Ricarda Huch

Ricarda Huch: Deutsche Geschichte – Mittelalter – I. Römisches Reich Deutscher Nation –


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Persönlichkeit muss er doch gewesen sein; weil er seinem blonden Vater glich, bevorzugte ihn die Mutter, überhaupt machte ihn seine Schönheit bei den Frauen beliebt. Nachdem er sich endgültig unterworfen hatte, erhielt er das Herzogtum Bayern und erwies sich seitdem als zuverlässige Stütze des Königs. Durch seine Heirat mit Judith, der Tochter des verstorbenen Herzogs Arnulf, nahm er an dem Ansehen der einheimischen Dynastie teil. Seinen Schwiegersohn Konrad machte Otto zum Herzog von Lothringen, seinen Sohn Ludolf zum Herzog von Schwaben, nachdem er ihn mit der Tochter des letzten Schwabenherzogs Hermann verheiratet hatte; beide fielen von ihm ab. In den Stämmen war ein so starker Widerstand gegen die königliche Oberherrschaft, dass die Stammeshäupter wie durch eine Naturkraft davon ergriffen wurden; die Zeitgenossen wenigstens haben den unglücklichen Ludolf, bevor er Herzog wurde, der Untreue und Widersetzlichkeit nicht fähig gehalten, und Konrad hat durch den Eifer, mit dem er, um sein Vergehen gutzumachen, sich am Kampf gegen die Ungarn beteiligte, bewiesen, dass er nicht unedel dachte.

      Eine ganz andere Grundlage bestimmte die Stellung der Bischöfe. Als Glieder der Kirche vertraten sie von vornherein die Idee der Reichseinheit, die in Rom ihren Mittelpunkt hatte. Sie waren bereit, sich der Hoheit des Königs, nicht aber den Herzögen unterzuordnen. Der Erzbischof von Mainz besonders, dessen Diözese sich durch das ganze Reich erstreckte, fühlte sich dem Reiche verbunden. Alle Erzbischöfe erhielten die Erinnerung an das Karolinger-Reich, wo Papst und Kaiser gemeinsam, Karl der Große fast allein, Kirche und Reich regiert hatten, und Otto pflegte diese Überlieferung. Während Heinrich, sein Vater, die Kaiserkrönung abgelehnt hatte, ließ er sich in Aachen, nachdem er von den Herzogen und Großen in einem mit dem Münster verbundenen Säulengange auf den Thron gehoben worden war, im Inneren der Kirche von den Erzbischöfen von Mainz und Köln nach der alten Ordnung mit dem Schwert umgürten und dem Mantel bekleiden, salben und krönen. Von den Herzogen, die bei der nachher stattfindenden Tafel die herkömmlichen Ämter als Mundschenk, Truchsess, Marschall und Kämmerer ausübten, fielen drei bald nachher von ihm ab. Von den Bischöfen wurde nur einer später sein Gegner, der Erzbischof Friedrich von Mainz, der die von Otto angebahnte Verbindung des geistlichen Amts mit weltlichen Geschäften missbilligte.

       Die Heranziehung der Bischöfe zu den Reichsgeschäften bewirkte Otto dadurch, dass er ihnen Grafschafts-Rechte verlieh und durch Erteilung von Immunitäten Bischöfe und Äbte von den königlichen Gerichten unabhängig machte. Er leitete diese folgenreiche Umwandlung der Verfassung behutsam ein, seine Söhne setzten sie unbedenklicher fort. Bald kamen ganze Grafschaften an die Bischöfe, die dadurch zu weltlichen Fürsten wurden. Der Gewinn für den König war unübersehbar: er konnte nun auf die Anhänglichkeit einer Anzahl großer Herren rechnen, die ihn nicht nur durch ihren Rat und Einfluss, sondern auch durch das Aufgebot ihrer Mannschaft unterstützten. Allerdings wurde die kirchliche Tätigkeit der Bischöfe durch den neuen Aufgabenkreis, der ihnen erwuchs, wesentlich eingeschränkt. Predigt und Armenpflege, ursprünglich eine heilige Pflicht ihres Amtes, mussten den Pfarrern überlassen werden, die Bischöfe, die die Könige auf ihren Reisen und Heerzügen begleiteten, waren nicht selten jahrelang von ihren Diözesen abwesend. Indessen diese dem hohen Adel entstammenden Männer waren mit der Verweltlichung mehr als einverstanden. Nur ausnahmsweise war einer von der Wichtigkeit der geistlichen Seite seines Amtes so durchdrungen, dass er die Verflechtung in weltliche Geschäfte als ungehörig und belästigend empfand.

      Otto I. hatte wie Karl der Große die Gabe nie ermüdender Tätigkeit. Er bedurfte nicht viel Schlafs, und da er im Schlafe sprach, meinte man, dass er selbst schlafend wache. Die Niederwerfung der Aufstände in den Herzogtümern, die Bekämpfung der Slawen und Ungarn nahmen die ersten Jahrzehnte seiner Regierung in Anspruch, dann konnte er endlich den Blick auf Italien richten. Gegen den Papst, der den Karolinger Arnulf krönte, hatte sich der römische Stadtadel erhoben; jetzt traten Umstände ein, die an diejenigen erinnern, welche einst Pipin und Karl mit Rom verknüpften.

