Die Stimme des Professors klang sehr gepreßt, als er »Schade!« sagte. Während der berühmte Hexenmeister – den fast alle Frauen seiner Umgebung durch ein gar zu eifriges Entgegenkommen langweilten – die Garderobe verließ, hatte er ein Gefühl, als würde sich Dora Martin, kaum allein gelassen, hinter seinem Rücken in eine Nixe verwandeln, in einen Kobold oder in ein anderes Geschöpf, welches so fremdartig war, daß niemand auch nur seinen Namen wußte. Die raffinierte und wunderliche Keuschheit der großen Schauspielerin hatte den Professor so nachdenklich gestimmt, daß er den kostümierten Gesellen zunächst gar nicht erkannte, der lächelnd einen bunten Federhut vor ihm zog. Erst nachträglich fiel ihm ein, daß es »dieser Höfgen« gewesen war, der ihn da mit einer so devoten Koketterie begrüßt hatte.
Die neue, überraschende Situation verjüngt Hendrik Höfgen. Hinter ihm liegt der provinzielle Ruhm, der bequem gemacht hat. Er ist wieder Anfänger, muß sich noch einmal bewähren. Um hinauf zu kommen – diesmal ganz hinauf – muß er alle seine Kräfte anspannen. Mit Genugtuung darf er feststellen: sie sind unverbraucht, seine Kräfte; sie sind einsatzbereit. Sein Körper strafft sich, beinah gänzlich ist das Fett verschwunden; die Bewegungen sind tänzerisch und kampfeslustig zugleich. Wer so zu lächeln versteht, wer so die Augen schillern lassen kann, der muß Erfolg haben. Schon enthält seine Stimme Jubel über Triumphe, die in Wirklichkeit noch gar nicht eingetroffen sind, jedoch nicht lange auf sich warten lassen können.
Mit einem sinnenden Interesse, in dem sich eine echte Anteilnahme mit einer kühlen und fremden Neugierde mischt, beobachtet Barbara diesen neuen Elan ihres Gatten. Halb spöttisch, halb bewundernd sieht sie Hendrik zu, der im wehenden Ledermantel und auf beschwingten Sandalen sich immer unterwegs, stets in Aktion und in der Nähe großer Entscheidungen zu befinden scheint. Barbara ist zu Hendrik zurückgekehrt, wie es ihr von ihrem Freund Sebastian prophezeit worden ist. Sie bereut es nicht. Der verwandelte, höchst gespannte Hendrik, mit dem sie nun zwei billige möblierte Zimmer bewohnt, gefällt ihr besser als der provinzielle Liebling, der schon Fett ansetzte, im H.K. Cercle hielt und in der gemütlichen Wohnung der Frau Konsul Mönkeberg den bürgerlichen Ehemann zu spielen versuchte. Barbara fühlt sich gar nicht so schlecht in den beiden finsteren Stuben, die sie jetzt mit ihrem Hendrik teilt. Sie liebt es, sich abends, nach der Vorstellung, mit ihm in einem trüben kleinen Café zu treffen, wo ein elektrisches Klavier durch das Halbdunkel klagt, wo die Kuchen aussehen wie aus Leim und Pappe und wo es keine Bekannten gibt.
Es fasziniert Barbara, Hendriks bebenden, gehetzten Berichten über den Fortgang seiner Karriere zu lauschen. In solchen Augenblicken weiß sie: er ist echt. Sein fahles Gesicht scheint in der von fragwürdigen Gerüchen satten Dämmerung der schäbigen Konditorei zu phosphoreszieren wie faules Holz in der Nacht. Der gierige Mund mit den starken, schön geschwungenen Lippen lächelt und spricht. Das kraftvolle Kinn, mit der markanten tiefen Kerbe in der Mitte, ist herrschsüchtig vorgeschoben. Vor dem Auge blitzt das Monokel. Die breiten, rötlich behaarten Hände, die durch eine geheimnisvolle Willensleistung schön erscheinen, spielen erregt mit dem Tischtuch, mit den Streichhölzern, mit allem, was in ihre Nähe kommt.
