auch den stärksten Beifall hat. Seiner fahlen, teuflischen Miene, seiner belegten und matten Stimme ist es anzumerken, daß er mit allen Lastern vertraut ist und sogar noch finanziellen Vorteil aus ihnen zieht. Augenscheinlich ist er ein Erpresser großen Stils; aasig lächelnd bringt er junge Menschen skrupellos ins Unglück, einer von ihnen begeht Selbstmord auf offener Bühne, Hendrik, die Hände in den Hosentaschen, die Zigarette im Mund, das Monokel vorm Auge, schlendert an der Leiche vorbei. Unter Schauern empfindet das Publikum: Dieser ist die Inkarnation des Bösen. Er ist so durchaus, so vollkommen böse, wie es nur ganz selten vorkommt. Manchmal scheint er selber zu erschrecken über seine absolute Schlechtigkeit; dann bekommt er ein starres, weißes Gesicht, die fischigen Edelsteinaugen haben ein trostloses Schielen, und an den empfindlichen Schläfen vertieft sich der Leidenszug.
Höfgen spielt dem wohlhabenden Publikum des Berliner Westens die äußerste Entartung vor, und er macht Sensation. Die Verworfenheit als Delikatesse für reiche Leute: damit schafft es Höfgen. Wie er es schafft! Sein zugleich müdes und gespanntes Mienenspiel wird bewundert, sehr bewundert werden seine nachlässig weichen, anmutig tückischen Gebärden. »Er bewegt sich wie eine Katze!« schwärmt Fräulein Bernhard, die sich von ihm »Rose« nennen läßt. »Eine böse Katze! Oh, wie himmlisch böse er ist!« Seine Sprechweise – ein heiseres Flüstern, aus dem zuweilen ein bezauberndes Singen wird – kopieren schon die Kollegen von den kleineren Bühnen. – »Habe ich nun nicht recht gehabt? Es ist etwas los mit ihm«, sagt Dora Martin zum Professor, der nicht länger widersprechen kann. »Naja …« bringt er knarrend hervor, bewegt die Zunge im Munde und blickt grüblerisch. Im Grunde nimmt er »diesen Höfgen« noch immer nicht ernst; so wenig ernst, wie Oskar H. Kroge es je getan hat. ›Ein Komödiant‹, denkt der Professor, wie Kroge.
Ein faszinierender Komödiant: die Kritiker finden es, die reichen Damen finden es, Fräulein Bernhard findet es, die Kollegen können es nicht mehr leugnen. Das Stück »Die Schuld« verdankt seine außergewöhnliche Zugkraft zu großen Teilen der Leistung Höfgens. Es kann hundertmal hintereinander gespielt werden, der Professor verdient schweres Geld; das Unglaubliche geschieht: er erhöht Hendriks Gage noch während der Saison, wozu kein Vertrag ihn verpflichtet – Fräulein Bernhard und Herr Katz haben dies durchgesetzt bei ihrem illustren Chef.
Vielleicht hätte das Stück selbst hundertfünfzig- oder zweihundertmal gegeben werden können; aber allmählich dringen Gerüchte über den Autor durch, die ernüchternd wirken. Er ist gar kein sonderbarer Nervenarzt in Spanien, heißt es plötzlich. Er ist kein Außenseiter, der nur mit den Abgründen der menschlichen Seele vertraut ist, unschuldig, unwissend aber in den banalen Mysterien des »Betriebs«. Er ist überhaupt kein edler Unbekannter, sondern einfach Herr Katz, über den jeder sich schon mal geärgert hat. Die Enttäuschung ist allgemein. Herr Katz, der routinierte Geschäftsmann, hat das Drama »Die Schuld« geschrieben! Plötzlich finden alle, das Stück sei nur eine Häufung von vulgären Greueln, so geschmacklos wie unbedeutend. Man fühlt sich hereingelegt und ist der Ansicht, das Ganze sei eine große Frechheit von Herrn Katz. Ist Herr Katz Dostojewski? Seit wann denn, fragt man sich gereizt in den Kreisen, die den Ton angeben. Herr Katz ist der geschäftliche Berater des Professors – was übrigens als beneidenswerte Stellung gilt. Niemand billigt ihm das Recht zu, sich als spanischen Nervenarzt auszugeben und in Abgründe zu steigen. Das Drama »Die Schuld« muß abgesetzt werden.
