Klaus Mann

Klaus Mann - Das literarische Werk


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deines Hauses haben dich verdorben. Du hast keine Gesinnung, sondern nur eine verspielte Neugierde.« Er stand sehr aufrecht mitten im Zimmer; seine streng dozierenden Worte begleitete er mit ruckhaften, eckigen Bewegungen der Arme.

      Barbara sagte leise: »Ich gebe es zu – der Junge tut mir ein bißchen leid, und er interessiert mich ein bißchen. Er ist krank und ehrgeizig, und er hat nicht genug zu essen. Ihr behandelt ihn schlecht – du, deine Freundin Herzfeld und die anderen. Er sucht etwas, woran er sich klammern und aufrichten kann. So ist er zu diesem Wahnsinn gekommen, den er jetzt so stolz seine Gesinnung nennt …«

      Hendrik mußte höhnisch durch die Nase lachen. »Wieviel Verständnis du aufbringst für diesen Lausekerl! Wir behandeln ihn schlecht! Das ist köstlich! Wenn ich dergleichen nur höre! – Hast du denn keine Vorstellung davon, wie er und seine Freunde uns behandeln würden, wenn das Pack an die Macht käme?!« Hendrik – den Oberkörper vorgeneigt, die Arme in die Hüften gestemmt – fragte es mit wütender Eindringlichkeit.

      Barbara sagte langsam, ohne ihn dabei anzusehen: »Gott verhüte es, daß diese Irrsinnigen jemals die Macht bekommen. Ich möchte dann nicht mehr leben in diesem Lande.« Sie schüttelte sich ein wenig, als spürte sie jetzt schon die ekelhafte Berührung der Brutalität und der Lüge, die in Deutschland herrschen würden, wenn die Nazis herrschten. »Die Unterwelt«, sagte sie schaudernd. »Es ist die Unterwelt, die da nach der Macht verlangt …«

      »Du aber setzt dich an einen Tisch mit ihr und plauderst!« Hendrik machte große Schritte durchs Zimmer und sah triumphierend aus. »Das ist die edle bürgerliche Toleranz! Nur immer ein feines Verständnis haben für den Todfeind – oder für das, was man heute noch den Todfeind nennt! Ich hoffe für dich, meine Liebe, daß du dich mit ihr, der Unterwelt, erst recht vertragen würdest, wenn sie einmal an die Macht käme: du wärest dazu imstande, noch dem faschistischen Terror interessante Seiten abzugewinnen. Euer Liberalismus würde es lernen, sich abzufinden mit der nationalistischen Diktatur. Nur wir, die kämpferischen Revolutionäre, sind ihre Todfeinde – und nur wir werden verhindern, daß sie heraufkommt!« Er stolzierte wie ein Gockelhahn durchs Zimmer, ekstatisch schielend und das Kinn gereckt. Barbara aber stand unbeweglich. Hätte Hendrik sie angesehen in diesem Augenblick, er wäre erschrocken vor dem großen Ernst ihres Gesichtes.

      »Du glaubst also, ich würde mich abfinden«, sagte sie beinahe tonlos. »Du meinst, ich würde mich versöhnen – mit dem Todfeind versöhnen.«

      Wenige Tage später kam es zwischen Hendrik und Miklas zu einem Zusammenstoß, der damit endigte, daß Höfgen die fristlose Entlassung des jungen Schauspielers bei der Direktion des Hamburger Künstlertheaters durchsetzte. Der Anlaß zu der Katastrophe – die für Höfgen ein Triumph, für Hans Miklas aber verhängnisvoll und vernichtend wurde – schien zunächst harmlos.

      Hendrik war an diesem Abend in brillanter Stimmung, der Schalk saß ihm im Nacken, er schäumte über von echt rheinischer Munterkeit und überraschte die ehrfurchtsvoll belustigten Kollegen mit immer neuen Schnurren und Scherzen. Gerade hatte er ein ebenso vergnügliches wie ergiebiges Spiel ersonnen. Da er in den Zeitungen nur die Theaternachrichten gründlich las und sich eigentlich nur für Dinge, die das Theater betrafen, lebhaft interessierte, wußte er in den Ensembles aller deutschen Schauspiel-, Opern- oder Operettenbühnen Bescheid; sein geübtes Gedächtnis behielt den Namen der zweiten Altistin in Königsberg wie der »übertragenen Salondame« in Halle an der Saale. Es gab viel Spaß und Gelächter, da Hendrik sich von den Kollegen in seiner sonderbaren Wissenschaft prüfen ließ. Er antwortete prompt, wenn man ihn fragte: »Wer ist der jugendliche Bonvivant in Halberstadt?« Und er blieb die Auskunft nicht schuldig, wenn man wissen wollte: »Wo ist Frau Türkheim-Gävernitz zur Zeit engagiert?«

      »Als Komische Alte in Heidelberg«, warf Höfgen hin, als wäre dies etwas Selbstverständliches.

