Klaus Mann

Klaus Mann - Das literarische Werk


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wieder die Rede; zwar realisiert Hendrik den schönen Plan ebensowenig, wie er das Revolutionäre Theater in Hamburg realisiert hat; aber er spricht doch häufig und verlockend von ihm, so daß viele junge Schauspieler und Dichter sich jahrelang auf das Unternehmen herzlich freuen dürfen. – Man gehört zur revolutionären Elite, und man läßt es sich etwas kosten: Durch Vermittlung des Otto Ulrichs leitet Höfgen Summen, die nicht erheblich sind, aber doch freudig akzeptiert werden, an gewisse Organisationen der Kommunistischen Partei …

      Wer wagt zu behaupten, er lebe ahnungslos und eitel in den Tag hinein? Seine intensive Anteilnahme an den großen Zielen und Problemen der Zeit ist bewiesen. Sehr mit Recht schaut Hendrik, seiner tadellos radikalen Gesinnung sich froh bewußt, verächtlich auf so unentschiedene Naturen, wie etwa Barbara eine ist – Barbara, die im Hause des Geheimrats oder auf dem Gute der Generalin ein müßiges und egoistisches Leben führt, eingesponnen in ihre abseitigen intellektuellen Spiele und Sorgen.

      Was weiß Hendrik von den Sorgen oder Spielen Barbaras? Was weiß Hendrik überhaupt von Menschen? Ist er, was ihre Schicksale angeht, nicht ebenso ahnungslos wie in den Dingen öffentlichen Lebens? Hat er sich mit denen, die er so gern das »Zentrum seines Lebens« nennt, gründlicher und liebevoller beschäftigt als etwa mit dem kleinen Böck, der nun wirklich sein Diener ist, oder mit Monsieur Pierre Larue, der im Hotel Esplanade feine Abendessen für »mes jeunes camarades communistes« veranstaltet?

      Kümmert Hendrik sich etwa um das innere Leben seiner Freundin Juliette? Er erwartet von ihr, daß sie immer grausam und guter Dinge sei. Sie bekommt reichlich Geld und darf die Peitsche schwingen: hat sie nicht allen Anlaß zur Zufriedenheit? Niemals denkt Höfgen darüber nach, was die dunklen Blicke meinen könnten, die das schwarze Mädchen jetzt so oft auf ihn richtet. Hat das fremde Kind vielleicht Heimweh nach den Küsten, aus deren schönerer Landschaft ein launisches Schicksal sie in eine fragwürdige Zivilisation verschlug? Beginnt sie vielleicht, in ihrem rätselvollen Herzen den fahlen, leidenssüchtigen Freund zu lieben, oder fängt sie an, ihn zu hassen? Hendrik weiß nichts davon. Für ihn ist Prinzessin Tebab die verführerische Barbarin, die schöne Wilde, an deren ungebrochener Kraft er sich erfrischt, indem er sich vor ihr erniedrigt.

      Er ahnt von Juliette so wenig, wie er von Barbara weiß oder von seiner Mutter Bella. Nur flüchtig liest er die Briefe der armen Mama, der ihr Gatte Köbes und ihre Tochter Josy – zwei muntere und bedenklich leichtsinnige Geschöpfe – viel Sorgen bereiten. Vater Köbes ist geschäftlich nun total ruiniert. »Die Krise!« jammert brieflich Frau Bella. »Dein guter Vater gehört zu den zahlreichen Opfern der Krise.« All sein Hab und Gut wäre verpfändet worden, und bittere Schande hätte die Familie heimgesucht, wäre nicht Hendrik gewesen, der in allerletzter Stunde eine größere Summe telegraphisch überwiesen hat. Schwester Josy verlobt sich mindestens einmal jedes halbe Jahr; Frau Bella atmet erleichtert auf, wenn die Verbindungen, die stets irgendwie unglückseligen Charakters sind, wieder gelöst werden.

      Einmal erscheint Nicoletta in Berlin; aber sie reist bald wieder ab, zurückgerufen von einem drohenden und klagenden Telegramm ihres Gatten Marder. »Ich bin sehr, sehr glücklich mit ihm«, erklärt Nicoletta und bemüht sich, die schönen Augen funkeln zu lassen wie einst. Aber dann stellt sich heraus, daß Marder seit zwei Jahren in einem Sanatorium lebt: Nicoletta hat ihre Zeit damit verbracht, ihn zu pflegen – sie lächelt sanft und innig, wenn sie von der kindlichen Dankbarkeit spricht, die der geniale Mann für sie hat. »Nun geht es ihm schon viel besser«, sagt sie hoffnungsvoll. »Wir können bald in den Süden ziehen, er braucht Sonne …«

      Das »Lebenszentrum«, mit dem Hendrik prahlt: Nicoletta, die Liebende, besitzt es. Auch andere dürfen es ihr eigen nennen; so Ulrichs, der kämpferisch und geduldig auf »den Tag« wartet. »Er wird kommen!« verspricht der Gläubige sich und seinen gläubigen Freunden. – »Er wird kommen, der Tag!« verheißt auch dem jungen Hans Miklas die innere Stimme freudiger Gewißheit. Er meint den schönen Tag, da »der Führer« endlich an der Herrschaft sein wird: seine Feinde aber sind dann alle vernichtet. Vernichtet ist dann vor allem der ärgste und abscheulichste Feind – Höfgen. Der Sturz des Verhaßten, dessen Laufbahn Miklas aus der Ferne mit machtlosem Ingrimm verfolgt, soll das beglückendste Ereignis des »großen Tages« sein und ein Teil seines Sinnes.

