tod ein weiteres Mal entronnen war und sich auf der Flucht befand.
Wie zuvor brauchte der Handwerker eine Weile bis er aus seinen Gedanken aufwachte und die Frage des Zwerges ihn erreichte. Seine übliche, verwunderte Miene, verzog sich zu einem leicht beschämten Ausdruck völliger Ratlosigkeit.
„Ehrlich gesagt sind wir zu tief in den Gängen. Hier kenne ich mich nicht aus. Tut mir leid, aber wir werden den Weg schon finden. Einfach immer bergauf.“ Mit bescheidenem Erfolg versuchte sich Tibur an einem zuversichtlichen Lächeln.
„Und ob wir den finden!“ Almar lachte belustigt. „Ich hatte nur gedacht, nachdem du gute vier Wochen lang hier jeden Tag hinuntergekommen bist, würdest du den Weg kennen.“ Der Zwerg klang belustigt über die Vorstellung wie wenig sich sein neu gewonnener Freund in seiner eigenen Heimatstätte auskannte.
„Ich kenne allerdings den Weg nur bis dorthin, wo wir uns das erste Mal begegnet waren“, sprach der Zwerg weiter, als er merkte, dass ihm Tibur nichts entgegnen wollte. „Das sollte wohl reichen, damit wir hier herausfinden“, gab sich der Zwerg völlig unbesorgt und versuchte Tibur mit seiner Unbeschwertheit anzustecken. Doch er musste alsbald merken, dass es ihm nicht gelingen wollte. Dort wo der Steinmetz weilte, war er zu fern von allem, als dass die Zuversicht des Zwerges ihn erreichen konnte.
„Das