       Von zwei Seiten wurde die Gründung eines italienischen Königreiches erstrebt: von den langobardischen Teilfürsten, die sich unter den letzten Karolingern unabhängig gemacht hatten, und von dem römischen Stadtadel, den Orsini, Frangipani, den Crescentiern. Stolz auf ihre Abkunft, stolz auf ihre schicksalsvolle Stadt, erhoben sie den Anspruch auf Herrschaft, und das Mittel, durch das sie ihn zu verwirklichen hofften, war das Papsttum. Da sie es nicht vernichten konnten, dachten sie es zu benützen und setzten Päpste ein, die Werkzeuge ihres Willens waren. Damals war es Oktavian, der noch jugendliche Sohn des berühmten Alberich, der großartige römisch-nationale Pläne kühn vertreten hatte. Für diese Römer war der Papst nicht der Nachfolger und Stellvertreter Christi, sondern der Herr Roms und damit der Herr Italiens. Man möchte sich ausmalen, welche Folgen es gehabt hätte, wenn sie die römische Kirche säkularisiert und von dem weltlich gewordenen Kirchenstaat aus Italien erobert und geeinigt hätten. Allein die Wirklichkeit widersprach diesem Plan durchaus, machte ihn zu einem Abenteuer. Der Papstgedanke als Gedanke des christlichen Weltreiches war viel zu mächtig, als dass irgendein anderer ihn hätte überwinden können, geschweige denn der Gedanke Italiens als eines selbständigen, nationalen Landes. Mehr tatsächliche Macht und Einfluss als die römischen Adelsfamilien hatte König Berengar; um sich gegen ihn halten zu können, musste Johann XII., so nannte sich Oktavian, eine kriegsgewaltige Hilfe suchen und wählte dazu den König des ostfränkischen Reiches. Für Otto war dieser Ruf des Papstes der Wink seines Gottes, der ihm die rechte Stunde anzeigte. Er konnte eingreifen, er konnte, indem er die von Berengar verfolgte Burgunderin Adelheid, die Witwe eines Prätendenten auf die italienische Königskrone, heiratete, seinen Ansprüchen auf Italien einen neuen hinzufügen. Den wesentlichen Anspruch gab ihm, dass er sich als Nachfolger Karls des Großen betrachtete. Weit entfernt, dass die Sachsen ihren ehemaligen Feind und Besieger gehasst hätten, er war ihr Vorbild geworden, der Quell ihrer Macht und ihrer Rechte, und nicht nur den Sachsen, sondern ebenso den Friesen, den Lothringern, den Bayern. Alle wollten von Karl abstammen, ihre Rechte, ihr Dasein von ihm ableiten.

       Im Jahre 962 empfing Otto in Rom die Kaiserkrone. Es ist Überlieferung, dass ein junger Gefolgsmann Ottos, Graf Arnfried von Löwen, während er in St. Peter betete, das Schwert über seinem Haupt gehalten habe, um ihn vor Überfällen zu schützen. So war er von Hass und Feindschaft umgeben. Der römische Papst, der ihn gerufen hatte, bereute es bald, als er begriff, dass der sächsische Beschützer sein Herr werde. Nur mit Gewalt konnte der König seine Anerkennung durchsetzen. Es war nicht so, dass in Italien eine grundsätzliche Abneigung gegen die Deutschen bestanden hätte, denn ein Nationalbewusstsein hatte sich noch nicht bilden können, vielmehr begegneten sie zuweilen freudiger Erwartung, weil immer irgendein Übel gegenwärtig war, das man bei der Veränderung loszuwerden hoffte; aber bei längerer Anwesenheit der überwiegend rohen Krieger, bei der Schwierigkeit, sich zu verständigen, kam es leicht zu Streit und Handgreiflichkeiten und erwachte in den gebildeteren, aber kriegsmäßig schwächeren Italienern ein empfindliches Überlegenheitsgefühl.

      Mit welchen Gefühlen der König in Rom weilte, davon ist uns nichts berichtet. Bewunderte er die reichgeschmückten Basiliken von St. Peter und St. Paul, stand er staunend vor den ungeheuren Ruinen des Altertums, in denen und über die sich die Adelsburgen mit ihren Türmen und Zinnen erhoben? Das Gleichgewicht seiner Seele wurde nicht dadurch erschüttert, er wird gedacht haben, wie später Bischof Thietmar von Merseburg, dass sein Sachsen ein blumenreicher Paradiesgarten und dass der Reichtum an Männern und Waffen mehr wert sei als Roms Marmorbilder, dass er stark und glücklich nur daheim sein könne, wo die Eichen seiner Wälder ihn umrauschten und wo die Gräber seiner hohen Ahnen ihn mit einer gesegneten Vergangenheit verbanden. Obwohl er die gelehrten Männer, denen er in Italien begegnete, zu schätzen wusste und an sich zu fesseln suchte, so flößten ihm doch die allgemeinen Verhältnisse keine Achtung ein: sowohl die Bevölkerung von Rom wie die Langobarden, der Papst, die Sarazenen und Griechen, alle unterwarfen sich ihm, sowie er mit Heeresmacht erschien, um von ihm abzufallen, sowie er den Rücken wandte. Alles erlebte er, was sich Jahrhunderte hindurch wiederholen sollte, jubelnden Empfang, verräterischen Überfall, beleidigenden Hohn, Kampf und Sieg und wieder Abfall, und schließlich die Seuche, die die Zucht im Heer auflöste.

       Die Päpste, die vom römischen Adel abhingen und zum römischen Adel gehörten, waren keine zu fürchtenden Gegner, denn sie entschlugen sich der einzigen Macht, die sie dem König hätte ebenbürtig machen können, der sie hauptsächlich ihre einzigartige Stellung verdankten, nämlich die christlich-sittliche