Voll fieberhaftem Eifer setzt Hendrik seine Hoffnungen, Pläne, Berechnungen auseinander; daß Barbara an ihnen Anteil nimmt, sich ihnen nicht mehr hochmutsvoll verschließt, steigert sein Lebensgefühl, erhöht seinen Ehrgeiz. Ja, Barbara macht sich auf aktive Weise verdient um seine Laufbahn. Nicht umsonst hat sie ein so durchtriebenes Madonnengesicht. Sie ist schlau, zieht ihr schwarzes Seidenkleid an und besucht den Professor, dem sie Grüße von ihrem Vater, dem Geheimrat, bringt. Der große Herr über alle Theater am Kurfürstendamm empfängt die Gattin seines jungen Schauspielers gnädig, weil sie die Tochter des Geheimrats ist, dessen Namen man so oft in den Zeitungen liest und den er neulich beim Minister getroffen hat. Das Palais des Professors könnte das eines regierenden Fürsten sein. Wohlgefällig schaut der Besitzer all dieser Barockmöbel, Gobelins und alten Meisterbilder auf die bräunlichen Arme und auf das pfiffig-melancholische Gesicht seiner Besucherin. »Na, und Sie sind also verheiratet mit – diesem Höfgen«, sagt er knarrend, als Abschluß der langen Musterung, wobei er besonders ausführlich mit der Zunge in den Backen spielt. »Irgend etwas muß ja wohl an ihm sein …«
Dies alles gereicht natürlich Hendrik zu großem Vorteil; mit den übrigen Machthabern an den Kurfürstendamm-Bühnen, mit Herrn Katz und mit Fräulein Bernhard, steht er ohnedies ausgezeichnet. Mit Herrn Katz, dem Leiter der Geschäfte – der längst nicht immer so napoleonisch ist, wie er manchmal wirken möchte – spielt der Schauspieler Höfgen Karten; zu Fräulein Bernhard, der einflußreichen und energischen Sekretärin – einer stämmigen, brünetten kleinen Person mit negroiden Lippen und einem Zwicker – verhält er sich fast ebenso kokett wie einst zum Direktor Schmitz. Findet man ihn nicht schon auf ihrem Schoße sitzend, wenn man unvermutet die Tür zum Büro öffnet? Jedenfalls kann man hören, daß Hendrik Höfgen, der erst seit vierzehn Tagen im Hause ist, das strenge Fräulein Bernhard »Rose« nennt. Das darf er sich leisten, so weit hat er es schon gebracht! Wie viele Schauspieler hatten bis jetzt den Vorzug, auch nur zu wissen, daß Fräulein Bernhards Vorname »Rose« ist?
Schöner Anfang für eine Berliner Karriere – flüstern die Kollegen sich zu. Seine hübsche Frau besucht den Professor, mit Katz spielt er Karten, und Fräulein Bernhard kitzelt er am Kinn. Aus dem kann was werden!
Aus dem wird etwas: es ist bald soweit.
Erst ist es nur eine kleine Rolle, in welcher man ihn bemerkt; aber man bemerkt ihn, die Zeitungen erwähnen schon den »begabten Herrn Hendrik Höfgen«, und er hat in dem russischen Stück doch nur einen betrunkenen jungen Bauern spielen dürfen, der auf die Bühne taumelt, um zunächst zu lallen, dann jedoch zu tanzen. Aber wie er lallt und, vor allem, wie er tanzt! Das Berliner Publikum ist hingerissen von dem gelehrigen Schüler der Prinzessin Tebab: es bricht in Beifall aus, da er geendigt hat. Mit welcher Besessenheit dieser Bursche die Glieder wirft! Alle Welt ist des Lobes voll über den ekstatischen Ausdruck, den man auf seiner Miene bemerkt haben will während des Tanzes. Rose Bernhard, die am Buffet Herren von der Presse und Damen aus der Gesellschaft um sich versammelt, konstatiert: »Es ist etwas Bacchantisches an diesem Menschen.«
Das Publikum, abgelenkt durch tausend Sorgen und Vergnügungen, vergißt den Namen des frenetischen Tänzers. Aber die Eingeweihten – die, auf welche es ankommt – merken sich Hendriks ersten Berliner Erfolg. Und von seinem zweiten spricht die Hauptstadt.
In einem sensationellen Stück, in einer aufsehenerregenden Inszenierung, gelingt es dem Schauspieler Höfgen, vom Interesse des Publikums und der Presse auf sich den größten Teil zu versammeln. Über seine Leistung wird noch mehr geredet als über den Autor des erregenden Dramas »Die Schuld« – jenen geheimnisvollen Unbekannten, dessen rätselhafte Person in den Cafés und Theaterkanzleien, in den Salons und Redaktionsbüros das beliebteste Diskussionsthema ausmacht. Wer ist der Dichter, der sich hinter dem Pseudonym Richard Loser verbirgt und der in seiner Tragödie eine so erschütternde Menge von sündigem Elend, Not und Verirrung gestaltet? Wo findet man ihn, diesen Begnadeten, der uns durch ein Labyrinth tragischer und schmutziger Komplikationen führt, der soviel Entartung, verderbte Leidenschaft, soviel Qual und Jammer kennt und zeigt? Keine Frage: der Autor dieses schaurig-spannenden Dramas, das die verschiedenartigsten stilistischen Elemente – symbolische wie naturalistische – auf wirkungsvolle und kühne Art in sich vereinigt, muß ein Abseitiger sein; ein Einsamer, der sich fernhält vom Betrieb des Marktes. Die Literaten – immer von Mißtrauen erfüllt gegen ihren eigenen Beruf – schwören: Dieser ist kein Literat. Er hat keine Routine, alles an ihm ist geniale Ursprünglichkeit. Niemals hat er eine Zeile geschrieben bis zu diesem Tage. Ein junger Nervenarzt – wollen einige besonders Eingeweihte wissen, und er lebt in Spanien. Auf Briefe antwortet er nicht, die Verhandlungen mit ihm sind durch mehrere Mittelsleute zu führen: alles dies wird ungeheuer interessant gefunden, man bespricht es fieberhaft in den Kreisen, die auf sich halten.
Ein junger Nervenarzt, und er lebt in Spanien: die Version hat viel Wahrscheinlichkeit, man glaubt sie, sie setzt sich durch. Nur ein Nervenarzt kann so bewandert sein in jenen Entartungen der Menschenseele, die zu grausigen Verbrechen führen. Wie der sich auskennt! In seinem Drama kommen alle Sünden vor. Es ist eine Gesellschaft von Verfluchten, die hier handelt und leidet. Jede Person, die auftritt, scheint ein finsteres Zeichen auf der