Klaus Mann

Klaus Mann - Das literarische Werk


Скачать книгу

des Entsetzens über die deutschen Geschehnisse – die in der Tat immer toller, immer grauenerregender wurden. Gewiß hatten diese Leute schon alle Brücken abgebrochen zu einer Heimat, deren Tyrannen sie so unversöhnlich haßten. Sie waren schon Emigranten. ›Bin auch ich einer?‹ – mußte Hendrik Höfgen sich angstvoll fragen. Aber alles in ihm wehrte sich dagegen, dies zuzugeben.

      Andererseits begann in den vielen einsamen Stunden, die er in seinem Hotelzimmer, auf den Brücken, Straßen, in den Cafés der Stadt Paris verbrachte, ein dunkler Trotz in ihm zu wachsen – ein guter Trotz, das beste Gefühl, das er jemals aufgebracht hatte. ›Habe ich es nötig, das Mordgesindel um Verzeihung anzubetteln?‹ dachte er dann. ›Bin ich denn auf sie angewiesen? Hat mein Name nicht schon internationalen Klang? Ich könnte mich überall durchbringen – es würde wohl nicht ganz leicht sein, aber es müßte gehen. Welche Erleichterung, ja, welche Erlösung würde es bedeuten: stolz und freiwillig sich zurückzuziehen von einem Lande, wo die Luft verpestet ist; mit lauter Stimme die Solidarität zu erklären mit jenen, die kämpfen wollen gegen das blutbefleckte Regime! Wie rein würde ich mich fühlen dürfen, könnte ich mich durchringen zu solchem Entschluß! Was für einen neuen Sinn, welch neue Würde bekäme mein Leben!‹

      Mit diesen Stimmungen, die sehr heftig und auf eine düstere Art genußreich waren, aber nie lange standhielten, stellte sich regelmäßig das Bedürfnis ein, Barbara wiederzusehen und lange mit ihr zu sprechen – Barbara, die er seinen guten Engel genannt hatte: Wie dringend brauchte er sie gerade jetzt! Aber er war seit Monaten ohne Nachricht von ihr, er wußte gar nicht, wo sie sich befand. ›Wahrscheinlich sitzt sie auf dem Gute der Generalin und kümmert sich um nichts!‹ dachte er bitter. ›Ich habe es ihr ja vorausgesagt, sie werde noch dem faschistischen Terror interessante Seiten abgewinnen. So mußte es kommen: Ich bin der Märtyrer, ich irre durch die Straßen dieser fremden Stadt; sie aber plaudert vielleicht gerade mit einem von diesen Mördern und Folterknechten, wie sie mit Hans Miklas zu plaudern pflegte …‹

      Da seine Einsamkeit anfing, ihm unerträglich zu werden, spielte er mit dem Gedanken, Prinzessin Tebab aus Berlin nach Paris kommen zu lassen. Welche Erfrischung und Kräftigung würde es sein, ihr grollendes Lachen wieder zu hören, ihre starke Hand, deren Haut sich rauh anfühlte wie die Rinde eines Baumes, wieder zu berühren! Deutschland den Rücken kehren und ein neues, wildes Leben mit Prinzessin Tebab beginnen: ach, wie schön und richtig wäre dies! Konnte es denn nicht sein? War es nicht im Bereich des Möglichen? Man brauchte nur nach Berlin zu telegraphieren, und am nächsten Tage würde die Schwarze Venus eintreffen, mit ihren grünen Schaftstiefeln und der roten geflochtenen Peitsche im Koffer. Hendrik hatte süße und rebellische Träume, in deren Mittelpunkt Prinzessin Tebab stand. In krassen und erregenden Farben malte er sich das Leben aus, das er gemeinsam mit ihr führen würde. Man könnte damit beginnen, als Tanzpaar in Paris, London oder New York sein Brot zu verdienen: Hendrik und Juliette, die zwei besten Step-Tänzer der Welt. Beim Tanzen jedoch würde es wahrscheinlich nicht bleiben. Hendrik erwog kühnere Möglichkeiten. Aus dem Tanzpaar könnte ein Hochstaplerpaar werden – wie lustig würde es sein, die Rolle des mondänen Kriminellen, die man so oft in Filmen oder Theaterstücken verkörpert hatte, auch einmal in der Wirklichkeit zu spielen, mit allen Gefahren, allen Konsequenzen! Seite an Seite mit dieser herrlichen Wilden, eine verhaßte Gesellschaft, die nun im Faschismus ihr wahres, greuliches Gesicht enthüllte, zu betrügen und zu brüskieren – was für eine bezaubernde Vorstellung! Mehrere Tage lang war Hendrik ganz besessen von ihr. Vielleicht hätte er wirklich den ersten Schritt zu ihrer Realisierung getan und der dunklen Fürstentochter depeschiert – wenn nicht eine Nachricht bei ihm eingetroffen wäre, durch die seine Situation mit einem Schlage verändert wurde.

