Edgar Wallace

Die gelbe Schlange


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hierherkam«, sagte er gutgelaunt.

      Während er dies sagte, öffnete er seine Mappe und zog ein flaches Paket daraus hervor, das mit einem roten Band verschnürt war. Äußerst sorgfältig entfernte er die Schnur, nahm die oberste Lage von steifer Pappe weg und enthüllte vor den Augen Stephen Narths ein dickes Bündel Banknoten. Narth konnte von seinem Sitz aus sehen, daß es Tausendpfundscheine waren.

       »Fünfzig, denke ich, beträgt die Summe, die Sie benötigen«, sagte Mr. St. Clay. Mit der Geschicklichkeit eines Bankkassierers zählte er die erforderliche Zahl ab und legte das kleine Bündel auf die Seite. Behutsam verpackte er den übrigen Stoß Banknoten wieder und legte ihn in die Mappe zurück. »Wir sind doch alle Freunde hier, denke ich.« Mr. St. Clay sah von einem zum andern. »Ich kann doch hier frei sprechen.«

      Narth nickte.

      »Nun wohl.« Er faltete zum Erstaunen Narths die Banknoten zusammen und steckte das Geld in seine Westentasche. »Natürlich ist eine Bedingung an die Verleihung des Geldes geknüpft. Selbst ich, nur ein Chinese ohne banktechnische Ratgeber, kenne mich doch so weit in den Handelsgebräuchen aus, daß ich diese große Summe nicht ohne eine Bedingung ausleihen könnte. Frei heraus gesagt, Mr. Narth, ich verlange von Ihnen, daß Sie einer der Unseren werden.«

      »Einer der Ihrigen?« fragte Narth langsam. »Ich verstehe nicht ganz, was Sie sagen.«

      Spedwell vervollständigte die Information.

      »Mr. St. Clay hat eine große Organisation in diesem Lande geschaffen. Es ist eine Art von –« Er machte eine Verlegenheitspause.

      »Geheimgesellschaft!« vollendete Mr. St. Clay höflich. »Klingt das nicht sehr mysteriös und abschreckend? Aber in Wirklichkeit hat das nichts zu sagen. Ich habe mir ein bestimmtes Lebensziel gesetzt, und dazu brauche ich die Hilfe intelligenter Männer, denen ich vertrauen kann. Wir Chinesen haben mehr oder weniger die Eigenschaft von Kindern. Wir lieben Pomp und Geheimniskrämerei. Wir sind tatsächlich die wirklichen Exoten in der Welk, besonders spielen wir gerne mit den Dingen, und die ›Freudigen Hände‹ sind – frei heraus gesagt – meine Erfindung. Unser Ziel ist es, das chinesische Volk in die Höhe zu bringen und gleichsam Licht in der Finsternis zu verbreiten.« Er machte eine Pause und fügte dann hinzu: »Und außerdem noch allerhand ähnliche Dinge.«

      Stephen Narth lächelte.

      »Das scheint ein sehr lobenswertes Ziel zu sein. Ich werde mich freuen, mich Ihnen anschließen zu können.«

      Die dunklen Augen des Chinesen hatten eine fast hypnotische Gewalt. Sie durchbohrten ihn eine Sekunde lang, so daß er das schreckenerregende Gefühl hatte, daß er augenblicklich seinen Willen einer größeren, aber wohlwollenden Macht unterstellt hatte. Denn das war das Merkwürdige an dem Chinesen, daß er eine Atmosphäre des Wohlwollens um sich verbreitete.

      »Also, es ist gut«, sagte Mr. St. Clay einfach, zog das Paket Banknoten aus seiner Tasche und legte es höflich auf den Tisch. Dabei wehrte er ab. »Nein, nein – ich brauche keine Quittung. Zwischen Gentlemen ist das vollkommen unnötig. Haben Sie etwa einen Grad in Oxford oder Cambridge erreicht? – Ach, das ist schade. Ich ziehe es vor, mit Leuten zu verkehren, die durch dieses Band gewissermaßen mit mir verknüpft sind. Aber es genügt mir, daß Sie ein Gentleman sind.«

      Er stand plötzlich auf.

      »Ich denke, das ist alles. In drei Tagen werden Sie mehr von mir hören, und ich muß Sie bitten, daß Sie sich von irgendwelchen Verabredungen und Geschäften zu irgendeiner Tages- oder Nachtzeit im Laufe der nächsten Woche frei halten. Ich hoffe, diese Bedingung ist nicht zu beschwerlich?«

      Lächelnd stellte er diese Frage.

      »Durchaus nicht«, sagte Stephen Narth und nahm mit zitternden Händen das Geld an sich. Es war ihm unmöglich, den Grund seiner Erregung anzugeben.

       »Mr. St. Clay, ich muß Ihnen meinen tiefgefühlten Dank aussprechen. Sie haben mich aus einer sehr verzweifelten Lage befreit. Wie verzweifelt sie eigentlich war, können Sie gar nicht wissen.«

      »Ich weiß alles«, sagte der Chinese ruhig.

