Züge von Subbotnikern entgegen. Einer von ihnen hatte seine eigene Musikkapelle mit, und bald marschierten wir unter den Klängen der Kapelle, die unser Gesang überbrauste, vorwärts. Die Warschawianka, der Rotgardisten-Marsch. Wunderbare Rhythmen, wie belebtet ihr meine alten Füße!
In den Zwischenpausen gab mir der Genosse Auskunft. Der Subbotnik ist längst keine freiwillige Handlung mehr, sondern ist Pflicht geworden, so für die Kommunisten wie für alle Arbeiter und Angestellten der Sowjet-Behörden, der Regierungsämter, der Betriebsbelegschaften. Es werden Listen geführt, und wessen Name das zweite oder dritte Mal einen Haken angestrichen bekommt, der wird erst gelinde verwarnt, dann ernsthaft zur Rede gestellt und schließlich „ausgekämmt“. Was auch in der Form geschehen kann, dass der Saumselige, Arbeitsunwillige in das Konzentrationslager gesperrt wird, das gefürchtete Lager für Wucherer, Diebe, Gegenrevolutionäre und andere ungetreue Mitglieder der Gesellschaft. Der Subbotnik ist also gewissermaßen ein Prüfstein für die Gesinnung geworden wie etwa der Ruf an die Front.
Auf dem Bahnhof, so hieß es, sollten wir Holz aus Waggons abladen; als wir aber angekommen waren, wies uns der Betriebsleiter des Bahnhofs zu einem Schuppen, wo wir Spaten und Schaufeln aus Eisen und Holz vorfanden; wir hatten für eine geplante Trambahnlinie längs des Eisenbahngleises eine Strecke von 70 Metern Länge und 10 Metern Breite von zähem, seit sechs Jahren angestautem und verhärtetem Schmutz und Schlamm zu säubern. Wir stellten uns nun in eine Reihe auf, entledigten uns unserer Oberkleider und begannen zu schaufeln. Freund Quäker machte rasch ein paar Kodak-Aufnahmen und stand dann in herrlichem grauleinenen Overall, dem amerikanischen Arbeitsgewand, Hose, Weste und Hosenträger aus einem Stück, der Zukunftskleidung der Kommunisten, „Internationalka“ genannt, da; er arbeitete für vier. Ich erkannte viele aus dem Amt, die mich in dieser letzten Woche mürrisch und ohne Freundlichkeit behandelt, die an mir vorübergeblickt und mir unwillig Auskunft gegeben hatten. Jetzt nickten wir einander zu, waren freundlich zueinander, alles Misstrauen schien geschwunden; wir standen ja da und schaufelten gemeinschaftlich knöcheltief in demselben zähen Dreck.
Der Tag war so heiter und glasklar. Hinter uns auf einem Gleise stand ein langer Zug mit heimkehrenden österreichischen, tschechischen und ungarischen Kriegsgefangenen, die uns verwundert anblickten.
Wir arbeiteten, und hier und dort wurde auch gesungen. Wenn auch nicht überall und von allen. Neben mir stand eine junge litauische Arbeiterin, die ihre Spatenhiebe in den Kot mit kleinen Ausrufen begleitete. Einmal sagte sie: wenn nur jeder vor seiner Tür den Mist wegschaufeln wollte, wir brauchten nicht hier zu stehen. Ihre Nachbarin, Sowjet-Bourgeoise, leicht geschminkt und mit Spuren ehemals gewellten Haares seufzte: man lebt zum Glück nur einmal. Der kleine junge Staatssekretär, dünn und zart wie ein Knabe, mühte sich mit einem im Schlamm festgebackenen Wurzelstamm ab. Unsere Arbeit war ziemlich schwer, sie war auf 4 Stunden berechnet, aber in 2½ Stunden hatten wir sie getan. 70 Meter weit war der zähe Schlamm von Jahren weggeräumt, die Trambahnlinie konnte morgen gebaut werden.
Ein Signal: wir marschierten zur Station zurück, stellten uns in Reih und Glied auf und bekamen, jeder und jede, den Schwerarbeiterpajok, d. h. die Lebensmittelzulage eingehändigt: ein halbes Pfund Brot und eine Tüte mit Körnerzucker.
Im rotdunklen Nebel des Abends zogen wir an den phantastischen Türmen Moskaus vorbei durch die Stadt zurück.
Aus anderen Straßen strömten uns Züge entgegen, die Arbeiter und Angestellten der Bekleidungszentralstelle, eine Abteilung roter Soldaten, die Genossen aus dem Kommissariat für Volkswohlfahrt. Hier und da schlüpfte ein Pärchen von kleinen Sowjet-Bourgeoisen, leicht geschminkt und kokett bebändert, aus unserem militärisch stramm über das holprige Pflaster dahin stapfenden Zug auf das glattere Trottoir hinüber. Mit hurtigem Griff hatte ein hinzuspringender Genosse die Ausreißer beim Wickel und zog sie in unsere geordnete Kolonne zurück.
