Anton Reutlinger

Phänomenologischer Materialismus


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es ausdrückte, oder die “wahre Natur“ der Dinge bleiben der Menschheit für immer verborgen. Er schrieb „Was die Dinge an sich sein mögen, weiß ich nicht und brauche es nicht zu wissen, weil mir doch niemals ein Ding anders als in der Erscheinung vorkommen kann.“ Ihre Existenz wird jedoch nicht bestritten. Weil wiederholt die gleichen Beobachtungen gemacht werden können, muss ihre Existenz unabhängig von jeder Beobachtung sein. Das ist eine unüberbrückbare Erklärungslücke für die Ursachen oder Quellen von Erscheinungen. Gemeint sind damit originäre Eigenschaften der Dinge hinter ihren Erscheinungen, sofern es welche gibt. Die Konstruktivisten um Ernst von Glasersfeld (1917-2010) unterscheiden ähnlich, mit Bezug auch auf Kant, eine von Wahrnehmung, Erfahrung, Sprache und Vernunft konstruktiv selbstbestimmte und selbstreferentielle Wirklichkeit im Bewusstsein von einer fiktiven physikalischen Realität. Daher kann man sogar die Existenz einer gegebenen Realität außerhalb des Bewusstseins infrage stellen wie manche Idealisten und Antirealisten es tun. Das bedeutet keinesfalls, dass die reale Welt nur eine Phantasie, ein Kunstwerk oder eine Erfindung wäre, sondern dass eine Vorstellung oder Repräsentation dieser Welt im Bewusstsein nicht ihr Abbild oder ihre Spiegelung ist, sondern eine Transformation, Interpretation, Simulation und Deskription nach konstruktiven Regeln, die ihre Quellen in der biologischen Phylogenese und Ontogenese haben. Auf der semantischen Ebene, also der Interpretation, Vorstellung und Bewertung des Weltgeschehens gibt es keine Regeln, hier wirken gesellschaftliche Prozesse und individuelles Erleben, sowie Interessen und Intentionen als „soziale Konstruktion von Wirklichkeit“ (Berger/Luckmann 1966). Das Wissen über den Menschen, die Welt und die Natur als Wirklichkeit ist ein hypothetisches Wissen, das nicht mit der Wirklichkeit selber verwechselt werden darf und ihr nicht aufgezwungen werden kann. Besonders deutlich kommt diese Diskrepanz in der Quantenphysik zum Ausdruck.

      Das Ziel der Naturwissenschaft ist es, die Vielgestaltigkeit der Wirklichkeit auf universell gültige, mathematische Objekte und Relationen als Strukturen zu projizieren, sowie Ereignisse und Vorgänge als gesetzmäßige Kausalitäten zu erklären und zu beschreiben. Unverzichtbare Bedingung dafür ist die Isolation, Zerlegung und Reduktion der komplexen Phänomene in idealisierte Einzelelemente, die auch in anderen Phänomenen enthalten sein können. Das Charakteristikum und die Bedeutung der Physik als Basiswissenschaft ist weniger ihre Nähe zur objektiven Realität als vielmehr die schichtweise Reduktion oder Segregation der aggregierten, komplexen Objekte menschlicher Anschauung in ihre elementaren, universalen Bestandteile und ihre strukturellen Relationen zueinander. Der Begriff der Struktur beschreibt eine abstrakte Ordnungskategorie des menschlichen Denkens, indem er Unterschiedliches trennt und Gleichartiges verbindet. Die Struktur des Farbspektrums unterscheidet die Einzelfarben und verbindet sie als gleichartige Objekte zur Gesamtheit wahrnehmbarer Farben. Die Relationen zwischen den Objekten können gleichwertig sein oder einer Ordnung unterliegen. Strukturen werden häufig als Graphen dargestellt, mit Kreisen oder Rechtecken als Objekte und verbindenden Kanten als Relationen.

      In Kontrast zur strikten Zufälligkeit von Ereignissen bedingen sich Kausalität und Gesetzmäßigkeit gegenseitig. Das Kausalprinzip ist ein gedankliches Konzept, eine aus der Lebenserfahrung gewonnene nützliche Annahme, um das Naturgeschehen zu ordnen und zu beschreiben. Auch hier lauert die Zirkularität der Erklärung, wenn die Materie und die Gegenstände der Welt sowohl als Explanandum wie auch als Explanans für die Phänomene der Wirklichkeit fungieren. Protonen und Elektronen sind Bezeichnungen sowohl für instrumentell beobachtbare Phänomene anhand ihrer Wirkungen auf Messinstrumente als auch hypothetische Gegenstände in der Form materieller Teilchen, Träger von Eigenschaften und Urheber der Phänomene. Raum und Zeit haben an sich keine physikalischen Eigenschaften, als gedankliche Konzepte oder regulative Ideen strukturieren sie die Wirklichkeit, drücken ihr eine Ordnung auf, die aus den Erscheinungen der Welt selber und ihren Beziehungen zueinander abgeleitet ist. Physikalische Kraftfelder variabler Intensität, die Ausbreitung des Lichtes sowie die Existenz der Hintergrundstrahlung im Kosmos ziehen die Existenz eines Raumes nach sich. Modulationen oder Inhomogenitäten dieser Größen oder Strahlungen liefern ein erkennbares und messbares Strukturierungs- und Ordnungskriterium. Zeit ist der Abstand zwischen Ereignissen oder Zustandsübergängen. Dagegen wäre ein System im statischen, ereignislosen Zustand oder Gleichgewicht, z.B. das wahre Vakuum, nicht als solches und nicht als Raum und Zeit erkennbar. Es wäre im metaphysischen Sinn das Ewige. Eine Wissenschaft der Physik ohne Raum und Zeit wäre denkbar möglich, denn sie sind theoretisch nicht notwendig, wohl aber empirisch hilfreich.

