Henry Rider Haggard

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Meinung über das Ganze bilden. Die meine steht bereits fest.«

       »Und wie sieht sie aus?« fragte er neugierig.

       »So: Ich halte diese Scherbe für echt und glaube, daß sie, so seltsam das auch scheinen mag, seit dem vierten Jahrhundert v. Chr. in deiner Familie weitervererbt worden ist. Die Eintragungen beweisen das eindeutig, und wir müssen diese Tatsache, so unwahrscheinlich sie auch sein mag, akzeptieren. Doch das ist auch schon alles. Daß deine Ahne, die ägyptische Prinzessin, oder ein von ihr beauftragter Schreiber die Eintragung verfaßt hat, steht für mich außer Zweifel, doch ebenso fest bin ich davon überzeugt, daß ihre Leiden und der Verlust ihres Gatten ihren Geist verwirrt haben und daß sie nicht ganz bei Verstand war, als sie dies niederschrieb.«

       »Und wie willst du erklären, was mein Vater gesehen und gehört hat?« fragte Leo.

       »Das war ein reiner Zufall. Sicher gibt es an der afrikanischen Küste Felsen, die wie Männerköpfe aussehen, und viele Leute, die ein verstümmeltes Arabisch sprechen. Zweifellos gibt es auch eine Menge Sümpfe dort. Ich muß dir ganz ehrlich sagen, Leo – ich glaube, daß dein Vater, als er diesen Brief schrieb, nicht ganz bei Sinnen war. Er hatte Schweres durchgemacht, und da er eine sehr lebhafte Phantasie hatte, hat er sich zu sehr mit dieser Geschichte beschäftigt. Jedenfalls glaube ich, daß das Ganze völliger Unsinn ist. Ich weiß, es gibt in der Natur seltsame Dinge und Kräfte, die wir nur selten bemerken und, wenn wir sie bemerken, nicht begreifen. Doch solange ich es nicht mit meinen eigenen Augen sehe, was wohl kaum je der Fall sein wird, kann ich einfach nicht glauben, daß es irgendein Mittel gibt, den Tod zu besiegen, oder daß mitten in einem afrikanischen Sumpf eine weiße Zauberin lebt oder gelebt hat. Unsinn, mein Junge, nichts als Unsinn! – Was meinst du, Job?«

       »Daß es eine Lüge ist, Sir. Falls es aber doch wahr ist, so hoffe ich, Mr. Leo wird sich auf so etwas nicht einlassen, denn dabei kann nichts Gutes herauskommen.«

       »Vielleicht habt ihr beide recht«, sagte Leo ruhig. »Ich will mich darüber nicht äußern und nur das eine sagen: Ich werde die Sache ein für allemal aufklären, und wenn ihr nicht mitkommen wollt, dann werde ich es allein tun.«

       Ich sah den jungen Mann an und merkte, daß er es ernst meinte. Wenn Leo etwas ernst meint, dann verzieht er immer auf eine merkwürdige Weise den Mund, eine Gewohnheit, die er schon als Kind hatte. Ich dachte jedoch gar nicht daran, Leo zu erlauben, irgendwohin allein zu gehen; dazu hing ich viel zu sehr an ihm. Ich bin kein Mann mit vielen Freundschaften und Bindungen. Die Umstände sind in dieser Hinsicht gegen mich, und Männer wie Frauen scheuen vor mir zurück, oder ich bilde mir das ein, was auf dasselbe herauskommt. Sie scheinen aus meinem reichlich abstoßenden Äußeren auf mein Inneres zu schließen, und da mir dies unerträglich ist, habe ich mich weitgehend von der Welt und den Menschen zurückgezogen. Leo war für mich die ganze Welt – Bruder, Kind und Freund –, und ich war entschlossen, wohin er auch gehen mochte, nicht von seiner Seite zu weichen. Natürlich durfte ich ihm nicht zeigen, welche Macht er über mich hatte, und ich sann nach einer Möglichkeit, mich aus der Affäre zu ziehen.

       »Ja, Onkel, ich werde es tun; und wenn ich die ›Flammensäule des Lebens‹ auch nicht finde, so werde ich dort zumindest ausgezeichnete Gelegenheit zur Jagd finden.« Da war die Möglichkeit, und ich nutzte sie sofort.

       »Zur Jagd?« sagte ich. »Ja, sicherlich; daran dachte ich gar nicht. Es muß ein ziemlich wildes Land sein, voll von Großwild. Ich wollte immer schon vor meinem Tode noch einen Büffel erlegen. Weißt du, mein Junge, an diese ganze Geschichte glaube ich nicht, aber das Wild reizt mich, und wenn du nach reiflicher Überlegung wirklich dorthin fahren willst, so werde ich mir Urlaub nehmen und dich begleiten.«

       »Dachte ich's mir doch«, sagte Leo, »daß du dir so etwas nicht entgehen lassen wirst. Doch wie steht es mit dem Geld? Es wird ein reichlich teurer Spaß werden.«

