Theo Gitzen

DAS BÖSE BRINGT DEN TOD


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er schon als kleiner Junge für den Schneider Sachen ausgetragen hatte oder seiner Mutter half, Nähgarn auf die Spulen zu wickeln.

      Jeder in der Straße kannte den kleinen Halim. Sah er nicht nur mit seinen schwarzen Löckchen und seinen großen Kulleraugen süß aus, er hatte auch die Gabe jeden mit seinem Lächeln, schnell auf seine Seite zu ziehen. Halim streunte jeden Tag, wenn er nicht für Mutter oder den Schneider arbeitete, durch die Geschäfte, setzte sich zu den Erwachsenen und beobachtete alles ganz genau. So lernte er, auch ohne Schule, worauf es im Leben ankommt, um was er einen Bogen zu machen hatte und was ihn weiterbringen würde.

      Die Freundschaft

      Es war an einem diesigen Tag im September 1939

      Halim hatte mal wieder für den Schneider Sachen ausgetragen und anschließend in Alis Kaffeestube seinen Tee getrunken, den ihm Ali jedes Mal gab, weil er zwischendurch die Treppe, die immer voller Sand war, fegte, als plötzlich diese fremde, anders aussehende Frau mit dem kleinen blonden Jungen an der Hand, die Kaffeestube betrat. Halim sah, wie sich alle Männer zu der Frau umdrehten. In einem harschen Ton fragte Ali die Frau

      „Was willst du hier“ und noch barscher fügte er hinzu

      „hier haben Frauen nichts verloren. Mach schnell das du raus- kommst!“.

      „Komm“ sagte die Frau zu ihrem Jungen. Und Ohne ein Wort zu verlieren verließen sie die Kaffeestube.

      Halim, der das alles beobachtet hatte, stand auf und lief den beiden hinterher. Zu sehr faszinierte in die Frau mit dem kleinen Jungen, als das er hätte sitzen bleiben können.

      „Wo wollt ihr hin?“ - fragte er die Frau als er sie erreicht hatte.

      Der kleine, blonde Junge schaute Halim mit seinen klaren, blauen Augen an.

      Lächelte er - fragte sich Halim, als plötzlich die Frau ihm in gebrochenem arabisch antwortete.

      „Wir sind auf der Flucht vor den Nazis aus Deutschland, das ist weit weg“.

      „Fadi“ – sie blickte auf den kleinen blonden Jungen mit den hellblauen Augen an ihrer Hand – „und ich - wollen weiter nach Palästina. Jetzt brauchen wir aber erst einmal eine Bleibe.

      Verstehst du?“

      Halim verstand – Plötzlich nahm er die Hand der Frau

      „Komm mit“ – sagte er.

      Verstohlen schaute er immer wieder auf die Hand und in die weißen Gesichter der beiden. Helle Haare und blasse Gesichter hatte er noch nie gesehen. Auch ihre Hand fühlte sich so zart und weich an und die blauen, strahlenden Augen des Jungen faszinierten ihn, hatten doch hier alle nur dunkle Augen. Wortlos gingen sie die Straße hinunter, bis zu der kleinen Schneiderei in der seine Mutter arbeitete. Halim legte seinen Zeigefinger quer über seine Lippen und gab den beiden zu verstehen, dass sie hier auf ihn warten sollen. Dann verschwand er in der Schneiderei. Als seine Mutter ihn bemerkte, deutete er auch ihr an, dass sie leise sein solle. Sie schaute ihn mit großen Augen an. Flüsternd fragte sie Halim- „was ist los mein Sohn?“

      „Ist der Meister da?“ Sie schüttelte den Kopf.

      Sichtlich erleichtert blickte Halim seine Mutter an.

      „Da draußen steht eine Frau mit einem Jungen und braucht ein Bett.“

      Kadisha schaute ihren Sohn mit gerunzelter Stirn an.

      „Was?“- fragte sie, hatte sie doch keinen blassen Schimmer was Halim mal wieder ausgeheckt hatte. Als dieser sie daraufhin an die Hand nahm und nach Draußen zog. Da standen sie. Eine blonde Frau, mit ihrem blonden kleinen Jungen. Sie schienen zu frösteln und sahen auch ein wenig ängstlich aus. Kadisha wusste nicht so recht wie sie sich verhalten sollte, als die blonde Frau plötzlich die Hand ausstreckte und mit einem Lächeln sagte:

      „Ich bin Maria und das ist mein Sohn Fadi. Wir beide kommen aus Deutschland und sind auf der Flucht vor den Nazis. Meinen Mann haben sie noch in Berlin verhaftet und weggeschleppt. Wir konnten gerade noch so mit einem Geschäftsmann, der uns als Frau und Sohn ausgab, aus Berlin fliehen. Joshua, mein Mann“- ergänzte sie - „ist Jude, hat aber mit den Libanesen für eine palästinensische Firma Geschäfte gemacht. Deshalb sprechen wir auch ein wenig Arabisch. Jetzt sind wir auf dem Weg nach Palästina, weil dort sein Onkel wohnt und wir dort in Sicherheit sind“.