      Wichtige Hinweise dazu liefert das Theorem der Mathematikerin Emmy Noether von 1918. Es verbindet in der Physik die Symmetrien von Raum und Zeit mit den Erhaltungssätzen. Hätte das Universum einen festen Hintergrund, der nicht mit dem Urknall entstanden wäre, so wie er früher als Äther postuliert wurde, dann wären diese Symmetrien gebrochen und die Erhaltungssätze wären ungültig. Es gibt keine Wechselwirkungen von Objekten des Universums mit Objekten außerhalb desselben. Daher sind Raum und Zeit homogen und lückenlos, somit mathematisch differenzierbar und integrierbar, und die Physik kann als kausal, in sich geschlossen und gesetzmäßig angenommen werden. Symmetrien haben in der physikalischen Natur eine fundamentale Bedeutung, aber bisher unbekannte Ursprünge. Sinnvollerweise sollten sich die Symmetrien in den Naturgesetzen wiederfinden lassen, weshalb die Symmetrie bewegter Bezugssysteme zur Relativitätstheorie führte.

      Da der Mensch in der Natur und mit der Natur leben muss, kann er auf Erkenntnis und auf eine verlässliche Ordnung oder Struktur in der Welt nicht einfach verzichten. Also muss sich der Mensch damit arrangieren, indem er sich behilft mit den Erfahrungen und mit fiktiven Erklärungen des Naturgeschehens als Kausalitäten und Korrelationen, die für die Bewältigung des Lebens geeignet sind, indem sie Erwartungen und eindeutige, zuverlässige Vorhersagen aus Beobachtungen erlauben. David Hume (1711-1776) deutete die Kausalitäten als gedankliche Assoziation und Schlussfolgerung aus der wiederholten Beobachtung der räumlichen Nachbarschaft von Objekten und ihrer Beziehung in Form gleichartiger Ereignisse in bestimmter zeitlicher Folge als Regularität und Gewohnheit. Da passive Naturbeobachtung allein dazu nicht ausreichend ist, greift der Forscher selber aktiv in die Natur ein und beobachtet in wiederholbaren Experimenten - wiederum nicht ohne Zirkularität - die Reaktionen oder Wirkungen auf seine gezielten Interventionen auf Ursachenseite. Ein wichtiges Kriterium ist der kontrafaktische Ausschluss, d.h. die Wirkung darf nicht eintreten, oder ist ausgeschlossen, wenn die zugehörige Ursache fehlt. Diese Bedingung ergibt sich aus der Notwendigkeit der bestimmten Ursache und der Ausschließlichkeit einer Ursache zu einem Ereignis. Das heißt, eine Erscheinung hat genau eine einzige Ursache. Bei komplexeren Vorgängen verliert das Kausalitätsprinzip durch Überlagerung von Ursachen und Wirkungen an Eindeutigkeit und umgekehrt an Ausschließlichkeit, so dass gezielte Experimente zum Nachweis notwendig werden. Überdies darf qualitative Kausalität nicht mit quantitativer Determiniertheit, sowie Zufälligkeit nicht mit Akausalität verwechselt werden.

      Zudem muss Kausalität, wie jedes fundamentale Naturgesetz, unabhängig sein von absoluter Zeit und absolutem Raum, was äquivalent ist zur Gleichförmigkeit des Naturgeschehens in Raum und Zeit. Die Gleichförmigkeit ist wie die Erhaltungssätze der Physik eine berechtigte Annahme, die sich als Rückschluss aus der erfolgreichen Anwendbarkeit der Naturgesetze ergibt, beispielsweise in der Raumfahrt. Man kann diese Annahmen als „Schlussfolgerung auf die beste Erklärung“ oder Abduktion deuten. Darauf beruht das Prinzip der positivistischen Induktion, indem beobachtete Eigenschaften von Elementen einer ausgewählten Teilmenge allen Elementen zugeordnet, oder auf die gesamte Menge projiziert werden. Aus gleichartigen Eigenschaften folgt die Erwartung gleichartigen Verhaltens der Elemente. Das Erkennen von Wiederholungen setzt das Erkennen von Ähnlichkeiten voraus und dieses beinhaltet objektive Deutungen vergangener Beobachtungen wie auch Deutungen auf Grund zukunftsbezogener Erwartungen, so dass auch im Induktionsprinzip eine Zirkularität gegeben ist. Somit kann empirische Gewohnheit oder Regularität das Induktionsprinzip zwar logisch nicht begründen, andererseits ist der Mensch zur Bewältigung des Lebens mit Bedürfnisbefriedigung auf die regelmäßige Wiederholung gleichartiger oder ähnlicher Ereignisse angewiesen. Deshalb ist die Annahme des Induktionsprinzips unausweichlich, bedarf jedoch immer wieder der skeptischen Prüfung und empirischen Bestätigung.

      Wenn ein Meteorit aus den Tiefen des Weltalls in den Schwerkraftbereich der Erde gerät, dann wird er beschleunigt. Die Schwerkraft der Erde ist also die Ursache für die Änderung von Bahn und Geschwindigkeit. Umgekehrt