Eckhard Lange

Lübeck - ausgeplaudert


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werdet die ersten sein in dieser neuen Stadt!“

       War es so? Oder war es so ähnlich? Vielleicht.

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      Adolf beschloß also, nicht nur bäuerliche Siedler ins Land zu rufen, sondern auch Stadtgründer zu werden. Einen Namen gab es ja schon: Die Händler hatten ihn gleich mitgenommen: Liubice. Das neue, das deutsche Liubice war geboren, zunächst nur im Kopf des jungen Grafen, aber bald auch auf dem buchenbestandenen Hügel.

      Denn nicht nur die Fernkaufleute aus dem Reich ließen sich hier nieder, ebenso strömten Handwerker aus Sachsen und Westfalen, selbst aus dem fernen Flandern und Friesland in die neue Stadt, und die gräflichen Ministerialen steckten Straßenzüge und Grundstücke ab, verteilten Genehmigungen zum Holzeinschlag, ließen einen großzügigen Markt anlegen dort, wo der Hügel die größte Höhe erreichte, teilten dem Bischof aus dem entlegenen Oldenburg Land zu, damit neben dem Markt eine dem heiligen Petrus gewidmete Kirche errichtet werden konnte und bald auch auf dem Markt selbst eine zweite, die den Namen der Gottesmutter tragen sollte.

      Die verfallene Burg wurde für den vom Grafen eingesetzten Stadtvogt ebenfalls wieder hergerichtet, die Wälle erhöht, neue Palisaden eingerammt, und ein Tor sperrte den Zugang über die schmale Landzunge. Noch aber war längst nicht der ganze Hügel bebaut, zwischen Burg und Siedlung dehnten sich Wald und Heideflächen, ebenso lag das alte Kirchlein des Heiligen Johannes einsam am Südende auf der Höhe.

      2. Zu Besuch in Lubeke

      Schauen wir uns im Geiste ein wenig um in dieser neuen Stadt. Nein – dabei nur nicht an das heutige Lübeck denken! Backsteingiebel? Fehlanzeige! Aus gebrannten Ziegeln hat man bislang nur ein paar Treppenstufen, die außen zu einem hölzernen Keller führten, gefunden aus diesen Anfangsjahren. Und letztens auch das Fundament eines Hauses, tief unten am Fußes des Hügels, auf dem die Petrikirche steht. Dennoch: Da stehen keine steinernen Häuser dicht gedrängt, sondern hier ein Gebäude aus Bohlen, dort eines mit hölzernen Ständern und Wänden aus lehmbeworfenem Weidengeflecht. Geflochten auch die Zäune, die die weitläufigen Grundstücke voneinander trennten, damit die Schweine und Ziegen nicht zum Nachbarn entliefen.

      Die Straßen, die vom Hügel herab schnurgerade zum Hafen führten, waren meist schlammig und unangenehm riechend, weil allerlei Unrat dorthin entsorgt wurde, denn nicht jeder Neusiedler hatte sich eine Kloake auf dem Hof gegraben, mit Balken oder Feldsteinen versteift und sorgsam abgedeckt, damit niemand in der Dunkelheit hineinstürzen konnte. Ställe und Werkstätten auf den Gehöften ergänzten das Bild – und an manchen Stellen turmartige hölzerne Gebäude, die keine Wohnung enthielten, sondern gut gesicherte Speicher waren für die wertvollen Handelswaren, die nun aus aller Herren Ländern hierher gelangten.

      Jenseits der hölzernen Palisade, die die neue Stadt schon bald umschließt, zur Trave hin, liegen auf das Ufer gezogen vor den Hütten der Schiffsleute: Langschiffe nach Wikingerart, aber breitbauchiger für den Transport der Güter, daneben sind Riemen und Masten sorgsam gelagert. Träger eilen hin und her, schleppen Stoffballen, vor allem aber unzählige Tonnen, jene Allzweck-Container des Mittelalters. Hier und dort auch ein Haus, in dem für die Hungrigen und Durstigen Bier oder Brei in hölzernen Gefäßen angeboten wird – und gelegentlich auch andere Dienste, begehrt nach Tagen der Enthaltsamkeit auf der See. Davor hocken Schifferknechte beim Spiel und verwürfeln ihren bescheidenen Lohn, statt ihn zu vertrinken.

      Aber auch Kaufleute gehen gemessenen Schrittes zum Tor in der Palisade, vielleicht in eifrigem Gespräch mit einem Schiffsführer oder einem anderen Händler.

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       Hinrich, seines Zeichens lübischer Kaufmann, trat aus seinem breiten Hallenhaus, oben gleich unterhalb der hölzernen Kirche, die der Heiligen Jungfrau geweiht war. Es hatte wieder einmal tagelang geregnet, und der Weg hinab zum Hafen war schlammig. Da nützten auch die hölzernen Trippen mit ihren Stelzen nicht viel, die er unter seine Lederschuhe gebunden hatte.