       »Zerbrich dir deshalb nicht den Kopf«, erwiderte ich. »Wir haben dein ganzes Vermögen, das sich all die Jahre gut verzinst hat, und außerdem habe ich noch zwei Drittel von dem, was mir dein Vater für deine Versorgung hinterlassen hat. An Geld mangelt's also nicht.«

       »Schön, dann laß uns dies alles gleich einpacken und in die Stadt fahren, um nach unseren Gewehren zu sehen. Wie steht's, Job, kommst du auch mit? Höchste Zeit, daß du einmal etwas von der Welt siehst.«

       »Ach, Herr«, antwortete Job, »mir liegt nicht viel an fremden Ländern, aber wenn die Herren diese Reise machen, dann brauchen sie doch jemanden, der für sie sorgt; und nachdem ich Ihnen nun zwanzig Jahre treu gedient habe, kann ich Sie doch jetzt nicht im Stich lassen.«

       »So ist's recht, Job«, sagte ich. »Große Wunder wirst du wohl nicht erleben, doch ein paar schöne Jagden sind sicher auch nicht zu verachten. Und jetzt hört mich gut an, ihr beiden. Ich möchte nicht, daß ihr irgendeinem Menschen von diesem Unsinn erzählt.« Ich deutete auf die Scherbe. »Wenn das bekannt würde und mir irgend etwas zustieße, dann würden meine Verwandten mich für verrückt erklären und mein Testament anfechten, und ich würde zum Gespött von ganz Cambridge werden.«

       Drei Monate nach diesem Tag schwammen wir auf dem Ozean – unterwegs nach Sansibar.

       4 Die Bö

      Wie verschieden ist die Szene, die ich jetzt zu schildern habe, von der soeben beschriebenen! Wo ist mein stilles Studierzimmer, wo sind die im Winde schwankenden englischen Ulmen, die krächzenden Krähen, meine vertrauten Bücher? Um uns ist nichts als der riesige ruhige Ozean, silbern glänzend im Schein des afrikanischen Vollmonds. Eine sanfte Brise füllt das große Segel unserer Dhau und treibt uns durch das leise an ihre Planken plätschernde Wasser. Die meisten Männer der Besatzung schlafen, denn es ist kurz vor Mitternacht; nur Mahomed, ein kräftiger, tiefbrauner Araber, steht am Ruder und lenkt das Schiff gemächlich nach den Sternen. Drei Meilen oder etwas mehr an Steuerbord zieht sich eine dünne, dunkle Linie hin, die Ostküste Mittelafrikas. Wir segeln vor dem Nordostmonsun südwärts, zwischen dem Festland und dem Riff, das Hunderte von Meilen weit diese gefährliche Küste säumt. Die Nacht ist still, so still, daß man ein Flüstern auf der ganzen Dhau vernimmt; so still, daß ein schwacher, grollender Laut von dem fernen Land übers Wasser bis zu uns dringt.

       Der Araber am Ruder hebt die Hand und sagt nur: »Simba!«*

       Wir richten uns alle auf und lauschen. Und wieder ertönt dieser dumpfe, majestätische Laut, der uns erschaudern läßt.

       »Falls der Kapitän sich nicht verrechnet hat, was ich für sehr wahrscheinlich halte, müßten wir morgen vormittag gegen zehn Uhr bei diesem geheimnisvollen Felsen mit dem Männerkopf sein«, sagte ich. »Dann kann die Jagd beginnen.«

       »Ja, und die Suche nach der Ruinenstadt und dem ›Feuer des Lebens‹«, verbesserte mich Leo. Er nahm seine Pfeife aus dem Mund und lachte.

       »Unsinn!« erwiderte ich. »Du hast doch übrigens heute nachmittag bei dem Mann am Ruder dein Arabisch erprobt. Was hat er dir gesagt? Er ist doch sein halbes unnützes Leben lang in Geschäften (wahrscheinlich Sklavengeschäften) durch diese Gewässer gefahren und auch schon einmal an diesem ›Männerfelsen‹ gelandet. Hat er je etwas von der Ruinenstadt und den Felsen gehört?«

       »Nein«, sagte Leo. »Er sagt, daß es dahinter nur Sümpfe voller Schlangen, vor allem Pythons, und Wild gibt und daß dort keine Menschen leben. Doch das besagt nicht viel, denn ein solcher Sumpfgürtel zieht sich die ganze afrikanische Küste entlang.«

       »Doch«, antwortete ich, »das besagt, daß es Malaria gibt. Aber daran siehst du, was diese Leute von dem Land hier denken. Keiner von ihnen wird mit uns gehen. Sie halten uns für verrückt, und ich glaube fast, sie haben recht. Es sollte mich wundern, wenn wir das gute alte England je wiedersehen. Bei meinem Alter ist das nicht so schlimm, doch ich mache mir Sorgen um dich, Leo, und um Job. Es ist der reine Wahnsinn, mein Junge.«

       »Schon gut, Onkel Horace. Um mich brauchst du dich wirklich nicht zu sorgen; ich werde es schon überstehen. Doch sieh mal – was ist denn das für eine Wolke?« Er deutete auf einen dunklen Fleck am sternenhellen Himmel hinter uns.

       »Frag doch mal den Mann am Ruder«, sagte ich.