Edgar Wallace

Die gelbe Schlange


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de Auto. Die wachsame Mabel sah vom Rasenplatz aus, daß irgend etwas Außergewöhnliches sich zugetragen haben mußte. Sie lief herbei. Auch Letty trat in demselben Augenblick aus der Haustür. Es waren hübsche Mädchen, nur ein wenig stärker, als er hätte wünschen können. Die ältere neigte dazu, das Leben von der traurigen, bitteren Seite zu nehmen und das führte gelegentlich zu Unannehmlichkeiten.

      »... Hast du von den schrecklichen Chinesen gehört?« Mabel sprang ihm mit dieser Frage entgegen, als er von dein Wagen kam. »Die arme Letty hatte beinahe einen Anfall!«

      Sonst hätte er sie zum Schweigen gebracht, denn er war ein Mann, der sich nicht durch alltägliche Dinge aus der Fassung bringen ließ. Das ungewöhnliche Erscheinen eines oder zwei Gelben auf seinem Grund und Boden interessierte ihn wenig. Aber heute brachte er es sogar fertig, nachsichtig zu lächeln und machte sogar einen Witz über die Alarmnachricht seiner Tochter.

      »Mein Liebling – es ist doch gar nichts dabei, um darüber zu erschrecken. Perkins hak mir alles erzählt. Die beiden armen Kerle waren wahrscheinlich ebenso erschrocken wie Letty selbst! Kommt einmal mit mir ins Wohnzimmer, ich habe etwas sehr Wichtiges mit euch zu besprechen!«

      Er nahm die beiden mit sich in den schöngelegenen Raum, schloß die Tür und berichtete dann seine aufsehenerregenden Neuigkeiten, die aber zu seiner nicht geringen Verwunderung schweigend aufgenommen wurden. Mabel steckte ihre unvermeidliche Zigarette in Brand, klopfte die Asche auf den Teppich und begann, nachdem sie einen Blick mit ihrer Schwester gewechselt hatte:

      »Für dich, Vater, ist das alles ja sehr gut, aber was haben wir denn von der ganzen Geschichte?«

      »Was ihr davon habt?« fragte der Vater erstaunt. »Das ist doch ganz klar, welchen Vorteil ihr davon habt. Dieser Mann bekommt doch den dritten Teil des großen Vermögens –«

      »Aber wieviel von diesem Drittel bekommen denn wir?« fragte Letty, die Jüngere. »Und ganz abgesehen davon – wer ist denn dieser Geschäftsführer? Mit all dem Geld, Vater, können wir eine ganz andere Partie machen, als ausgerechnet den Geschäftsführer einer Mine heiraten.«

      Das tödliche Schweigen wurde von Mabel unterbrochen.

      »Immerhin müssen wir die Sache mit dir auf die eine oder andere Weise beraten und in Ordnung bringen«, sagte sie. »Dieser alte Herr scheint sich einzubilden, daß es für ein Mädchen nur darauf ankommt, daß ihr Mann reich ist. Aber mir genügt das noch lange nicht.«

      Stephen Narth lief es kalt den Rücken herunter. Ihm war es im Traum nicht eingefallen, auf dieser Seite so heftigen Widerstand zu finden.

      »Aber versteht ihr denn nicht, daß wir gar nichts bekommen, wenn keine von euch diesen Mann heiratet? Natürlich würde ich mir an eurer Stelle die Sache auch überlegen, aber ich würde eine so glänzende Partie nicht ausschlagen.«

       »Wieviel hinterläßt er denn eigentlich?« fragte die praktische Mabel. »Das ist doch der Angelpunkt der ganzen Frage. Ich sage ganz offen, ich habe nicht die Absicht, eine Katze im Sack zu kaufen, und dann – was werden wir für eine gesellschaftliche Stellung haben? Wahrscheinlich müßten wir doch nach China gehen und in irgendeiner erbärmlichen Hütte wohnen.«

      Sie saß auf der Ecke des großen Tisches im Wohnzimmer, hatte ein Knie über das andere gelegt und wippte mit den Fußspitzen. Stephen Narth erinnerte sie in dieser Stellung an eine Bardame, die er in seiner frühen Jugend einmal gekannt hatte. Irgend etwas stimmte in Mabels Erscheinung nicht und das wurde auch nicht ausgeglichen durch ihre kurzen Röckchen und ihren wirklich hübschen Bubikopf.

      »Ich habe gerade genug Sparen und Einschränken mitgemacht«, fuhr sie fort. »Ich kann nur sagen, daß bei dieser Heirat mit einem unbekannten Mann ich von vornherein ausscheide.«

      »Und ich auch«, sagte Letty bestimmt. »Es ist ganz richtig, was Mabel sagt. Als Frau dieses Menschen würden wir eine erbärmliche Rolle spielen.«

      »Ich kann nur sagen, daß er euch gut behandeln würde«, sagte Narth schwach. Er wurde ganz von seinen beiden Töchtern beherrscht.

