und Stadtvogt, es in wenigen Jahrzehnten zum Abschluß zu bringen. Unsere gründlichen Historiker haben genau nachgerechnet und staunenswerte Zahlen geliefert: Im Schnitt waren es fünf Meter, um die das Niveau angehoben werden mußte, um nicht mehr vom Hochwasser erreicht zu werden. Die so gewonnene Fläche betrug etwa 40 Hektar, also ist ein Drittel der heutigen Altstadt damals hinzugewonnen worden. Und auch die Mengen lassen sich dadurch errechnen: Etwa zwei Millionen Kubikmeter Füllmaterial wurden gebraucht und mußten zumeist draußen vor den Toren abgebaut werden. Zweihunderttausend Kubikmeter Holz sind damals verbaut worden. Alle Achtung, lieber Elver von Bardewik! Oder wer auch immer dafür die Verantwortung getragen hat.
König Waldemar setzte dem Werk dann den Kronreif auf – man kann es fast wörtlich nehmen: Auf seinen Befehl hin wurde nun die gesamte Halbinsel mit einer durchgehenden Mauer umgeben, Tore und Wehrtürme eingefügt. Noch einmal also eine große gemeinschaftliche Anstrengung der Stadtbewohner. Damit war nicht nur ein Schutz gegen äußere Feinde geschaffen, sondern auch ein einheitlicher Siedlungsraum vom Burgtor im Norden bis zur Mühle an der Mündung der Wakenitz in die Trave – eine Stadt, ein Rechtsraum, ein gemeinsamer Rat an der Spitze. Nein, nicht ganz! Denn der Domhof und die Kurien der Kapitelherren unterstanden ihm nicht, das war bischöfliches Gebiet und nur der hatte hier das Sagen. Und der königliche Stadtvogt in seiner Burg war natürlich ebenfalls sein eigener Herr. Dafür baute auch er dort nun ein repräsentatives Haus, natürlich in Backstein. Und – es steht noch immer, eingebaut in die Gebäude des späteren Klosters. Wer wollte nun noch sagen, die Dänen seien nur ungeliebte Besatzer gewesen?
8. Noch einmal: Lübeck als Stadt des Reiches
Ja, nichts währt ewig, auch keine Großmächte. Warum mußte König Waldemar II auch auf einsamer Insel nach einem Jagdausflug in einer schönen Mainacht unbewacht in sein Zelt kriechen? Der Graf von Schwerin hatte allen Grund, diesen Mann zu kidnappen, schließlich war sein Schwerin von den Dänen besetzt worden. Aber einen Ort, ihn einzusperren, fand er dennoch. Zwei Jahre lang feilschte der Graf um den Preis, den König wieder freizulassen, und eine große Koalition von Feinden des Dänen stand ihm bei. Als die dann auch noch ein dänisches Heer besiegte, mußte Waldemar (sicherlich zähneknirschend) nicht nur 45.000 Mark Silber auf den Tisch legen, sondern auf alle Gebiete verzichten, die zum heiligen römischen Reich gehörten – Mecklenburg, die Grafschaften Schwerin und Holstein. Da hatten auch die Lübecker schon die Zeichen der Zeit erkannt und die dänische Burgmannschaft sicherheitshalber davongejagt.
Doch sogleich wuchs die Gefahr, dass ein anderer die leere Burg besetzen könnte. Also rissen sie erst einmal die gegen die Stadt gerichteten Mauern dieser Festung nieder.
Außerdem ließen sie sich in einer gewichtigen Urkunde von den fürstlichen Gegnern Waldemars bescheinigen, dass ihre Unterstützung auf eigene Rechnung geschehen sei und ganz und gar freiwillig. Aber letztlich konnte jetzt jeder Anspruch auf die Stadtherrschaft erheben, und Adolf IV, Graf im gerade wiedergewonnenen Holstein, würde sicher bald darauf zurückkommen.
Die Herren des Rats sannen auf Abhilfe, und die sah so aus: Man holte die alte Urkunde Kaiser Barbarossas aus der Truhe, und da sie schon ein wenig vergilbt war, schrieb der Notar des Rates namens Marold sie fein säuberlich ab – und gleich ein paar weitere wichtige Dinge mit hinein. Schließlich hatte ja Waldemar den Lübeckern ebenfalls einiges zugestanden. Aber etliche ganz neue Wünsche tauchten ebenfalls dort auf, die man dabei dem Kaiser als vorhandenes Privileg unterschieben konnte: So sollte der Rat Verstöße gegen seine eigenen Erlasse auch bestrafen können, und er hätte das Recht, die Pfarrer seiner Ratskirche St. Marien selber zu wählen. Schließlich sei die Stadt von der Heerfolge befreit. Und – vorsichtig, wie Geschäftsleute eben sind – die alte Vorlage landete im offenen Kamin. Und dort brannte zufällig das Feuer. Daneben aber listete man noch weitere Punkte auf, die der Kaiser gewähren sollte und die man schlecht zurückdatieren konnte.