      Der bedeutungsvolle Brief war von der kleinen Angelika Siebert – wer hätte gedacht, daß gerade sie, die von Hendrik stets grausam-hochmütig übersehen worden war, noch einmal eine so entscheidende Funktion in seinem Leben haben sollte! Wie lange hatte Höfgen nicht an die kleine Siebert gedacht, und da er nun versuchte, sich ihr Antlitz vorzustellen – dieses liebenswürdige und ängstliche Gesichtchen eines dreizehnjährigen Buben, mit den kurzsichtig zusammengekniffenen, hellen Augen – kam ihm vor, als ob es immer tränenüberströmt gewesen wäre. Hatte die kleine Angelika nicht beinah unaufhörlich geweint? Und hatte man ihr nicht recht häufig Anlaß zum Weinen gegeben? Hendrik erinnerte sich sehr wohl, wie gemein er sie meistens behandelt hatte … Ihr eigensinnig-zärtliches Herz aber war ihm, trotz allem, treu geblieben. Darüber war Hendrik verwundert. Aus guten Gründen – indem er nämlich von sich auf die anderen schloß – rechnete er stets mit der selbstsüchtigen Infamie seiner Mitmenschen. Die gute Handlung, die brave und zärtliche Tat machte ihn fassungslos. In seinem öden Hotelzimmer, dessen Wände und Möbel er schon so gut kannte, daß er sie zu hassen und zu fürchten begann, mußte er weinen, als er den Brief Angelikas gelesen hatte. Nicht nur Nervosität und Überreiztheit ließen ihn schluchzen, sondern auch eine echte Rührung machte ihm die Augen naß. Welche Seligkeit, welche Entschädigung für so viel Erlittenes wäre es für die kleine Angelika gewesen, hätte sie sehen dürfen, daß er, um dessentwillen sie unendliche Tränen vergossen hatte, nun seinerseits weinte, und daß es schließlich doch noch ihre Liebe war, die seine kostbaren, gefährlichen und kalten Augen füllte mit den salzigen Tropfen.

      Angelika berichtete in ihrem Brief, daß sie in Berlin sei, ein bißchen filmen dürfe, und daß es ihr leidlich gut gehe. Ein erfolgreicher junger Regisseur habe es sich in den Kopf gesetzt, sie zu heiraten. »Aber natürlich denke ich nicht daran«, schrieb sie, und Hendrik mußte lächeln, als er es las: Ja, so war sie – spröde und ablehnend gegen Werbungen und Angebote, mochten sie noch so verlockend sein; eigensinnig versessen auf das Unerreichbare, und ihr Gefühl immer dorthin verschwendend, wo es übersehen und mißachtet wurde. – Bei den Aufnahmen zu einem großen Biedermeier-Lustspiel hatte sie die Bekanntschaft der Aktrice Lindenthal gemacht – ebenjener Dame, die in Jena erste Sentimentale, gleichzeitig aber die Freundin eines nationalsozialistischen Fliegeroffiziers gewesen war. Hendrik, der die deutschen Ereignisse mit Gier und Haß in den Zeitungen verfolgte, wußte, daß der Fliegeroffizier zu den Mächtigsten des neuen Reiches gehörte. Also war auch Lotte Lindenthal eine einflußreiche Person geworden. Bei ihr hatte sich Angelika Siebert mit Erfolg für Hendrik verwendet.

      In schwärmerischen Tönen schilderte der Brief den überlegenen Charme, die Klugheit, Sanftmut und Würde der Lindenthal. Man durfte – nach Angelikas Meinung – sicher sein, daß diese herzensgute und liebliche Dame ihren mächtigen Freund in jeder Hinsicht auf das günstigste beeinflussen werde. Sie tat es jetzt schon, besonders in allen Dingen, die das Theater betrafen. Der große Mann hatte ein huldvolles Interesse für Schauspiel, Operette und Oper. Seine Geliebten – oder die Damen, denen seine besondere Verehrung galt – waren meist Bühnenkünstlerinnen vom üppigen und sentimentalen Typ. Ihnen tat er gerne jeglichen Gefallen, solange es sich um nichts Ernsthaftes handelte, sondern nur um heitere Nebensächlichkeiten, wie etwa um die Karriere eines Schauspielers. – Lotte Lindenthal war von der kleinen Siebert darauf aufmerksam gemacht worden, daß Hendrik Höfgen in Paris sitze und sich nicht nach Deutschland traue. Hierüber hatte die Favoritin des Gewaltigen gutmütig lachen müssen. Was fürchtete dieser Mensch? – wollte sie wissen und machte naive Augen. Höfgen war doch kein Jude, vielmehr ein blonder Rheinländer, und einer Partei hatte er niemals angehört. Übrigens war er ein bedeutender Künstler – Fräulein Lindenthal hatte ihn als Mephisto gesehen. »Leute wie ihn können wir gar nicht entbehren«, sagte die kostbare Frau, und sie versprach, noch am gleichen Tage mit ihrem mächtigen Freund über den Fall zu reden. »Männe ist doch durch und durch liberal«, versicherte die erste Sentimentale aus Jena, die es wissen mußte – und alle Anwesenden spürten einen ehrfürchtigen Schauer, weil sie sich dazu herbeiließ, von dem gefürchteten Riesen auf so traulich-intime Art zu reden. »Er ist auch gar nicht nachträgerisch. Mag dieser Höfgen sich früher allerlei Extravaganzen und kleine Torheiten geleistet haben – für so was bringt Männe Verständnis auf, wenn es sich um einen Künstler von Qualität handelt. Hauptsache ist schließlich der gute Kern«, sprach Lotte ein wenig sinnlos, aber mit herzhafter Betonung. Und sie tat, wie sie verheißen hatte. Als der Mächtige seine Abendvisite machte, bettelte sie: »Männe, sei lieb!« Sie habe sich’s nun mal in den Kopf gesetzt: in dem Lustspiel, mit dem sie am Berliner Staatstheater debütieren solle, müsse Hendrik Höfgen ihr Partner sein. »Keiner eignet sich so für die Rolle