       Doch als er seinen Nachbarn Johann von Soest traf, der ebenfalls zu den Schiffen hinab wollte, hatte er andere Sorgen: „Dieser Morast hier ist höchst unerfreulich,“ sagte er, kaum dass die beiden einen Gruß gewechselt hatten. „Es ist schon bei trockenem Wetter mühevoll genug, wenn unsere Männer die Waren mit dem vollbeladenen Karren den Weg hinaufziehen müssen. Aber heute scheint es ganz unmöglich zu sein.“

       „Ja, Hinrich, das mag wohl sein. Doch muß es so bleiben?“ Der Kaufmann blickte den anderen fragend an. „In meiner Heimat Soest gibt es viele Moore rings herum, und dennoch kann man sie überqueren. Die Leute dort haben mit Stämmen und Knüppeln einen festen Damm errichtet und etwas Erde darauf geschüttet. Da kannst du trockenen Fußes den Morast überqueren. Sollte das nicht auch auf unseren Straßen möglich sein?“

       Hinrich schlug dem Freund kräftig auf die Schulter. „Du hast recht. Doch das geht nur, wenn alle hier in der Straße mitmachen. Ich werde deinen Vorschlag gleich in der nächsten Versammlung der Verschworenen vortragen. Sie haben das Recht, solche Arbeiten anzuordnen, wenn sie dem Wohl der ganzen Gemeinde dienen.“ Und so geschah es auch.

       War es so? Oder war es so ähnlich? Vielleicht.

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      Sie haben dafür gesorgt, dass statt des schlammigen Weges ein fester Knüppeldamm hergerichtet wurde, um darauf bis zum Markt zu gelangen mit den zweirädrigen Karren. Angeboten wurden dort oben all die Dinge des täglichen Bedarfs, weil die Stadt inzwischen Marktrecht hatte, die kostbaren Waren der Fernhändler dagegen lagerten sicher verwahrt in den Kellern, Speichern und auf den Böden.

      Noch fuhren die meisten Kaufleute selber hinaus auf den Schiffen, an deren Besitz sie beteiligt waren, die aber auch Waren anderer Händler beförderten. So teilte man das Risiko; denn die Gewinnspannen waren zwar gewaltig, aber die Gefahren, Schiff und Ladung zu verlieren, nicht minder.

      Besonders die Tuche mussten in einer besonderen Halle neben dem offenen Markt angeboten werden, zu kostbar waren die Stoffe, und vor allem brachte ihr Handel Steuern ein, die es zu kontrollieren galt. Zugleich aber treffen sich in dieser Halle jene Männer, die vom Stadtvogt ausgewählt waren, all das zu kontrollieren: die Ordnung auf dem Markt, den Einzug der Abgaben, den Zustand der Palisaden und Tore, die Ausstattung der Kirchen. Noch gilt diesseits und jenseits der Stadtgrenzen das gleiche Landrecht des Fürsten, aber bald ringen jene ersten Vertreter der Bürgerschaft ihrem Stadtherrn, zunächst Graf Adolf und dann Herzog Heinrich, mancherlei Befugnisse ab, um selbst über die Stadt zu bestimmen. Und im Jahre 1160 verleiht der Herzog seiner Stadt Lubeke auch ganz offiziell das Stadtrecht, wie es in Soest schon galt und den Bürgern Selbstverwaltung zugestand. Aus den beauftragten Bürgern, Fernhändler zumal, waren jetzt Ratmänner geworden: Männer, die für die Geschicke der Stadt im Inneren wie im Äußeren Verantwortung trugen, auch wenn der Herzog Stadtherr blieb und allerlei Abgaben verlangte. Aber die Mitglieder des Rats wählten sich nun ihre Bürgermeister selbst, und aus der Tuchhalle wurde so etwas wie ein erstes Rathaus, wo sich ein ehrbarer Rat versammelte.

       Lubeke – so nannte man übrigens die Stadt an der Trave inzwischen im Reich. Wer will schon gerne einen slawischen Namen tragen, der für die deutsche Zunge zudem nur schwer auszusprechen war!

      3. Lübeck und die hohe Politik

      Neben all den Luxuswaren gab es seit langem ein Handelsgut, das nicht nur bei den Reichen begehrt war im Reich: Getrockneter oder gesalzener Fisch. Denn er konnte jene Nahrungsmittel aus dem Fleisch von Tieren ersetzen, deren Genuß allen Christenmenschen an den Fastentagen untersagt war – und davon gab es viele, nicht nur die vierzig Tagen vor dem Osterfest, sondern auch zu anderen Zeiten und an jedem Freitag ohnehin, weil er an die