Alexandra Eck

Between the fronts


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ausgehen. Ich zückte meinen Haustürschlüssel und öffnete die Tür. Mum war immer noch nicht wach. Ich beschloss den Vogel zuerst in mein Zimmer zu bringen und dann ins Bad zu gehen, um mich zu duschen und die Kratzer an meinen Händen zu versorgen. Ich schlich die Treppenstufen hinauf und setzte den Vogel auf meinem Queensize Bett ab. Zu meinem Glück hatte ich ein eigenes Badezimmer genau gegenüber von meinem Zimmer. Es war geräumig. Ich hatte eine Dusche, schwarz -graue Fließen und sogar meine eigene Badewanne mit goldenen Füßen. Außerdem hatte ich eine kleine Palme neben der Wanne. Gerade als ich aus der Dusche stieg, piepte mein Handy. Ich zog den vanillefarbenen Bademantel an und öffnete die Nachricht. Sie war von Matz. Dieser Arsch hatte das Bild von mir und dem Vogel auf Instagram gepostet. Das bedeutete, jeder auf der Schule würde das Bild sehen. Doch bevor ich richtig in Panik verfallen konnte, rief ich mich zur Ordnung. In meinem Zimmer lag ein verletztes Tier. Ich musste ihm helfen, sonst hätte ich ihn ja auch einfach im Wald liegen lassen können. Aus dem Spiegelschrank im Bad holte ich Desinfektionsmittel und Verbände. Ich hatte keine Erfahrung in Sachen erste Hilfe, aber glücklicherweise gab es YouTube. Ich suchte mir ein Video raus, in dem beschrieben wurde, was man bei einem gebrochenen Arm tat. Man sollte zuerst versuchen ihn zurechtzubiegen und ihn schienen. Das Problem war, dass ich dazu eine Schiene brauchte. Woher bekam ich die so schnell? Zu meinem Glück hatte mich mein Vater oft vor den Fernseher gesetzt, weshalb ich aus diversen Filmen wusste, dass man einen Eisstab verwenden konnte. Leise lief ich die Treppen wieder hinunter ins Wohnzimmer und nahm die rechte Tür, die in die Garage führte. Dort stand ein Gefrierschrank. Ich wühlte mich bis zur dritten Schublade durch, erst dann fand ich, was ich gesucht hatte: zwei Packungen Magnum Eis. Ich öffnete eins davon und ließ es in der Mikrowelle auftauen, um an den Stab zu gelangen. Das zweite schob ich mir in den Mund. Schnell rannte ich die zwölf Stufen von der Küche aus in mein Zimmer hoch. Dort lag der Eichelhäher immer noch wie ich ihn zurückgelassen hatte. »Na, Kumpel. Jetzt wird´s ernst«, sagte ich um meine Unsicherheit zu überspielen. Zögerlich griff ich nach dem gebrochenen Flügel. Ich war sehr erstaunt als der Vogel ruhig blieb. Zuerst schaute ich, ob er äußerliche Verletzungen am Flügel aufwies. Obwohl das nicht der Fall war, sprühte ich vorsichtshalber fast die halbe Flasche Desinfektionsmittel drauf. Nur zur Sicherheit, man wusste ja nie. Dann streckte ich seine Schwinge aus, legte auf Ober- und Unterseite ein Eisstäbchen und band diese, wie im Video beschrieben, fest. Ich war stolz auf mich, denn für den ersten Versuch war es mir richtig gut gelungen. Mein Sozialkundelehrer wäre beeindruckt. Schon allein an Schule zu denken beförderte mich zurück in die Realität. Ich hatte nur noch eine halbe Stunde, dann musste ich fahren. Am liebsten wäre ich zu Hause geblieben, aber meine Mutter würde das nie erlauben. Ich schaute den Vogel an, ihm schien es den Umständen entsprechend gut zu gehen. (Wenigstens einen von uns beiden.) Gleich nach der Schule würde ich mit ihm zu einem Tierarzt fahren. Ich öffnete meinen großen hellbraunen Kleiderschrank. Ich suchte mir eine Hotpants und dazu ein lässiges grünes Militär T-Shirt heraus, das perfekt zu meinen brünett -goldenen Haaren passte. Den Bademantel ließ ich von meinen Schultern gleiten und kleidete mich in Unterhose und schwarzen BH ein, dass der Eichelhäher zuschaute, ignorierte ich geflissentlich. Es war ja nur ein Vogel. Ich ging in die Küche, um zu frühstücken. Das Tier ließ ich oben, damit meine Mum ihn nicht entdeckte, auch sie war nicht sehr tierlieb. Wir hatten keine große Küche. In einer der Ecken stand eine cremefarbene Küchenzeile. In der anderen eine vanille-rot gestreifte Eckbank. Alles war farblich aufeinander abgestimmt, sogar die Regale an der Wand. Ich holte mir eine Schüssel Cornflakes und Milch und machte mir ein Müsli. Als meine Mama die Treppen herab stieg und um die Ecke bog, warf sie mir einen tadelnden Blick zu und ging zur Kaffeemaschine: »Jessy Schätzchen, du weißt wie ungesund dieses Zeug ist.« Sie warf der Flakes Verpackung einen missbilligenden Blick zu. (Blicke hatte sie echt drauf.) Sie verabscheute Cornflakes, allerdings konnte ich nicht nachvollziehen, was an Kaffee besser war. Natürlich trank ich ihn ab und zu aber meine Mutter war geradezu abhängig von dem Zeug. »Ja, das weiß ich«, lenkte ich ein, um keine erneute Diskussion über Gesundheit vom Zaun zu brechen. Da ich keine Lust auf eine Unterhaltung mit ihr hatte, schlang ich das Müsli herunter und verschwand mit der Ausrede zur Schule zu müssen. Ich packte meinen Galaxy Rucksack, sowie mein Handy und gab meiner Mum einen Kuss auf die Wange, damit sie nicht meckern konnte ich sei zu beschäftigt für sie.