Eine launische Öffentlichkeit läßt Katz fallen; Höfgen aber hat sich durchgesetzt und mittels seiner erstaunlichen Bösheit definitiv alle Herzen erobert. Beim Ende seiner ersten Berliner Saison kann er zufrieden und guter Dinge sein: Man erklärt ihn allgemein als die Größe von morgen, als den aufsteigenden Stern, als die bedeutende Hoffnung. Sein Vertrag für die nächste Spielzeit, 1929/30, sieht schon ganz anders aus als der abgelaufene: die Gage ist ihm fast verdreifacht worden, der Professor mußte es knurrend und knarrend geschehen lassen, denn die Konkurrenz ist hinter Höfgen her. »Na, nun können Sie sich reichlich frische Hemden und Lavendelwasser leisten«, sagt der Professor zu seinem neuen Star. Dieser erwidert, gewinnend lächelnd: »Eau de Cologne, Herr Professor! Ich benutze nur Eau de Cologne!«
Der Sommer ist da, Hendrik gibt die zwei trüben Stuben auf, mietet sich eine helle Wohnung im Neuen Westen, am Reichskanzlerplatz, kauft sich zahlreiche Hemden, gelbe Schuhe und zartfarbene Anzüge, nimmt Unterricht in der Kunst des Chauffierens und verhandelt mit mehreren Firmen wegen des Ankaufs eines schicken Cabriolets, welches er zum Reklamepreis beansprucht. Barbara fährt zur Generalin aufs Gut. Der erfolgreiche Gatte interessiert sie weniger, als der kämpfende, der von unbefriedigtem Ehrgeiz bebende sie interessiert hat. Frau von Herzfeld kommt zu Besuch, um Hendrik bei der Einrichtung seiner neuen Wohnung zu helfen: Sie wählt Stahlmöbel aus und als Schmuck für die Wände Reproduktionen nach van Gogh und Picasso. Die Räume behalten eine Kahlheit von elegantem, anspruchsvollem Gepräge. – Hendrik genießt Frau von Herzfelds Bewunderung, nimmt ihre Liebe, die noch gewachsen zu sein scheint, entgegen wie einen wohlverdienten Tribut. Hedda hat nun auf jede ironische Maske ihm gegenüber verzichtet. Mit einer wehmütigen Gier, einer resignierten Süchtigkeit hängen ihre sanften, goldbraunen Augen an dem grausamen Angebeteten. »Die arme kleine Siebert sieht ganz blaß aus vor lauter Sehnsucht nach Ihnen«, berichtet sie und verschweigt, daß sie ihrerseits sich einmal so weit hat gehen lassen, mit Angelika zusammen zu weinen – bitterlich und lange zu weinen um den Verlorenen, den sie niemals besessen hat.
Frau von Herzfeld darf Höfgen zu den Filmateliers begleiten; denn in diesem Sommer filmt er zum ersten Mal. In dem Kriminalfilm »Haltet den Dieb!« hat er die führende Rolle des großen Unbekannten und geheimnisvollen Übeltäters, der meist mit einer schwarzen Maske vorm Gesicht erscheint. Schwarz ist alles an ihm, selbst das Hemd: die Farbe der Kleidung läßt auf die Finsternis der Seele schließen. Er wird »der Schwarze Satan« genannt und ist der Chef einer Bande, die Falschgeld fabriziert, Rauschgift schmuggelt, gelegentlich Bankeinbrüche verübt und auch schon mehrere Morde auf dem Gewissen hat. Soviel Untaten verübt der Schwarze Satan nicht nur aus Habgier oder Spaß am Abenteuer, sondern auch aus prinzipiellen Gründen. Düstere Erfahrungen, die er einst mit einem jungen Mädchen gemacht, haben ihn zu einem Feind der Menschheit werden lassen. Es ist ihm ein Herzensbedürfnis, Schaden und Unheil zu stiften, er ist Übeltäter aus Überzeugung: dieses gesteht er, kurz vor seiner Verhaftung, dem Kreis der Kumpane, die sich wundern und fürchten; denn sie ihrerseits haben aus weniger komplizierten Gründen gestohlen. Sie murmeln ehrfurchtsvoll und betroffen, da sie erfahren, wie seltsam es um ihren Chef, den Schwarzen Satan, steht, und daß er keineswegs immer Verbrecher, vielmehr Husarenoffizier gewesen ist. Im Verlaufe dieser dramatischen Szene nimmt der Bösewicht seine Maske ab: sein Gesicht, zwischen dem steifen schwarzen Hut und dem hochgeschlossenen dunklen Hemd, ist von schauriger Blässe, übrigens immer noch aristokratisch bei aller Verkommenheit, und nicht ohne tragischen Zug.
Die maßgebenden Herren der großen Filmgesellschaft sind höchst beeindruckt von dieser grausamen und leidvollen Miene. Höfgen bringt Überraschungen, er ist eigenartig und wird gute Kassen machen, sowohl in der Hauptstadt als auch in der Provinz; so sagen sich die maßgebenden Herren, und die Angebote, die Hendrik von ihnen empfängt, übertreffen alle seine Hoffnungen. Er muß sie teilweise ablehnen; sein Vertrag mit dem Professor bindet ihn. Da er sich rar macht, werden die Filmgewaltigen erst recht wild auf ihn. Sie setzen sich mit Herrn Katz und Fräulein Bernhard in Verbindung und bieten erhebliche Abstandssummen, wenn man ihnen den Schauspieler Höfgen für einige Wochen in der Saison überläßt. Es wird viel telefoniert, korrespondiert und verhandelt. Bernhard und Katz sind anspruchsvoll; selbst für schweres Geld wollen sie nicht auf ihren Liebling verzichten. Höfgen ist der Umworbene. Alle wollen ihn haben. Er sitzt in seiner kahlen und feinen Wohnung mit den Stahlmöbeln, lächelt aasig und glossiert mit spöttisch überlegenen Worten den Kampf zwischen Bühne und Film um seine kostbare Person.
Dieses ist die Karriere! Der große Traum verwandelt sich in Wirklichkeit. Man muß nur innig genug träumen können – denkt Hendrik – und aus dem kühnen Wunschbild wird die Realität. Ach, sie ist herrlicher, als man es jemals zu träumen gewagt! In jeder Zeitung, die er aufmacht, findet er nun seinen Namen – die erfahrene Bernhard sorgt für solche Publizität – und jetzt wird er immer richtig geschrieben, in schon beinah ebenso fetten Lettern wie die Namen jener altbewährten Stars, deren Ruhm man einst, in der Kantine des Provinztheaters, neidisch verfolgt hat. Auf der Titelseite bringt eine wichtige