      Plötzlich erinnerte sich Stephen an etwas.

      »Warum nannte er Sie denn ›Gelbe Schlange‹?«

      Der Chinese starrte ihn mit großen Augen an und dachte, daß er nicht recht gehört habe, so daß Stephen seine Frage wiederholen mußte.

      »Mr. Clifford Lynne nannte mich so«, sagte St. Clay langsam.

      Nur einen kurzen Augenblick zeigte das unergründliche Gesicht dieses Mannes, daß der unbewußt gegen ihn gerichtete Pfeil ihn schwer verwundet hatte.

      »Gelbe Schlange ... wie gemein! Wie ähnlich sieht das Clifford Lynne!«

      Sofort nahm er sich wieder zusammen, und mit einem tiefen, wohllautenden Lachen griff er nach seiner Mappe.

      »Sie werden von mir hören –« begann er.

      »Noch einen Augenblick, Mr. St. Clay«, sagte Narth. »Sie sprachen von dem Ziel Ihres Bundes. Was ist denn dieses Ziel eigentlich?«

      Der Chinese sah ihn einen Augenblick gedankenvoll an. »Die Herrschaft der Welt!« sagte er einfach. Mit einem Kopfnicken wandte er sich und ging.

      Auf diese Weise trat Grahame St. Clay, Bachelor of Arts, in das Leben Stephen Narths ein, und von diesem Augenblick an war sein Geschick mit Stahlklammern an den Willen eines Mannes gebunden, der ihn zuerst beherrschte und dann zugrunde richtete.

      8

      Joan Bray war gewöhnt, früh aufzustehen, und bei ihrer Stellung im Narthschen Haushalt war das auch notwendig. Mr. Narth hatte keinen Hausmeister angestellt. Seiner Meinung nach war das eine unnötige Ausgabe, solange Joan die Arbeit versehen konnte. Nach und nach hatte sie alle die Pflichten auf sich genommen, die einem Hausmeister zustanden, ohne auch nur den geringsten Entgelt dafür zu erhalten. Sie vermittelte zwischen der Dienerschaft und der Familie. Sie regelte die großen monatlichen Abrechnungen mit den Kaufleuten und hatte dafür die heftigsten Auseinandersetzungen mit Mr. Narth auszuhalten, der jede Ausgabe für den Haushalt als eine unnötige Geldverschwendung ansah.

      Ihr Tag war ganz mit Tätigkeit ausgefüllt. Sie hatte sich angewöhnt, um sechs Uhr aufzustehen, um morgens eine Stunde in der frischen Luft zuzubringen, bevor die Pflichten des Haushaltes sie ganz in Anspruch nahmen. Der gestrige Regen hatte den Boden aufgeweicht, und die Luft war abgekühlt. Aber es war ein herrlicher Morgen, der zum Spazierengehen einlud. Ein azurblauer Himmel wölbte sich über die Landschaft, er war mit weißen Spitzenwolken behängt.

      Ihr Morgenspaziergang hatte heute ein ganz besonderes Ziel. Das große Ereignis in Slaters Cottage war das Tagesgespräch in Sunningdale. Sie hatte von ihrem Fenster aus gestern abend gesehen, wie beladene Lastwagen heranfuhren und im Gehölz verschwanden. In der Nacht erlebte sie ein seltsames und anregendes Schauspiel. Ihre Wohnung war nahe genug an Slaters Cottage, daß sie den Klang der Hämmer und Spitzhacken hören konnte. Die schwarzen Schatten der Baumgruppen hoben sich phantastisch von dem unheimlich rötlichen Licht der qualmenden Naphthalampen ab.

      Mr. Narth war über diese außerordentliche Geschäftigkeit in seiner nahen Nachbarschaft sehr ungehalten. Gestern abend spät hatte er noch einen Gang nach Slaters Cottage unternommen und einmal nachgesehen, wie weit Clifford Lynne seine Verrücktheit treiben wollte. Bis jetzt wußte Joan nur vom Hörensagen, was in dem Landsitz vorging, und nun hatte sie Gelegenheit, sich persönlich nach dem Stand der Dinge umzusehen. Sie bog von der Landstraße ab und nahm den Weg nach Slaters Cottage. Aber weit kam sie nicht. Eine Gruppe von Männern war damit beschäftigt, den frisch angelegten Weg mit einer Teerlösung zu bestreichen. Drei schwerbeladene Lastwagen sperrten den Zugang zum Wohnhaus, das von Leuten wimmelte und sie an einen aufgestörten Ameisenhausen erinnerte. Der Baumeister des Ortes, den sie persönlich gut kannte, kam lächelnd auf sie zu.

      »Miß Joan, was denken Sie von all diesen Dingen? Es ist doch ein Unsinn, wenn man ein kleines Landhaus, das kaum hundert Pfund wert ist, für tausend Pfund repariert?«