      Plötzlich sprang Mabel vom Tisch auf den Fußboden. Ihre Augen glänzten.

      »Ich weiß einen Ausweg! – Das Aschenbrödel!«

      »Das Aschenbrödel?« fragte er mit gerunzelter Stirn.

      »Natürlich – Joan, du großes Kind, lies doch den Brief genau!«

      Alle drei durchflogen atemlos das Schreiben und als sie es fast zu Ende gelesen hatten, quietschte Letty vor Vergnügen.

       »Natürlich, Joan!« rief sie. »Warum sollte den Ivan nicht heiraten? Das ist doch eine große Sache für sie – ihre Aussichten auf Heirat sind doch gleich Null, und sie würde doch hier überflüssig sein, wenn du sehr reich wärest. Weiß der Himmel, was wir mit ihr anfangen sollten.«

      »Joan!« rief er und dabei streichelte er sein Kinn in Gedanken. An Joan hatte er nicht gedacht. Zum viertenmal las er den Brief Wort für Wort. Die Mädchen hatten recht, Joan erfüllte alle Ansprüche Joe Brays. Sie war doch ein Mitglied der Familie. Ihre Mutter war eine geborene Narth. Bevor er den Brief wieder auf den Tisch legen konnte, hatte Letty schon geklingelt, und der Diener kam herein.

      »Sagen Sie doch Miß Bray, daß sie herkommen möchte, Palmer.«

      Drei Minuten später trat das Mädchen in das Wohnzimmer, das Opfer, mit dem die Familie Narth die Schicksalsgötter besänftigen wollte.

      4

      Joan Bray war einundzwanzig, aber sie sah viel jünger aus. Sie war schlank – Letty sagte von ihr, daß sie schrecklich mager wäre, doch das war übertrieben. Die Narth waren Leute mit vollen Gesichtern, sie hatten alle ein rundes Kinn und schöne Köpfe, waren aber ein wenig phlegmatisch. Dagegen war Joan geschmeidig an Körper und lebhaft an Geist, jede ihrer Bewegungen war bestimmt und bewußt. Wenn sie ruhig dasaß, hatte sie die Haltung einer Aristokratin (sie weiß immer, wo sie ihre Hände hintun soll, gab Letty widerwillig zu). Man merkte ihr an, daß es ihr Freude machte, sich zu bewegen. Zehn Jahre lang war sie vernachlässigt, unterdrückt und beiseitegeschoben worden, wenn man sie nicht zu sehen wünschte und sie hatte dabei weder ihren Lebensmut noch ihr Vertrauen verloren.

       Sie stand nun mit einem schelmischen Lächeln in ihren grauen Augen im Zimmer, sah von einem zum andern und merkte, daß irgend etwas Außergewöhnliches vorgefallen war. Die Zartheit ihres Teints und ihr hübsches Aussehen konnten selbst von der etwas herausfordernden Schönheit ihrer Cousinen weder in den Schatten gestellt noch hervorgehoben werden. Sie glich einem Bilde, dessen wundervolle Feinheiten nicht durch Glanzlichter oder Schlagschatten hätten unterstrichen werden müssen.

      »Guten Abend, Mr. Narth.« Sie redete ihn immer formell an. »Ich habe die Vierteljahresabrechnung fertiggestellt – sie ist einfach schauderhaft!«

      Zu jeder anderen Zeit hätte Stephen diese Nachricht schwer getroffen, aber die Aussicht, ein großes Vermögen zu erben, hatte die Frage, hundert Pfund mehr oder weniger zu besitzen, für ihn vollständig gleichgültig gemacht.

      »Nimm doch Platz, Joan«, sagte er. Verwundert nahm sie einen Stuhl und setzte sich abseits.

      »Willst du bitte diesen Brief lesen?« Er reichte das Schreiben über den Tisch zu Letty, die es ihr gab.

      Schweigend las sie, und als sie fertig war, kam ein Lächeln in ihre Züge.

      »Das ist wirklich eine wundervolle Nachricht. Ich bin sehr froh«, sagte sie und blickte spöttisch von einer Cousine zur andern. »Und wer wird die glückliche Braut sein?«

      Ihre unzerstörbare Heiterkeit war in Mabels Augen eine Beleidigung. Diese Selbstverständlichkeit, mit der Joan annahm, daß die eine oder andere von ihnen sich in eine obskure Chinesenstadt vergraben sollte, ließ sie bis in den Nacken erröten.

      »Sei doch nicht so dumm, Joan«, sagte sie scharf. »Das ist noch eine Frage, die überlegt werden muß –«

      »Meine Liebe« – Stephen sah ein, daß man taktvoll