Juryk Barelhaven

Die Begabten


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Worte in seinen Sätzen zu formulieren. Dabei trat er zweimal beinahe auf Sonia, die mit anhaltendem Atem versuchte nicht zertreten zu werden. „Du Scheißvogel bist nur am Reden“, ächzte der Kerl und eine üble Fahne strich Sonia entgegen, als er an ihr vorbeiwankte. Jetzt war der ganze Wald sein Publikum und der würde keine Widerworte geben. „Morgens, mittags und abends. Wenn ich mal etwas sagen will, dann redest du nur und verbesserst mich. Schau Lukas, da fehlt ein Komma! Schau Lukas, eine Bachstelze! Kennst du den Unterschied zwischen einer Bachstelze und einem Habicht? Was ist der Unterschied zwischen einem Sekretär und einer Krähe? Ich sage dir, was der Unterschied ist: der eine ist aus Holz und der andere bald tot. Das ist der Unterschied. Ich pisse auf deine Weisheiten, du undankbarer Vogel.“ Er rülpste, holte aus und schlug mit Wucht gegen einen ausgetrockneten Baum, dass die Äste anfingen zu wackeln. Er schnappte sich noch eine Flasche, entkorkte sie und wandte sich um… und verharrte.

      Glotzte unsicher Sonia an, die sich versuchte noch kleiner zu machen. Alles in ihr drängte sie darauf, fortzulaufen, ihr Heil in der Flucht zu suchen. Doch diesmal kam ihr der Mann zuvor, indem er folgendes sagte: „Heh, du bist voll hässlich, Kind.“

      Sprach es, verdrehte die Augen und fiel rücklings um.

      Die Erde erbebte, und kurze Zeit später hörte sie ihn schnarchen als würden Männer aus Mooswald ein Wäldchen mit ihren Sägen abholzen.

      „Ich glaube, der steht nicht mehr auf“, sagte jemand leise und mit einem Glucksen.

      Sonia blickte aus großen Augen auf den umgefallenen Mann und verharrte neben einer Kiste. Alkohol brachte Leute dazu, ungehobelte Barbaren zu werden. Das hatte sie schon oft gesehen. Zittrig und etwas außer Atem richtete sie sich auf und trat langsam näher heran. Dort lag der Mann: mit dümmlichen Grinsen im Gesicht schien er tief zu schlafen. Sonia hatte nicht vor ihn aufzuwecken.

      Und wieder die Stimme: „Du kannst jetzt sein Essen haben, aber zuvor wäre ich dir unendlich dankbar, wenn du mich aus dem Käfig befreien würdest. Würdest du das tun?“

      Sonia traute ihren Augen kaum. Da war nichts. Nichts neben dem Wagen, nichts im Wald und nichts neben ihr…

      „Im Käfig.“

      Langsam hob sie den Blick. Es war ein kleiner Käfig. Hockte dort etwa ein Gnom? Nein, es war eine Krähe. Eine schwerfällige Krähe mit dichtem Gefieder und langem Schnabel. Kluge schwarze Knopfaugen blickten ihr entgegen, als sie mit offenem Mund entgegentrat. „Du darfst jetzt nicht schreien…“

      Sonia schrie und sprang zurück.

      Die Krähe legte den Kopf zur Seite. Sie öffnete nicht den Schnabel beim Sprechen. Die Stimme kam woanders her. „Und du schreist doch. Hör mal, wir können das alles abkürzen und zum Wesentlichen kommen. Ich bin ein verzauberter Mensch. Zufrieden? Kein Dämon. Kein Geist.“

      „Teufelswerk“, hauchte Sonia fassungslos und bekreuzigte sich, wie es ihr mal ein Templer gezeigt hatte. „Ich beschwöre dich, Geist, fahre zurück in deine Sphäre…“

      „Würde ich ja gerne. Würdest du mir den Käfig aufmachen?“

      „Ich helfe keinem Dämonen.“

      „Ich bin kein Dämon. Pass auf“, sie räusperte sich kurz und putzte sich das Gefieder. „wir machen das so: du scheinst Hunger zu haben. Mein Freund Lukas steht heute nicht mehr auf. Warum isst du nichts von seinem Essen? Er ist eh zu fett und jetzt viel zu betrunken. Während du isst, erzähle ich dir eine Geschichte. Mit vollem Bauch kannst du dann immer noch entscheiden, ob du mich freilässt.“

      „Eine Geschichte“, krächzte das Mädchen leise und starrte zu den Würstchen in der Pfanne, die einen betörenden Duft verströmten. Der Magen knurrte zur Antwort.

      Langsam hielt sie es nicht mehr aus, schnappte sich Brot, Butter und Messer und machte sich daran, zu essen. Die Würstchen waren von erlesener Qualität, das Brot frisch und die geröstete Schicht rauchig und lecker. Sie mampfte, schluckte und nahm sich kaum Zeit zu kauen.