Mit diesen geschönten Dokumenten machten sich zwei Herren aus dem Rat auf, um über die Alpen ins ferne Italien zu reisen, wo Friedrich II. sich aufhielt. Im Mai 1226 trafen sie in Borgo bei Parma ein, und der Kaiser empfing sie freundlich. Die Barbarossa-Urkunde war rasch unterschrieben, doch mit den anderen Forderungen ließ er sich Zeit. Zwei Wochen mussten die lübischen Abgesandten ausharren, ehe sie das Pergament mit dem Reichssiegel und den Unterschriften vieler gewichtiger Zeugen, darunter drei Erzbischöfe, acht Bischöfe und etliche weltliche Fürsten, in den Händen hielten.
Doch das Zittern hatte sich gelohnt: Lübeck erhielt die Burg von Travemünde und den Priwall zugesprochen sowie weitere Bereiche längs der Trave, die bisher dem Holsteiner gehörten. Verboten war es allen Nachbarn, entlang der Trave eine Burg zu errichten und damit den Lübecker Handel zu gefährden. Auch sonst gab es allerlei Vorteile für die Lübecker Kaufleute, wenn sie im Reich unterwegs waren. Vor allem aber: Lübeck sollte frei sein, nur dem deutschen König, also dem Kaiser, unterstellt, es sei „Reichsgut“ – und es sollte auch in aller Zukunft nicht aus dem Besitz des Reiches herausgenommen werden, wenn es wieder einmal einem Kaiser in den Sinn kommen sollte, einem Fürsten die Stadtherrschaft abzutreten.
Das alles konnte Kaiser Friedrich zwar überhaupt nicht durchsetzen, aber es war ein unbestreitbarer Rechtstitel für die Stadt, und als die Sendboten mit ihrem kostbaren Dokument zurückgekehrt waren, legte man es in der Trese ab, der Schatzkammer der Stadt unter dem Dach von St. Marien – und bis 1940 war es dort wohlverwahrt, bis es nach manchen Irrungen 1986 wieder nach Lübeck zurückkehrte. Nur das goldene Siegel des Kaisers – die Bulle – hatte es dabei eingebüßt. Gold findet eben immer einen Käufer.
Noch aber war die Freiheit Lübecks nur ein Versprechen, für dessen Einlösung die Stadt erst selbst sorgen mußte. Zwar hatte Waldemar feierlich auf Rache verzichtet, doch bald versuchte er, das Verlorene zurück zu gewinnen. Schließlich hatte ihn der Papst höchst persönlich von seinem erzwungenen Eid gelöst.
9. Lübeck – Zentrum des Fernhandels
Waren es anfangs zumeist Luxusartikel, die unsere aben- teuernden Fernhändler mit der Knorr, dem etwas breiter ausladenden Langschiff der Nordmänner, von Gotland herbeischafften und damit glänzende Geschäfte machten, so wuchs im 13. Jahrhundert der Bedarf an Massengütern: Weizen, Holz, Wachs und Honig, vor allem aber Fisch, getrocknet, gedörrt, gesalzen. Und langsam wurde es schwierig, das alles auf dem Seeweg zu befördern.
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Dietrich Bokholt hat sein Schiff im Hafen von Skanör mit Heringsfässern beladen. Gerade hat er sich vom Ältermann der Hansischen verabschiedet und schlendert zurück zum Strand. Doch plötzlich stutzt er: Dicht neben dem seinen liegt ein fremdes Schiff, und fremd ist auch seine Bauart.
Zwar ist es kaum größer als seine Knorr, doch weitaus bauchiger und mit höheren Bordwänden; der Vordersteven ragt ohne jede Krümmung aus dem Wasser, der hintere ist noch steiler und ebenfalls gerade. Auch liegt das Schiff viel dichter am Ufer, es scheint einen flachen Boden statt des üblichen Kiels zu haben. Das erklärt auch, warum es so breit und behäbig erscheint. Gerade kommt sein Schiffsführer hinzu, auch er betrachtet das andere Schiff mit Erstaunen.
„Seht nur,“ sagt er zu Dietrich: „Nirgends sind die Planken geklinkert! Keine liegt über der anderen, keine ist genagelt und gedichtet worden. Ob man mit solch glatten Schiffswänden wohl schneller durch das Wasser gleitet?“ Dietrich zuckt die Achseln. Er bewundert eher, dass dieses Schiff nicht offen ist, sondern nach oben hin geschlossen. Und auf dem Heck sitzt sogar ein erhöhtes Podest wie ein flachgedeckter Schuppen. Neugierig tritt er näher an das Ufer heran. Vom Mast weht der Wimpel einer St. Knut-Gilde, also kommt das Schiff wohl von einer der dänischen Inseln.
Doch dann sieht er, wie der Schiffer an Deck kommt, und ruft ihn an: „Sagt, guter Freund, was habt Ihr da für ein Schiff?“ Der Däne lacht: „Da staunt Ihr, nicht wahr? Dabei gibt es diese Koggen schon seit langem. Die Friesen fahren darauf, denn mit dem flachen Boden liegt es gut auf, wenn im Hafen Niedrigwasser ist. Das ist auch im flachen Wattenmeer ein großer