      Seit mein Vater verstorben war redeten wir zwei nicht mehr so viel miteinander und wenn doch, so lief es meist auf einen Streit hinaus, bei dem sie zu weinen anfing. Ihre Standard-Sprüche waren: »Jess, ich will das doch gar nicht. Bitte streite nicht mit mir. Lass mich nicht allein. Wir müssen doch zusammen halten, jetzt wo Geronimo nicht mehr bei uns ist.« All das sagte sie in weinerlichem Ton. Wie ich diese Sprüche hasste! Aber wer konnte seine weinende Mutter so zurücklassen? So hatte sie mich die ganze Zeit davon abgehalten, auf Partys zu gehen oder etwas mit Freunden zu unternehmen. Freunde, war eh ein schweres Thema für mich. Mein Vater hatte immer versucht, mich zur Außenseiterin zu erziehen, nach dem Motto: »Du brauchst keine Freunde, sie machen dich schwach. Du wirst nicht abhängig von ihnen sein!«

      Das bedeutete ich durfte nie zu Geburtstagen oder ähnlichem. Trotzdem hatte ich eine beste Freundin. Liss. Wir waren unzertrennlich, bis sie letztes Jahr aus Hampton Virginia wegzog und nach New York ging. Wir hatten zwar immer noch Kontakt aber das war nicht dasselbe. Auch in der Schule war ich jetzt auf mich allein gestellt. Dazu kam, dass die meisten mir jetzt auch noch mitleidige Blicke zuwarfen. Sie verstanden es doch sowieso nicht. Sonst interessierten sie sich auch nicht für mich. Außerdem war ich auf gewisse Weise froh, dass er tot war. Ich stieg in meinen roten Honda, den ich letztes Jahr zum Geburtstag bekommen hatte, und fuhr aus der Einfahrt heraus. Ich bog nach links ab, um auf die Hauptstraße zu kommen. Dann schaltete ich das Radio ein. Gerade sagte der Wetterbericht für den Nachmittag 34°C an. Ich fuhr an den typischen kleinen amerikanischen Häusern vorbei. Am Highway angekommen, sah man nur noch Fastfoodshops, wie KFC oder Holly´s.

      Als ich nach meiner Fahrt auf dem Schulparkplatz einfuhr und aus meinem Auto ausstieg, schauten mich alle an. Na Klasse! Ohne auf die Blicke oder Kommentare der Anderen einzugehen, schritt ich durch den großen Bogen, der den Eingang des Pausenhofs markierte. Zuerst kam man durch den Pausenhof und dann zum Hauptgebäude. Dieses bestand eigentlich aus nur einem breiten langen Gang, an den sich blaue Spinde und Türen, die in verschiedene Klassenzimmer führten, entlang reihten. In der ersten Stunde hatten wir Biologie, was bedeutete, dass ich erst noch die Bücher holen musste. Vor meinem Spind stand die Kapitänin unseres Cheerleader-Teams mit ihrer Gefolgschaft. Schon von weitem strahlte sie mich mit ihrem gehässigen Lächeln an. »Schaut mal, wer da kommt. Hast du echt versucht dich an meinen Freund ranzuschmeißen? In dem Aufzug..«, sie hielt mir das Foto vor die Nase. »So verzweifelt kannst ja nicht mal du sein!«, meinte sie gehässig. Mir war klar, was sie vorhatte. Alle hörten jetzt zu und dann wurde die Wahrheit so verdreht, dass ich schlecht dastand. Folglich würde keiner wissen, dass ich nur um einem Vogel zu helfen, im BH war. Die Schüler würden denken, ich hätte das alles nur getan, um Matz zu gefallen. Jetzt glaubten wahrscheinlich alle, ich würde wirklich so verzweifelt sein und mit jedem rummachen. Klasse! Am liebsten hätte ich Vanessa den Hals umgedreht, aber dann würde ich von der Schule verwiesen werden. Also versuchte ich ruhig zu bleiben: »Weißt du was, Loch Ness? Glaub doch was du willst. Aber warum eigentlich dein Freund? Ich habe gehört, er hat letzte Woche bei der Football-Party Regina flachgelegt.« Ich lächelte sie zuckersüß an, schlug die Spindtür zu und ging Richtung B3. Hinter mir hörte ich das aufgebrachte Streiten von Nessi, die sich mit ihrer „Teamkollegin“ stritt. Regina tat mir fast Leid, sie würde schon bald keine Cheerleaderin mehr sein. Außerdem hatte sie jetzt das Lochness Monster zur Feindin.

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      Kapitel 2

      Außer dem Vorfall am Morgen ließen mich die Anderen in Ruhe. Als es zum Ende der letzten Stunde klingelte, packte ich meine sieben Sachen zusammen und fuhr wieder nach Hause. Ich schloss die Tür auf und fand in der Küche einen Zettel von Mum:

      Liebling, ich komme heute etwas später nach Hause.

      Das machte mir gar nichts aus. Ich ging auf mein Zimmer. Es hatte ein großes Fenster, mit einer wundervollen