      Ein Hochgefühl.

      Die Krähe starrte zufrieden zu ihr herunter. „Versuch die Würstchen. Von einem Händler aus Mooswald. Der Schlachter garantierte uns, dass das Fleisch so frisch sei, dass man das Entsetzen des Schweins noch schmecken kann.“

      Sonia runzelte die Stirn und starrte zu ihm herüber. „Das ist eklig. Das arme Tier.“

      „Ich rede gerne. Du musst entschuldigen.“ Die Krähe schien die Schultern zucken zu wollen, was aber anhand der fehlenden Anatomie schwerfiel. Sonia schnappte sich eines der Würstchen und hätte sich fast verbrannt. Das heiße Öl brannte in ihrer Kehle, aber der Geschmack war unbeschreiblich. „Da ist ein Krug mit Wasser“, hörte sie sie sagen. „Lass dir Zeit. Wir haben viel Geld verdient. Die Leute bezahlen viel für Kamile, die sprechende Krähe und Lukas, den stärksten Riesen. Aber ich fürchte, unsere Partnerschaft endet wegen verschiedener Differenzen. Anfangs hatten wir viel Spaß… jetzt gehen wir uns nur noch auf die Nerven.“

      „Aha.“ Sie kaute auf dem Brot und fühlte sich neben dem Feuer sicher und bald gesättigt. Es konnte nicht schaden, sich unterhalten zu lassen. „Wer bist du?“

      Der Krähe starrte sie prüfend an.

      „Lukas, der Riese“, meinte die Krähe lakonisch und krächzte heiser. „Mein Name ist Kamile, früher hieß ich Prinzessin Lfayette aus dem Hause Aldigisl. Ich kenne jeden einzelnen Winkel in dieser Welt, kenne jeden Vertrag, der zwischen Göttern und Menschen geschlossen wurde und bin bewandert in allen Geheimnissen der Alchemie, Astrologie und der Magie. Ich blicke auf vierhundert Jahre Forschung und Wissenschaft zurück und gelte als das klügste Geschöpf in dieser Welt. Ich kenne die Antwort auf all deine Fragen.“

      Ein weiblicher Krähe, dachte Sonia. Eine Prinzessin..?

      Sonia behielt sie im Auge und mampfte weiter. „Warum bist du…so?“

      Die Krähe breitete ihre Flügel aus. „Früher war ich eine Gelehrte, die im Auftrag der Götter Botschaften überbrachte. Die uralten Erinnerungen werden mit jedem Augenblick, der verstreicht, klarer. Wir folgen demselben Pfad, den die legendären Helden beschritten haben. Ich diente Anequinnius, dem Sendboten. Danach Salan-Hirin, der Weise der Sonne und Khassandra, die Liebende. Wir hatten uns lieb, es war eine Eintracht zwischen uns die du dir nicht vorstellen kannst. Diese Göttin war so bezaubernd schön und so rein, dass mir noch immer die Tränen kommen. Sie verbündete sich mit der Ewigkeit und nahm ihren Platz im Götterhimmel ein. Man brauchte keinen Menschen mehr. Also… habe ich mich in eine Krähe verwandelt.“

      „Warum?“

      „Nun“, die Krähe krächzte leise und scharrte mit dem Schnabel am Gatter. „ich war verliebt in Khassandra und dank meines Intellekts und meines Wissen erforschte ich die Geheimnisse der Alchemie so weit, dass ich einen Trank braute, um mich zu verwandeln und ihr nachzufliegen. Ich wollte ins Tal der Götter reisen und sie ein letztes Mal sehen. Oh, schaumgeborene Tochter des Schicksals, du süße… naja, hat geklappt. Wie du siehst.“

      „Und dann?“

      „Bin ich zurückgeflogen.“

      „Und dann?“

      Die Krähe antwortete nicht sofort. Sie druckste herum, bis sie es nicht mehr aushielt: „Gut, na schön, ich habe einen Fehler gemacht, ja?“ Aufgeregt wedelte die Krähe mit ihren Flügeln herum, dass der ganze Käfig wackelte. „Ich hatte das Gegenmittel als Lösung zubereitet. Aber die Sonne schien darauf und die Flasche war nicht zugestöpselt… kann doch passieren… du lachst… warum lachst du!?“

      Sonia kicherte vergnügt und wischte sich Krümel aus dem Mund. „Du bist lustig!“

      Die Krähe sah sie prüfend an. „Heute Abend haben die Götter einen Wirbel des Zufalls erzeugt. Du bist nicht ohne Grund hier, wie ich feststelle. Wie ist dein Name, Kind?“

      „Sonia, Tochter von Annegret und Raphael Stolzenheim.“

      „Sag, Sonia, warten nicht deine Eltern auf dich zuhause?“ Die Krähe beugte