Günther Dümler

Mords-Brocken


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und sowohl den Erpresser, als auch einen Mörder zur Strecke bringen konnte. Die beschriebenen Verwüstungen bedeuteten für ihn aktuell aber kaum eine Gefahr, denn in diese Gegend kam er so gut wie nie.

      Sie erzählten sich noch die eine oder andere Neuigkeit, von der sie glaubten, dass sie auch für die beiden anderen von Interesse sein könnten. Bald stießen auch die Damen wieder zu ihnen und man zog vom abgeräumten Esstisch um auf die großzügige Couch der Kleinleins. Es wurde wieder einmal einer der beliebten Abende im Kreis der besten Freunde oder der BKS-Familie, wie man mittlerweile sagen musste.

      Die Maria hatte schon seit Langem eines, aber nun hatten sich auch die Gisela und die Marga eines zugelegt. Die Rede ist natürlich von einem nagelneuen Smartphone. Die Maria brauchte alleine fürs Geschäft schon eines, da ihre verwöhnten Kundinnen auch schon mal außerhalb der Öffnungszeiten ihres Schönheitstempels einen Termin vereinbaren wollten. Die Gisela dagegen hatte sich lange gegen diesen neumodischen Kram gewehrt. Letztendlich wurde sie dann aber doch mit diesem neuen Volksleiden infiziert und zwar ausgerechnet in ihrem ureigenen Revier, dem Metzgerladen. Die Rede ist natürlich von der Whatsapp-Seuche, die, im Gegensatz zu Corona, in der Regel die jüngere Bevölkerung zu befallen pflegt, die auch die deutlich schwereren Symptome bis hin zu suchtartiger Abhängigkeit zeigt. Mit zunehmender Häufigkeit gehörten mittlerweile aber auch schon viele Ältere zur Risikogruppe.

      Die ganze Misere begann damit, dass die Metzgersfrau die übliche Frage 'Woss derfs denn heut sei?' mehrfach wiederholen musste. Es dauerte dann, bis die geistig völlig abwesenden Damen sich von den eminent wichtigen Informationen auf ihrem Handy losreißen, sich widerwillig, fast schon patzig ob dieser Störung, zu einer Antwort herbei lassen konnten. Danach mussten sie sich sogleich wieder ihren unverzichtbaren kleinen Wunderkästchen widmen, um hektisch über deren bunte Displays zu wischen.

      Am Anfang hatte sich die Gisela über die unhöfliche Missachtung ihrer Bemühungen natürlich maßlos geärgert, konnte aber mit Rücksicht aufs Geschäft nicht so reagieren, wie sie gern gewollt hätte. Die Kundin war noch immer Königin. Doch sie, die beste Fleischereifachverkäuferin von allen, war schließlich auch nicht gerade ein Niemand und wenn sie zum Beispiel einen wertvollen Einblick in die höheren Sphären der Qualitätsfleisch- und Wurstwaren gab, dann erwartete sie auch, dass man ihren fundierten Ratschlägen die verdiente Beachtung schenkte.

      Mit der Zeit bekam sie jedoch mit, wie praktisch es sein kann, schnell mal zuhause rückfragen zu können, was denn dem werten Herrn Gemahl nun anstelle des ausverkauften Pressacks genehm wäre. Aufgrund dieser Erfahrungen hatte sie von Tag zu Tag mehr angefangen ernsthaft zu überlegen, ob sie sich nicht auch so ein Gerät anschaffen sollte. Aber nicht etwa, weil sie Simon nach seinen Wünschen fragen wollte. Sie hatte andere Pläne.

      Eine Eingewöhnungszeit benötigte sie so gut wie gar nicht. Die Gisela ist ja schließlich nicht auf den Kopf gefallen und kannte sich deshalb im Handumdrehen bereits bestens aus. Bald hatte sie mit ihrer unnachahmlichen Überzeugungskraft, von der so manche Kundin ein Lied singen konnte – 'derfs a bissler mehr sei, gell, ja, dess maani doch aa' - , auch ihre Freundin Marga von den Vorteilen dieser zeitgemäßen Kommunikation überzeugt. Vor allem dieses fabelhafte Whatsapp hatte die Damen bald schon in ihren Bann gezogen. Nun konnten sie sogar Bilder in Windeseile miteinander teilen. Die Gisela brauchte jetzt auch nicht mehr mitten im Verkaufstrubel ans Telefon zu eilen. Die Textnachrichten konnten ja warten, bis sich der Andrang im Laden wieder gelegt hatte. Die Neuerung war wirklich praktisch.

      Eines Tages hatte sie sogar einen weiteren Schritt gewagt, war einseitig vorgeprescht und hatte eine Whatsapp-Gruppe „BKSF“ eingerichtet. Was wie das Firmenkürzel eines großen Konzerns klingt war in Wahrheit eine Kreation aus den Anfangsbuchstaben der Familiennamen Bräunlein, Kleinlein und Schwarm plus ein F für Familie. Somit hatte sie im Nu die Beteiligten Damen zu einer virtuellen Großfamilie verschmolzen. Peter, der schon seit langem ein geeignetes Mobiltelefon besaß, wurde gnädigerweise auch in die Liste aufgenommen. Er hatte es von seiner Marga geschenkt oder um bei der Wahrheit zu bleiben, verordnet bekommen. Sie wollte, dass er wenigstens immer erreichbar wäre, wenn er es denn schon nicht lassen konnte seine Nase in die kriminellen Angelegenheiten anderer Leute zu stecken. Das waren aber auch die einzigen Gründe. Es war keinesfalls so, dass ihm Marga damit seine kriminalistischen Umtriebe ausdrücklich erlaubt hätte, bei Weitem nicht. So weit würde es wohl kaum jemals kommen.