      Zu der Unannehmlichkeit mit Miklas kam es, als jemand fragte: »Bitte, wer ist die erste Sentimentale am Stadttheater in Jena?« Hendrik erwiderte: »Eine blöde Kuh. Sie heißt Lotte Lindenthal.« Daraufhin mischte sich Miklas ein, der abseits geblieben und nicht mitgelacht hatte: »Warum ist gerade Lotte Lindenthal eine blöde Kuh?« Höfgen versetzte eisig: »Ich weiß nicht, warum sie eine ist; aber sie ist eine.« Und Miklas, mit einer rauhen und leisen Stimme: »Ich aber kann Ihnen sagen, Herr Höfgen, warum Sie gerade diese Dame beleidigen wollen: weil Sie ganz genau wissen, daß sie die Freundin eines unserer nationalsozialistischen Führer ist, nämlich unseres heroischen Kampffliegers …«

      Hier unterbrach ihn Höfgen, der mit den Fingern hart auf die Tischplatte trommelte und dessen Gesicht vor Hochmut versteinert schien. »Es interessiert mich nur mäßig, Namen und Titel von Fräulein Lindenthals Buhlen zu erfahren«, sagte er, ohne Miklas eines Blickes zu würdigen. »Übrigens würde es eine lange Liste werden. Fräulein Lindenthal amüsiert sich nicht nur mit dem Fliegeroffizier.«

      Miklas, die Fäuste geballt und den Kopf geduckt, stand in der kampfbereiten Haltung eines Gassenjungen, der sich gleich, zur großen Rauferei, auf den Gegner stürzen wird. Unter einer wütend gesenkten Stirne schienen die hellen Augen erblindet zu sein vor Zorn. »Hüten Sie sich«, keuchte er, und alle im Lokal erschraken über seine frevlerische Kühnheit. »Ich dulde es nicht, daß eine Dame öffentlich beleidigt wird, nur weil sie der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei angehört und die Freundin eines deutschen Helden ist. Ich dulde es nicht!« knirschte er mit den Zähnen, und er tat ein paar drohende Schritte.

      »Sie dulden es nicht!« wiederholte Hendrik und lächelte diabolisch. »Ei, ei«, fügte er noch höhnisch hinzu – woraufhin Miklas sich nun wirklich auf ihn stürzen wollte: er wurde aber zurückgehalten von Otto Ulrichs, der ihn kräftig an den Schultern packte. »Du bist wohl besoffen!« schrie Ulrichs und schüttelte Miklas, der hervorbrachte: »Ich bin nicht besoffen, im Gegenteil! Aber vielleicht bin ich der einzige hier im Raum, der noch einen Rest von Ehrgefühl im Leibe hat! Niemand in diesem verjudeten Milieu scheint etwas dabei zu finden, wenn man eine Dame beschimpft …«

      »Genug!« Dieser metallisch klirrende Ruf kam von Höfgen, der hoch aufgerichtet stand. Alle sahen ihn an. Er sprach mit einer fürchterlichen Langsamkeit: »Das glaube ich wohl, mein Lieber, daß Sie jetzt nicht besoffen sind. Sie werden sich nicht auf mildernde Umstände berufen können. Unter dem verjudeten Milieu, in dem Sie sich jetzt noch befinden, werden Sie nicht lange mehr zu leiden haben – verlassen Sie sich auf mich!« Und Höfgen verließ mit steifen, kleinen Schritten das Lokal.

      »Es läuft einem eiskalt über den Rücken«, flüsterte die Motz in eine ehrfurchtsvolle Stille. Aus welcher Ecke aber hörte man nun dieses leise Weinen? Die Souffleuse Efeu hatte ihren schweren Oberkörper auf den Tisch sinken lassen, und zwischen ihren dicken Fingern rannen die Tränen.

      Kroge, welcher der skandalösen Szene im H.K. nicht beigewohnt hatte, war nicht ohne weiteres geneigt, Höfgens Wunsch nach fristloser Entlassung des jungen Schauspielers zu entsprechen. Frau von Herzfeld und Hendrik vereinigten ihre Beredsamkeit, um seine juristischen, politischen und menschlichen Bedenken zu zerstreuen. Der Direktor schüttelte das besorgte Katergesicht, machte Stirnfalten, ging nervös auf und ab und brummte: »Ihr mögt recht haben – ich gebe es ja zu – unleidliches Betragen dieses Burschen … Aber immerhin: es widerstrebt mir, einen mittellosen und kranken Menschen Knall und Fall auf die Straße zu setzen …« Hendrik und Hedda ereiferten sich, diese unentschiedene, Kompromissen zugeneigte Haltung habe verdammte Ähnlichkeit mit der lahmen und feigen Art, die von den Regierungsparteien der Weimarer Republik dem unverschämten Nazi-Terror gegenüber an den Tag gelegt werde. »Wir müssen dem Mörderpack zeigen, daß sie sich nicht alles herausnehmen dürfen.« Hendrik schlug mit der Faust auf den Tisch.

      Beinah schon war Kroge den Argumenten seiner beiden ersten Mitarbeiter gewonnen, als Miklas, zur Überraschung aller Anwesenden, noch einen Fürsprecher fand: es war Otto Ulrichs, der sich plötzlich anmelden ließ und bat, an der Konferenz teilnehmen zu dürfen. »Ich beschwöre euch, macht das nicht!« rief er dringlich. »Mir scheint, es ist für den Jungen Strafe genug, wenn er für die nächste Saison hier nicht mehr engagiert wird. Der dumme Kerl hat sich doch das alles, was er da gestern abend geschwatzt hat, nicht so genau überlegt! Jeder von uns kann mal die Nerven verlieren …«

      »Ich