      Hans Miklas ist – wie Otto Ulrichs, sein politischer Feind – Schauspieler nur noch im Dienste der »großen Sache«, des umfassenden Ziels. Er arbeitet längst nicht mehr an Theatern, sondern nur noch mit den Jugendorganisationen der nationalsozialistischen Bewegung; seine Tätigkeit ist es, für Freilichtbühnen und Versammlungssäle Fest- und Werbespiele mit dem »Jungvolk« seines »Führers« einzustudieren: solche Beschäftigung befriedigt sein unwissendes und enthusiastisches Herz. Im Sprechchor brüllen die Burschen, daß sie siegreich die Franzosen schlagen und ihrem Führer stets die Treue wahren wollen; dies haben sie eingeübt unter der Regie des jungen Miklas, der jetzt viel gesünder und frischer aussieht als in der Hamburger Zeit – die schwarzen Löcher in seinen Wangen sind fast verschwunden.

      Der Tag ist nahe: schwärmerischer Gedanke, der Hans Miklas und Otto Ulrichs beherrscht, ausfüllt, begeistert wie Millionen anderer junger Menschen. Auf welchen Tag aber wartet Hendrik Höfgen? Er wartet immer nur auf die neue Rolle. Seine große Rolle in der Saison 1932/33 wird der Mephisto sein: Hendrik spielt ihn in der neuen »Faust«-Inszenierung, die das Staatstheater zu Goethes 100. Todestag herausbringt.

      Mephistopheles, »des Chaos wunderlicher Sohn«, große Rolle des Schauspielers Höfgen – für keine andere hat er jemals so viel Eifer aufgebracht. Der Mephisto soll sein Meisterstück sein. Schon die Maske ist sensationell: Hendrik macht aus dem Höllenfürsten den »Schalk« – eben jenen Schalk, als den der Herr des Himmels in seiner unermeßlichen Güte den Bösen begreift und ab und zu seines Umgangs würdigt, da er ihm am wenigsten zur Last ist von allen Geistern, die verneinen. Er spielt ihn als den tragischen Clown, als den diabolischen Pierrot. Der kahlgeschorene Schädel ist weiß gepudert wie das Gesicht; die Augenbrauen sind grotesk in die Höhe gezogen, der blutrote Mund zu einem starren Lächeln verlängert. Die breite Partie zwischen den Augen und den künstlich erhöhten Brauen schillert in hundert verschiedenen Farben; hier haben Fachleute die Gelegenheit, eine kosmetische Leistung von außergewöhnlichem Rang zu bewundern. Alle Töne des Regenbogens vermischen sich auf den Augenlidern Mephistos und auf den Bögen unter seinen Brauen: das Schwarz spielt ins Rot, das Rot ins Orangefarbene, ins Violette und Blaue; silberne Punkte leuchten dazwischen, ein wenig Gold ist klug und sinnig verteilt. Was für eine bewegte Farbenlandschaft über den verlockenden Edelsteinaugen dieses Satans!

      Mit der Anmut des Tänzers gleitet Hendrik-Mephisto im eng anliegenden Kostüm aus schwarzer Seide über die Szene; mit einer spielerischen Akkuratesse, die verwirrt und verführt, kommen die verfänglichen Weisheiten, die dialektischen Scherze von seinem blutig gefärbten Munde, der immer lächelt. Wer zweifelt daran, daß der schaurig elegante Spaßmacher sich in einen Pudel zu verwandeln vermag, Wein aus dem Holz des Tisches zaubern kann und auf seinem gespreiteten Mantel durch die Lüfte fährt, wenn er irgend Lust dazu spürt? Diesem Mephisto wäre das Äußerste zuzutrauen. Alle im Saale fühlen: Er ist stark – stärker selbst als Gott der Herr, den er von Zeit zu Zeit gerne sieht und mit einer gewissen verächtlichen Courtoisie behandelt. Hat er nicht Grund genug, ein wenig auf Ihn herabzusehen? Er ist viel witziger, viel wissender, jedenfalls ist er sehr viel unglücklicher als jener – und vielleicht ist er stärker eben darum: weil er unglücklicher ist. Der riesenhafte Optimismus des erhabenen Alten, der von den Engeln sich selbst und die Schönheit Seiner Schöpfung im deklamatorischen »Wettgesang« lobpreisen läßt – die euphorische Gutmütigkeit des Allvaters wirkt beinahe naiv und ehrwürdig-senil neben der furchtbaren Melancholie, der eisigen Traurigkeit, in welche der satanisch gewordene Lieblingsengel, der Verfluchte und zum Abgrund Gefahrene zuweilen, zwischen all seinen fragwürdigen Munterkeiten, plötzlich verfällt. Welch ein Schauer geht durch das Auditorium des Berliner Staatstheaters, da Höfgen-Mephistopheles mit seinen grellen Lippen die Worte formt:

      »… denn alles, was entsteht,

      ist wert, daß es zugrunde geht;

      drum besser wär’s, daß nichts entstünde.«

      Nun bewegt er sich nicht mehr, der gar zu gewandte Harlekin. Nun steht er regungslos. Ist er vor Jammer erstarrt? Unter der