Klaus Mann

Klaus Mann - Das literarische Werk


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dem der Angstschweiß auf der Stirne stand, wartete darauf, daß die Schwarze seine Barbara, Bruckners Tochter, eine »lahme Ente« nennen würde. Juliette indessen schien nicht geneigt, diese theoretische Konversation fortzusetzen. In einem drohenden Ton, der prompte und exakte Antwort verlangte, fragte sie: »Also – wann kommst du zu mir?«

      In einer Dachkammer, deren graue Kahlheit durch die süßlich-grelle Reproduktion einer Raffael-Madonna über dem Bett nicht verschönt, sondern grotesk betont wurde, begannen die makabren Exerzitien wieder, die früher Frau Konsul Mönkebergs bürgerliche Stube als Dekoration gehabt hatten. Hier atmete der junge Ehemann wieder den wildfremd-vertrauten Geruch, der gemischt zu sein schien aus billigstem Parfüm und dem Aroma des Urwalds. Hier gehorchte er wieder der rauhen, bellenden Stimme, dem Händeklatschen, dem rhythmischen Stampfen seiner Meisterin. Hier deklamierte er wieder französische Verse, wenn er stöhnend vor Erschöpfung auf die harte Pritsche gesunken war, die der Königstochter als Bett diente. Nun aber führten diese finsteren Festlichkeiten, die Höfgen sich – wie früher – zweimal in der Woche gönnte, zu einem abscheulichen Höhepunkt, der ihnen früher gefehlt hatte. Wenn alles vorüber war und Fräulein Juliette ihren befriedigten und ermatteten Schüler ruhen ließ, dann begann Hendrik, in dieser Kammer und vor dieser Frau, von seiner Gattin Barbara zu sprechen.

      Was er der diskret-forschenden, eifersüchtig-gespannten Neugierde seiner Freundin Hedda von Herzfeld, was er dem kameradschaftlichen Interesse des Gesinnungsgenossen Otto Ulrichs verschwieg, das gestand er seiner Schwarzen Venus, die ihn »Heinz« nennen durfte: ihr beichtete er, was er um Barbara litt. Ihr, und nur ihr gegenüber zwang er sich zur Aufrichtigkeit. Er verheimlichte nichts, auch nicht die eigene Schande. Da Fräulein Martens von seiner physiologischen Niederlage, seiner ehelichen Blamage erfuhr, lachte sie rauh, lang und herzlich. Hendrik wand sich unter diesem Gelächter, das ihm schwerer zu ertragen schien als die schärfsten Hiebe. Über ihm grinste die schwarze Königstochter: »Na, wenn das so ist, mein Süßer – wenn sich das so verhält – dann kannst du wohl nicht erwarten, daß deine Schöne dich noch mit besonderem Respekt behandelt!«

      Er berichtete von Barbaras Morgenritten, die er als eine ständige Provokation empfand; er beklagte sich über all ihre stolzen Extravaganzen – »aus den weichen Eiern macht sie sich einen Cocktail, mit zehn scharfen Saucen, und schaut noch auf mich herab, weil ich mein Ei wie ein gewöhnlicher Sterblicher aus der Schale esse! Alles in meiner Wohnung muß möglichst genauso sein wie in den Häusern ihres Vaters und ihrer Großmama. Deshalb hat sie auch nicht erlaubt, daß ich mir den kleinen Böck als Diener nehme: ein sehr braver Junge, mir treu ergeben, mit ihm hätte sie sich nicht gegen mich verschwören können. Aber nein – ein Mensch, der zu mir hält, das duldet sie in unserem Haushalt nicht. Da sucht sie Ausreden und behauptet, der kleine Böck würde die Wohnung nicht in Ordnung halten – dabei kennt sie ihn überhaupt nicht, er ist seit Jahren mein Garderobier, und ich kann es beschwören: er ist die personifizierte Ordnungsliebe. Statt seiner haben wir nun irgendeine unsympathische alte Person, die zwanzig Jahre lang Zimmermädchen auf dem Gute der Generalin war: damit sich nur ja nichts ändert im Leben der gnädigen Frau!«