Die Warschawianka, das Lied von der Roten Fahne, die Internationale – wir sangen sie alle in den braunen Abendnebel, an den Türmen Moskaus vorbei. Der alte Faun mit der Pansflöte hatte sich jetzt vor dem Denkmal Feodorows, des ersten Buchdruckers, am Fuße der Chinesischen Mauer der geschlossenen Inneren Stadt, Kitai Gorod, aufgepflanzt. Lockend und leidenschaftlich klangen die hellen trockenen Töne des Rohrs durch den Abend. Wir stapften vorbei. Vor dem Auswärtigen Amt schüttelten wir uns die Hände, und jeder trottete nach Haus. Beine und Arme taten mir weh, mein Herz aber war froh. Ich wünschte ... ich wünschte, ein Zwang käme irgendwoher, und jeder von uns alten und jungen geistigen Arbeitern in Deutschland, Amerika, der ganzen Welt müsste einmal in der Woche mit Kameraden nützliche und harte körperliche Arbeit leisten. Um der Arbeit willen, der einen unteilbaren Arbeit der Hand und des Kopfes willen, der guten, lächelnden, helläugigen Kameradschaft willen, für die Idee der Gemeinschaft und der Zukunft verhärteten Schlamm aus dem Wege räumen mit harten Spatenhieben.
Aber wenn es nach mir ginge, es dürfte kein Unlustiger, kein Widerstrebender dazu gezwungen werden, nicht mit Namenlisten, nicht mit Verwarnung, nicht mit Konzentrationslagern. Um der Arbeit willen und die heilige Gemeinschaft.
Todmüde trottete ich durch die hereinbrechende Nacht in mein entferntes Quartier heim. Plötzlich bemerkte ich, dass ich meinen „Pajok“ noch in der Hand hielt. Ein Arbeiter kam mir entgegen, mit ihm ein Roter, Soldat. Dem Arbeiter gab ich das Brot, dem Soldaten den Zucker.
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Die dritte Phase des Subbotnik heißt Woskressennik, das ist die Sonntagsarbeit. Bei Winteranbruch, wenn die Tage kurz werden, verlegt man den Subbotnik auf den Sonntagmorgen. Aus der freien samstägigen Überstundenarbeit der Kasaner ist eine allrussische allsonntägliche sechsstündige Zwangsarbeit geworden. Uns Ausländern folgte der Woskressennik in unser Haus nach. Am ersten Wintersonntag waren die Bewohner unseres Hauses verpflichtet, von zehn Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags im Hofe unseres Hauses Holz zu sägen, zu spalten und in die Kellerräume zum Zentralofen zu befördern. Diese Arbeit hatte einen leicht humoristischen Beigeschmack der Parodie an sich. Die im Hause ansässigen Arbeiter nämlich leisteten in zehn Minuten dieselbe Arbeit, die wir anderen Dilettanten in zwei Stunden zusammenstümperten, mit verrenkten Schulterblättern, blutig geschlagenen Daumennägeln und angesägten Hosenschäften. Immerhin hatten wir Holzhacken gelernt, auch war das Holz in den Kellerraum befördert, und es begab sich jeder in sein Zimmer, um nach dem Mittagessen: Krautsuppe, Grütze und Tee, seine gute Müdigkeit auszuschlafen.
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Der Zweck des Subbotnik-Woskressennik ist erhöhte Arbeitsleistung. Wie eingangs erwähnt wurde, fördert das psychische Moment der freiwilligen, aber auch der notgedrungenen Arbeit in einer guten, freudigen Gemeinschaft die Leistung in beträchtlichem Maße. Immerhin darf man Bedenken gegen diese Umwandlung und Vergewaltigung eines ursprünglich wahrhaft religiösen Triebes in Zwang äußern. Die Heiligkeit der Arbeit – alle äußere Not ist nicht fähig, kann nicht geltend gemacht werden zur Rechtfertigung der Entheiligung der Arbeit. Die neue Justiz Russlands hat die Geldstrafe aufgehoben – oder doch in fast allen Fällen aufgehoben – und Freiheitsstrafen verwandeln sich immer mehr unter dem Druck der Notwendigkeit einer mit allen Mitteln forcierten Produktion in Zwangsarbeit. Die Arbeit für die Gemeinschaft, Wesenskern und Sinn des Kommunismus, verliert mehr und mehr die ihr innewohnende ethische Bedeutung.
Es muss noch gesagt werden, dass der Subbotnik im Kreml genauso eingehalten wird wie in der Stadt, wie im ganzen Lande. Lenin, Trotzki schleppen und sägen Holz und schaufeln Dreck, wenn es sein muss, und vermutlich mit größerer Lust, als die Mehrzahl von uns Narkominodel-Leuten es getan hat. Denn unter uns waren nicht wenige, die mit widerstrebendem Gefühl und unüberzeugt von der Einheit der Arbeit im Schlamm an den Eisenbahngleisen standen. Der Kommunist aber arbeitet mit Hand und Gehirn, freiwillig und opfermutig und weiß es nicht, wann und wo die Überstunden in seinem Tagewerk beginnen.
Radek erzählte mir von seinem Woskressennik. Er hatte mit anderen Volkskommissaren Holz durch das Borowitzkajator in den Kreml hinaufgeschleppt, und seine alte Köchin, eine simple bäurische Analphabetin, hatte ihn bei dieser Verrichtung gesehen. Die Alte war entgeistert: sie