Christine Feichtinger

Schicksalhafter Kompromiss


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andere Welt.

      Patrik Lerner war ein 40-jähriger, vitaler Mann, der dem ganzen Treiben gelangweilt zusah. Viel hatte ihm die Zeit an seiner Schönheit und seinem stürmischen Temperament nicht anhaben können. Jeden Tag beobachtete er sorgfältig sein Aussehen vor dem Spiegel und führte seine vermeintlich von ihm gepachtete ewige Jugend auf seine zahlreichen Jungbrunnen, wie er seine Affären nannte, zurück. Nur seine schütter gewordenen Haare an der Stirnseite und die grauen Schläfen störten ihn. Dies schien sein einziger sichtbarer Makel zu sein. Jeden Tag riss er sich die grauen Haare aus, als könne er dadurch sein Alter kaschieren. Als gäbe die Natur ihren Segen und wolle sein untreues Treiben forcieren, war er ohne Anstrengung schlank und dynamisch geblieben. Sein jugendliches Auftreten und sein stürmischer, unstillbarer Unternehmergeist auf allen Linien, sein immerwährender Appetit auf junge Mädchen und Frauen, hatte mit den Jahren eher noch zugenommen. Durch seine Heirat in eine gut situierte Unternehmerfamilie war er überall ein gern gesehener Gast und konnte sich ohne fixe Arbeitszeiten problemlos Freiräume und Extras leisten. Seine einzige Sportart war die Jagd nach Weibern.

      Er kannte seinen Marktwert und seine unwiderstehliche Anziehungskraft auf junge Mädchen, Eigenschaften, die er immer neu erprobte. Wenn er den jungen, unerfahrenen Mädchen die Unschuld geraubt hatte und ihn diese anhimmelten als wäre er ihr Erlöser, strahlte er heimlich. Immer, wenn sie ihm nachliefen wie kleine Hündchen, ihre Liebesschwüre im höchsten Liebestaumel stöhnten, fühlte er sich jedes Mal als einzigartiger Herzensbrecher bestätigt, unübertrefflich und gottgleich.

      Mit überschlagenen Beinen und seinem vierten Glas Martini saß Patrik lässig im Halbdunkel, umgeben von lauter langweiligem Grünzeug, wie er die jungen Mädchen nannte. Mal schauen ob mich eine von euch in Schwung bringt und die Nacht noch eine flüchtige Liebe für mich bereithält?

      Wie bei einer öffentlichen Auktion in einem orientalischen Bazar beobachtete er die neu auf den Markt kommenden, blutjungen Mädchen. Irgendwie schien ihm, als wären alle Mädchen in ihren Miniröcken, Stöckelschuhen, mit den langen Haaren, in ihrer Schminke mit blutroten Lippen im Aussehen gleich, als wären sie alle Schwestern. Er beobachtete, wie einige mit ihrem Gekicher und durch das Bewegen ihrer blonden Mähne auf sich aufmerksam machten, während andere durch ihre aufreizenden, rhythmischen Bewegungen unter vollem Körpereinsatz dies versuchten. Wieder andere sandten durch Singen Signale an die Männerwelt wie Vögel in ihrem Balzgesang. Ihr auffallendes, schwärmerisches Getue entging ihm nicht. Jede gab sich Mühe, zu gefallen. Sodann sortierte er die Schar der Mädchen gedanklich wie in einem Ausleseverfahren in schöne und hässliche Mädchen. Dann reihte er sie gewohnheitsmäßig in Kategorien ein. Er überlegte, welches Mädchen als Geliebte leicht oder schwer zu erobern wäre und welches zärtlich, lüstern und leidenschaftlich wäre. Welche Liebestechniken würde das eine oder andere unschuldige Mädchen bevorzugen?

      Seine Gedanken verfinsterten sich einen Moment. Welche würde in der Liebe unersättlich sein? Welche würde eifersüchtig wie eine Klette an ihrem Liebhaber hängen und ihm die Luft zum Atmen nehmen? Ironisch lächelte er, als er die mit Pickeln übersäten, milchgesichtigen Buben in ihrer Unerfahrenheit beobachtete. Wie tollpatschig sie versuchten, ein Mädchen zu erobern. Wie aufdringlich sie waren. Sie knutschten und begrapschten die Mädchen fordernd, ungeachtet der Abwehr der Mädchen. Amüsiert verfolgte er die Mädchen, wenn sie untereinander ihr Missfallen oder Gefallen an ihren Verehrern durch ihre Mimik, teils angewidert durch heruntergezogene Mundwinkel, teils erfreut durch leuchtende Augen, Zwinkern und hochgezogene Augenbrauen hinter dem Rücken derselben verrieten.

      Gerade als Patrik Lerner bedauernd befand, für ihn gäbe es unter diesen Gören heute keine schnelle Liebe und sein Verweilen hier nur reine Zeitverschwendung wäre, sah er seinen schlaksigen Sohn Ewald mit dem schönsten Mädchen hier innig umschlungen tanzen. Sogleich bekam seine Neugier Schwung und Dynamik. Seit wann war sein Sohn erwachsen? Gestern noch hatte er Pickel und eine krächzende Stimme. Guten Geschmack hat er, diese Kleine wäre auch sein Typ und würde gut in sein Beuteschema passen, dachte er fast neidisch. Ein Funke Eifersucht trat unvermutet auf und ließ das Herz von Patrik Lerner höher schlagen. Im selben Moment erschrak er darüber, dass er nun schon seinem halberwachsenen Sohn als Liebhaber, quasi als seinen eigenen Kontrahenten in seinem Revier in Liebesdingen zusehen musste. Bin ich schon so alt? Waren seine besten Jahre vorbei und wurde er von seinem Sohn als Zaungast ins altersbedingte Abstellgleis verwiesen? Wenn ja, musste sich das sofort ändern.