      Dies alles hörte die Schwarze Venus sich geduldig an. Sie mußte auch zur Kenntnis nehmen, daß Barbara in guten Hamburger Häusern verkehre – »bei Geheimräten oder Bankdirektoren!« sagte Hendrik gehässig – in die er, der Schauspieler Höfgen, nicht eingeladen oder doch nur auf eine verächtliche Art, die ihn zur Absage zwang, »mit eingeladen« wurde. Barbara besuchte lauter Örtlichkeiten, die ihm fremd und feindlich schienen – Hörsäle oder Salons. Auch ihre große und verzweigte Korrespondenz bedeutete ihm ein Ärgernis. Immer schrieb oder empfing sie Briefe, Hendrik wußte nicht einmal, wer die Leute waren, mit denen sie in so reger Verbindung stand: darüber beklagte er sich bitter bei der Schwarzen Venus. Ob Juliette nicht auch der Ansicht sei, daß in den Episteln, die Barbara an ihren Vater, an die Generalin oder an ihren fatalen Jugendfreund, diesen Sebastian, sandte, hauptsächlich Dinge standen, die herabsetzend für ihn, für Hendrik, waren? Prinzessin Tebab konnte und wollte diese Möglichkeit nicht bestreiten. »Sicher macht sie sich schriftlich über mich lustig!« rief Hendrik erregt. »Wenn sie kein schlechtes Gewissen hätte, würde sie mir gewiß einmal eine von den vielen Antworten zeigen, die sie bekommt. Aber niemals kriege ich etwas zu sehen.« Diesen Umstand fand Hendrik besonders deshalb sehr schlimm und auffallend, weil er seinerseits Barbara mehrmals die Briefe gezeigt hatte, die er von seiner Mutter, Frau Bella, empfing. »Das tue ich aber nie mehr«, erklärte er nun der dunklen Königstochter mit Entschiedenheit. »Wozu soll ich sie ins Vertrauen ziehen, wenn sie doch ihrerseits nichts treibt als Heimlichkeiten? Und übrigens hat sie auch noch die Frechheit, über die Briefe meiner Mutter zu lachen.« – Wirklich hatte Barbara sich herzlich amüsiert, als Hendrik ihr den Brief zeigte, in dem Frau Höfgen vom Ende der neuesten Verlobung Josys berichtete. »Natürlich sind wir alle sehr froh darüber, daß die Sache noch einmal so gut abgelaufen ist«, schrieb die arme Mama. Hierüber hatte Barbara lange lachen müssen, und übrigens hatte Hendrik sich an ihrer Fröhlichkeit beteiligt: in jenem Augenblick fand er selber die Briefstelle ebenso drollig, wie sie Barbara schien. Nachträglich erst kam der Ärger, den er nun der Schwarzen Venus mit gereizten und klagenden Worten mitteilte. »An ihrer Familie ist alles heilig!« rief er aus. »Über die Frau Generalin und ihre Lorgnette darf man nichts sagen. Meine Mutter aber wird verspottet.«

      Mit solchen Erzählungen und Lamentationen endeten die Visiten in Juliettes düsterer Dachkammer. Ehe Hendrik die fünf Mark auf dem Nachttisch deponierte und ging, sagte er seiner Prinzessin, daß er sie viel, viel mehr liebe als Barbara. »Das ist ja gar nicht wahr«, antwortete Juliette mit ihrer ruhigen und tiefen Stimme. »Du lügst ja schon wieder.« Daraufhin zeigte Hendrik ein vieldeutiges, schmerzliches, höhnisches, versonnenes Lächeln. »Lüge ich?« fragte er leise. Und dann – plötzlich mit einer hellen Stimme und das Kinn hochgereckt: »Na, ich muß ins Theater …«

      Die Proben zu der neuen Inszenierung des »Sommernachtstraum«, in der Hendrik den Elfenkönig Oberon spielte, und die Vorbereitungen zu einer großen Revue waren wichtiger und erregender als das zugleich komplizierte und müßige Problem, wen er mehr liebe: Barbara oder Juliette. »Unsereiner hat nicht das Recht, sich durch Privatangelegenheiten ablenken zu lassen von der Arbeit«, erklärte er seiner Freundin Hedda. »Schließlich ist man zuerst und vor allem Künstler«, schloß er, und sein Gesicht zeigte einen Ausdruck, der sowohl stolz und siegesgewiß als auch leidend war.

      Barbara, die ihren Tag mit Sport, Lektüre, Zeichnen, Korrespondenz oder in den Hörsälen der Universität verbrachte, erschien manchmal gegen Abend im Theater, um Hendrik von der Probe abzuholen. Zuweilen verbrachte sie auch eine Stunde in den Garderoben oder im H.K. – was übrigens von Hendrik nicht gerne gesehen wurde. Da er argwöhnte, daß seine Frau die Kollegen gegen ihn aufzuhetzen versuchte, wollte er keineswegs, daß der Kontakt zwischen ihr und dem Ensemble des Künstlertheaters ein gar zu enger werde. Vergeblich bemühte Barbara sich darum, für eine der vielen Neuinszenierungen, die im Laufe des Winters herauskamen, die Dekorationen entwerfen zu dürfen. Immer wieder versprach Hendrik ihr, er werde sich bei der Direktion dafür einsetzen, daß sie einen Auftrag erhalte; immer wieder kam er mit dem Bescheid zurück, die Direktoren Schmitz und Kroge wären dieser Idee gar nicht abgeneigt, aber alles scheitere am Widerstand der Frau von Herzfeld.

      Diese Behauptung war nicht völlig aus der Luft gegriffen. In der Tat wurde Hedda mißgelaunt und ablehnend, wenn von Barbara die Rede war. Leidvolle Eifersucht machte die kluge Frau böse und ungerecht. Sie konnte es dieser Barbara nicht verzeihen, daß Hendrik sie geheiratet hatte. Sicher war Frau von Herzfeld niemals so verwegen gewesen, sich ihrerseits ernste Hoffnungen auf Höfgen zu machen. Sie wußte um den speziellen Geschmack des geliebten Mannes, in das düstere und peinliche Geheimnis seiner Beziehung zur Prinzessin Tebab war sie eingeweiht. Die Rolle, mit der sie sich zufriedengeben mußte – und jahrelang zufriedengegeben hatte – war die der schwesterlichen Freundin und Vertrauten. Gerade diese Rolle war es, die Barbara ihr nun streitig machte. Für Hedda bedeutete es einen Triumph, daß die Rivalin sie nicht zufriedenstellend auszufüllen schien, ihre höchst beneidenswerte Rolle. Hendrik sagte dies nicht ausdrücklich, aber der geschärfte Instinkt der Eifersüchtigen erriet es. Frau von Herzfeld wußte, woran es lag: Die Geheimratstochter war zu anspruchsvoll. Man mußte verzichten, sich selber ausschalten können, wollte man auskommen mit Hendrik Höfgen. Denn natürlich