Hermann Brünjes

der Schatz im Acker


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      »Und Sie sind ...?«

      »Oh, sorry. Ich bin der Sohn vom alten Heimfeld. Sie wissen vielleicht, der Hof im Nachbardorf, der mit den Eichen und der Feldsteinmauer.«

      »Darf ich vorstellen«, lallt Gerald mit übertrieben charmanter Handbewegung, »Fabian von Heimfeld.«

      Die Einheimischen kennen sich natürlich.

      Fabian nickt. »Ich würde Sie gerne unter vier Augen sprechen.« Ich spüre ihm ab, dass ihn diese Bitte viel Mut kostet. Vielleicht hat er den ganzen Abend gebraucht, sich diesen Mut anzutrinken.

      »Warum wollen Sie mich sprechen?«

      »Weil, weil mir etwas geschehen ist, was Sie vielleicht auch gerne wissen wollen.« Er stottert etwas.

      Maren und die anderen beiden sind bereits einige Schritte weitergegangen. Ich spüre, dass ich diesen jungen Mann jetzt nicht einfach abwimmeln sollte – selbst wenn es später Ärger gibt. In betrunkenem Zustand mit ihm reden will ich allerdings auch nicht. Doch er hat mich neugierig gemacht.

      »Also haben Sie etwas für die Zeitung?«

      »Vielleicht. Vor allem brauche ich Ihre Hilfe. Sie sind doch der Journalist, der damals Oliver Bender geholfen hat, und dieser jungen jüdischen Mutter und Kerstin und Jonas?«

      Der Mann hat ganz offensichtlich intensiv verfolgt, was ich in den letzten Jahren so getrieben habe. Trotzdem sind weder er noch ich heute Nacht in der Lage, sein Anliegen zu klären.

      »Sie haben sich über mich informiert?«

      »Die Geschichten kennt hier jeder. Da muss man sich nicht informieren. Aber meine Geschichte kennt noch niemand, jedenfalls niemand, der mir glaubt.«

      Ich werde immer neugieriger.

      »Worum geht es denn?«

      Er will noch nicht heraus mit der Sprache.

      »Nur wenn Sie sich Zeit nehmen, kann ich alles erzählen.«

      Ich entscheide mich. Vernunft gegen Neugier.

      »Okay. Ich besuche Sie morgen Vormittag gegen zehn Uhr. Dann reden wir über alles, versprochen! Ich komme – aber Sie sagen mir schon jetzt, worum es geht.«

      Er überlegt einen Moment.

      »Gut. Ich vertraue Ihnen. Um es kurz zu machen: Ich habe einen Schatz gefunden, zwei Säcke mit Gold.«

      Mir verschlägt es die Sprache. Der Mann hat zu viel getrunken. Oder ich.

      »Sie haben einen Goldschatz gefunden? Ein Scherz, oder?«

      »Leider nicht. Der Schatz ist wieder weg. Ich bin einfach nur ein Idiot!«

      Nun kommt mir dieser Fabian doch ein wenig betrunken vor. Schatz hin und Gold her – wir reden morgen darüber.

      Montag, 4. Oktober

      Noch vor sieben Uhr wache ich auf. Maren liegt leise schniefend neben mir und schläft. Ich schleiche mich aus Bett und Zimmer. Mein Kopf brummt zwar etwas, aber nach einem Kaffee aus der Maschine wird es schnell besser.

      Ich will Maren nicht wecken und setze mich in mein Kellerbüro an den Computer. Das Arbeitszimmer habe ich von Oliver, Marens verstorbenem Ehemann, übernommen. Es ist groß, ruhig und mit Schreibtisch, Bücherregalen und Sitzecke samt Fernseher ausgestattet. So habe ich einen prima Arbeitsplatz, aber auch einen hervorragenden Rückzugsort gefunden.

      Dieser Fabian von Heimfeld spukt durch meinen Kopf, genauer der Schatz, von dem er sprach. Gefunden und wieder weg. Er meint, er sei ein Idiot. Das klingt entweder nach riesigem Blödsinn oder nach einer sauguten Geschichte.