      Ohne sich umzuschauen, nahm Kadisha Marias Koffer.

      „Kommt“ - sagte sie „Ihr könnt erst einmal bei uns wohnen.“ Und an Halim gewandt. „Du wartest hier, bis der Meister wieder da ist, dann sagst du ihm mir wäre nicht gut und ich wäre nach Hause gegangen. Sobald es mir wieder besser gehen würde, käme ich wieder“.

      „Hab verstanden- Mama“ - antwortete Halim.

      Auf einem Umweg und durch die Fluchtgasse - so nannten sie die kleine Gasse hinter ihrem Haus, betraten sie ohne gesehen zu werden das Haus durch den Hintereingang.

      „Entschuldigt“ sagte Kadisha zu Maria, „ich habe noch nicht aufgeräumt und kalt ist es auch noch“.

      „Das macht doch nichts“ - antwortete Maria. „Bei mir sieht es normalerweise auch nicht anders aus“.

      Beide Frauen lächelten sich an und in ihren Augen war eine wohltuende Sympathie zu sehen. Während Kadisha das Feuer im Ofen anzündete und einen Tee kochte, erzählte ihr Maria ihre Geschichte.

      „Erst haben sie Joshuas Eltern, dann seinen Freund und zuletzt auch noch ihn abgeholt und verschleppt. Wir, damit meine ich Fadi und mich, sind dann Hals über Kopf geflohen. Wie es jetzt weiter gehen soll weiß ich auch nicht“.

      „Mach dir keine Sorgen“ - sagte Kadisha und goss den Tee in die kleinen Gläser. „Ihr könnt – wenn ihr wollt, erst einmal ein paar Tage hier bei uns bleiben. Schließlich haben wir Platz genug“.

      Aus den paar Tagen wurden Jahre. Halim und Fadi freundeten sich schnell an. Und Halim führte Fadi bei seinen Freunden und wichtigen „Geschäftspartnern“- so nannte er die Inhaber der Geschäfte, wo er ab und zu half und wo er sich einiges abgucken konnte, ein. Nur um Alis Kaffeestube machte Halim ab jetzt immer einen weiten Bogen, wollte er doch Machmud und seinen lästigen Fragen auf keinen Fall begegnen. Schnell waren Halim und Fadi in der ganzen Gegend als „shukulata-aljuza“ - die Schokoladen-Zwillinge bekannt. Um sie aber noch genauer zu unterscheiden - als hätte man es nicht sehen können, bekamen beide noch einen Zusatznahmen. Halim nannten sie „Alju-mus“ für der „schwarze Zwilling“, und Fadi „Alju-muz“ für der „weiße Zwilling“. Anfangs nervte es sie sehr, doch von Tag zu Tag wuchs ihr Stolz, waren sie doch mittlerweile unzertrennlich und ergänzten sich in allem was sie taten. Sie entwickelten sich nach und nach zu einem perfekten Team. Und was sie nicht mit ihrer Cleverness erreichten, dass erreichten sie mit ihren großen, Kulleraugen.

      Die erste große Liebe

      Maria und Fadi wohnten nun schon etwas über 10 Jahre bei Kadisha und Halim im Haus. Maria hatte genauso wie auch die beiden Jungen, Arbeit in der nahegelegenen Markthalle gefunden. Es gab zwar nicht viel zu verdienen, aber es war eine schöne Ergänzung zu Marias Gespartem, was sie noch aus Deutschland hatte retten können. Kadisha arbeitete nach wie vor in der kleinen Schneiderei.

      Eigentlich war alles in Ordnung. Komischerweise hatte sie auch Machmud in Ruhe gelassen. Bis zu dem Tag, als Halims Hormone begannen verrückt zu spielten.

      Sie waren nun beide siebzehn und Halim war ebenso wie auch Fadi mitten in der Pubertät. Hatten sie bis dato nur Jungs interessiert, so schauten sie jetzt doch öfter den Mädels hinterher, die für ihre Familien bzw. ihre Herrschaften einkauften. So auch an einem Tag im Juli, als Halim glaubte im Boden versinken zu müssen. Er war gerade damit beschäftigt, aus einem großen Sack, Kichererbsen in kleinere Säcke umzufüllen, als er diese durchdringend süße Stimme vernahm, die ihn von hinten mit den Worten- „Ich hätte auch gerne eine Tüte voll Erbsen – „Alju-Mus“, direkt ansprach. Erschrocken drehte