      Wie sie alle schon bald leidvoll erfahren mussten, hat die schöne neue Welt der drahtlosen Kommunikation auch ihre Schattenseiten. Zu Beginn war alles noch prima, die Gisela schickte ständig irgendwelche Kochrezepte, die von der Marga prompt mit ebenso raffinierten Backanweisungen beantwortet wurden. Nur das Rezept für ihre berühmte Donauwelle war nie darunter. Das fiel unter die Rubrik Familiengeheimnisse, wobei in diesem Fall ausschließlich die reale Familie Kleinlein zu verstehen ist. Diesbezüglich gab es keine Kompromisse. Alles hat schließlich seine Grenzen. Sie würde ja auf nicht auf die Idee kommen, Simon nach den geheimen Zutaten für seine preisgekrönten bräunleinschen 1A Bratwürste zu fragen.

      Sehr bald schon begann zum Leidwesen beider Damen eine inflationäre Flut mehr oder weniger origineller Videos und Fotos von überall her einzutrudeln, mit guten Ratschlägen für ein sorgenfreies Leben, mehr oder weniger geistreichen Sprüchen und fernöstlichen Weisheiten. Solange diese nur auf der Rückseite der Abreißblättchen des Apothekenkalenders gestanden hatten, konnte man sie ja noch einfach ignorieren. Nun aber ertönte beinahe pausenlos ein aufdringliches Geräusch, das an das Gezwitscher einer Nebelkrähe im Stimmbruch erinnerte, um das Eintreffen einer weiteren dieser unerwünschten Allerweltsweisheiten anzukündigen. Angeblich konnte man dies in den Einstellungen ändern. Bisher hatten sie das aber noch nicht geschafft und Patrick, den Sohn der Bräunleins zu fragen, kam nicht in Betracht. Der würde sie nur wieder auslachen. Es begann daher mittlerweile gewaltig zu nerven, Tendenz steigend. Das Problem war, dass die beiden Damen allen Bekannten, die meist schon längst über ein Smartphone verfügten, voller Stolz über ihre Neuerwerbung ihre Handynummer mitgeteilt hatten mit eben diesen bekannten Folgen.

      Die Maria, als Betreiberin eines professionellen Kosmetikstudios, hatte für solche Spielchen keine Zeit. Sie nutzte das Handy fast ausschließlich für die notwendige geschäftliche Kommunikation. Die wenigen Kundinnen, denen sie ihre Nummer gegeben hatte, waren zudem während einer der Verschönerungssitzungen dezent aber unmissverständlich darauf hingewiesen worden, dass die wahllose Verbreitung von Kettenbriefen und schlauer Sprüche zur Streichung aus der Kundenliste führen konnte. Und die Damen, die in Zukunft noch Aussichten auf einen der begehrten Termin haben wollten, die hielten sich besser daran.

      Doch jede Medaille hat bekanntlich zwei Seiten. Das Ganze hatte neben der Flut von vielen unerwünschten guten Ratschlägen auch einen unschätzbaren Vorteil für die Kleinleins mit im Gepäck. Ihre Tochter Heidi schickte nun von Zeit zu Zeit kurze Videosequenzen von der kleinen Bianca, was bei der Marga jedes Mal Ausbrüche größten Entzückens auslöste.

      Eben zeigte die Marga eines dieser kleinen Filmchen, was die beiden Freundinnen veranlasste, die Köpfe noch enger zusammen zu stecken. Es gibt wohl kaum ein anderes Thema, das geeignet wäre so viele aah’s und ooh’s, ergänzt von einem gelegentlichen 'ach Godderla, oadli', auf die Lippen der Damen zu zaubern.

      „Wie ald iss etzerdler, eier Glanne?“, fragte die Gisela.

      „Morng werns drei Wochn“, antwortete die Marga sichtlich stolz „und bis etz hommers noch nedd amal besuchn könner, weil doch der Beder die ganze Zeid so an hardnäggichn Husdn ghabd hodd und dou kommer ja nedd in an Haushald mid an glann Bobberler auf Bsuch kommer.“

      Sie sandte erneut einen sehnsuchtsvollen Blick in Richtung des kleinen Bildschirms.

      „Unser glanns Waggerler woll mer doch nedd anschdeggn, auf gar kann Fall. Dess wär uns ja selber nedd Rechd. Abber etz wo der Beder widder vill besser beinander iss und aa nimmer anschdeggnd, dou woll mer nächste Wochn scho amal fahrn.“

      Die Herren hatten ein völlig anderes Gesprächsthema. Bei ihnen drehte sich alles um die große Politik, genauer gesagt um die bevorstehende Wahl zum Gemeinderat und um die des Bürgermeisters. Amtsinhaber Helmut Holzapfel hatte seine erste