      Als sähe das schöne Mädchen an Ewalds Seite Patriks begehrliche Blicke auf sich gerichtet, sendete es ihm verführerische Signale. Es warf seine langen, blonden Haare bedächtig in den Nacken und lachte Patrik neckisch an.

      Neugierig geworden, als wäre er auf der Pirsch, beobachtete Patrik gespannt das unbekannte Mädchen. Wie grazil ihre Bewegungen waren, wie geschmeidig sie sich nach allen Seiten drehte und wendete, sodass unter ihrem Minirock straffe, wohlgeformte Rundungen und Beine zum Vorschein kamen. Als würde sie ihren erotischen Liebestanz nur für Patrik tanzen, begannen seine Augen vor Entzücken zu leuchten und sein Herz schlug wie verrückt vor lauter Begierde. Geradeso, als hätte ihn dieses Mädchen uneigennützig soeben aus seiner Lethargie wachgeküsst und neue Lebensfreude eingehaucht.

      Jetzt flüsterte sie Ewald etwas ins Ohr. Sie schien eng mit seinem Sohn vertraut zu sein. Sodann lächelten und flüsterten sie sich allerhand zu, wobei das Mädchen Patrik zwischen-durch neckisch anlächelte.

      Als Ewald seinen Vater allein in der Ecke sitzend erblickte, nahm er wie selbstverständlich das ahnungslose Mädchen an der Hand und ging stolz und glückstrahlend zu seinem Vater. Soll er doch sehen, welch tolle Eroberung ich gemacht habe.

      „Das ist Anneliese Kern“, erklärte Ewald kurz.

      Gut, dass du mich nicht als deinen Vater vorgestellt hast. Ein besseres Geschenk hättest du deinem Vater nicht machen können, dachte Patrik. Wie auf einem Silberteller präsentierst du sie mir, als wäre es zwischen uns ein abgekartetes Spiel.

      Vielleicht kann ich mit ihr ein paar glückliche Stunden verbringen und mich über mein soeben von meinem Sohn schmerzlich vorgeführtes Älterwerden hinwegtrösten, dachte Patrik.

      „Cool, was für ein reizendes Girl“, rief Patrik, bemüht, lässig zu wirken. Die Kleine gefällt mir.

      „Ich bin Patrik.“ Mit einem unwiderstehlichen Lächeln gab er Anneliese die Hand und streichelte sie an ihrer Handinnenfläche. Sie errötete, was seine Neugier anstachelte. Wie schade, dachte Patrik, dass ich hier vor meinem Sohn meine sonstige Eroberungsmasche nicht anbringen kann. Denn wenn er sonst auf Eroberungstour war, nannte er sich immer Charly, schilderte sein bisheriges Leben und erklärte bedauernd, bis jetzt immer an die falsche Frau geraten zu sein. Nun sei er, übersättigt von allen Frauen, endlich bei ihr, seiner ersehnten Traumfrau gelandet.

      Die feinfühligen, empfangsbereiten Antennen Patriks lauerten auf Annelieses erste Signale der Liebe.

      Vom bereits ausgeworfenen Netz der Liebe seines Vaters nichts ahnend, warf sich Ewald auf den nebenstehenden Sessel, wobei er Anneliese auf seinen Schoss riss. Ihre wunderschönen Beine berührten kurz Patriks Schenkel. Er jubelte innerlich.

      Sogleich befreite sich Anneliese verlegen und setzte sich Patrik gegenüber. Mit einem scheuen Blick musterte sie ihr Gegenüber. Patrik gefiel ihr, sie hatte eine Vorliebe für ältere, erfahrene Herren in modischer Kleidung und eleganter Erscheinung. Nach seinem Äußeren zu beurteilen, hatte er Geld, wovon seine teure Uhr und sein Siegelring Zeugnis gaben. Die Art, wie er genussvoll an seiner Zigarette zog, wertete sie als sinnlich. Das modische Hemd, die Jeans und die eleganten Schuhe passten ihm gut.

      Wie eine stillschweigende Allianz kreuzten sich ihre Blicke. Patriks Augen fixierten jede ihrer Bewegungen und wie zufällig berührte er ihre Hand, als er sein Glas nahm. Diese Berührung löste in Anneliese Unsicherheit und Herzklopfen aus, als wäre es eine unstatthafte Liebkosung. Sie fühlte Patriks bewundernde Blicke auf sich gerichtet und sandte in kindlicher Unschuld auch ihrerseits Signale des Wohlgefallens.

      Bei jedem ihrer schmachtenden, schüchternen Blicke, die er wohlig auf seinem liebeshungrigen Körper spürte, wurde er sicherer, dass sie ihn anbetete. Er sah das Glück und die Sehnsucht eines unbedarften Mädchenherzens in ihren Augen