      Ich google den Namen. Es gibt ein paar Bilder vom alten Gutshof und Trecker bei der Feldarbeit. Auf einem Foto steht Fabian neben einem älteren Herrn, vermutlich seinem Vater. Ansonsten finde ich nur die üblichen Adressendaten.

      Definitiv spannender wird es, als ich »Schatzfunde« eingebe. Ich finde eine lange Liste wertvoller Funde. Der Wert bezieht sich meistens auf die archäologische Bedeutung. Die Funde geben den Experten Aufschluss über Leben und Situation vergangener Zeiten. Ob es um die berühmte Himmelsscheibe geht, 1999 bei Nebra gefunden, oder um den Goldschatz »Hort von Gessel«, der fast zwei Kilogramm Goldschmuck enthielt – immer übersteigt der archäologische Erkenntniswert den des reinen Material- oder Verkaufswertes.

      Manchmal bekam man durch Untersuchung des Materials Hinweise zu Handelswegen, Lebensgewohnheiten, Wissenschaften und politischen Verhältnissen. Bis in die Bronzezeit hinein reichen die Funde.

      Bizarre Geschichten sind oft damit verbunden.

      Die Himmelsscheibe etwa wurde von Sondengängern gefunden. Die haben sie verkauft und das bronzene Zeugnis mittelalterlicher Astrologie wurde mehrfach von Hehlern zu Geld gemacht, bevor es endlich konfisziert werden konnte. »Raubgrabung« nennt man so etwas, wann immer eine Schatzsuche ohne behördliche Genehmigung und Meldung geschieht. Oft sind es Sondengänger, die mit ihren Metalldetektoren durch Feld und Wald streifen und nach wertvollem Metall suchen. Ich bin gespannt, ob Florian auch dazugehört.

      Auch in unserer Region wurden bereits diverse Schätze gefunden. Fast jedes Jahr berichten wir in unserer Zeitung darüber. Meist waren es einzelne Fundstücke, darunter Münzen und Schmuck aus Bronze, Silber oder selten auch Gold.

      Besonders herausragend war ein Goldfund in Oedeme, einem Ortsteil von Lüneburg. Man hat dort einen urzeitlichen Grabhügel vermutet und den Sondengänger Florian Bautsch beauftragt, das Areal vor der Ausgrabung zu prüfen. In einer sonderbaren Bodenmulde fand er im Herbst 2014 einzelne Goldmünzen. Die Archäologen machten sich an die Arbeit. Am Ende wurden insgesamt 217 Goldmünzen sichergestellt. Der Materialwert des Goldes betrug zwar »nur« 45.000 Euro, der Erkenntniswert allerdings war unbezahlbar. Der Schatz war eine Hinterlassenschaft der Nazis. Vermutlich auf der Flucht vor dem siegreichen Feind wurde das Gold bei Kriegsende versteckt, von wem ist nicht bekannt. Die Herkunft der Münzen bewies die Vernetzungen der Deutschen Reichsbank in ganz Europa und darüber hinaus.

      Im Nebenraum rumort es. Maren steckt Wäsche in den Trockner. Es ist Zeit, meine Recherche abzubrechen.

      Eine halbe Stunde später sitzen wir gemeinsam am Frühstückstisch. Maren trägt noch ihr baumwollenes Nachthemd, die kastanienbraunen Haare offen und eine Mütze Müdigkeit im Gesicht. In diesem Zustand macht es keinen Sinn, ihr von Fabian von Heimfelds Schatzfund zu erzählen oder gar ein Gespräch über Schätze in der Heide zu beginnen. Ich bin gerade am Morgen fit und gesprächig.

      Maren braucht außer einer Tasse Kaffee vor allem Ruhe, um Kraft für den Tag zu tanken. Sie »Morgenmuffel« zu nennen, ginge allerdings zu weit, manchmal singt sie morgens sogar.

      Ich frage sie also nur kurz nach Fabian von Heimfeld.

      »Du meinst den jungen Mann von gestern Abend?«

      »Ja, der mich zum Schluss noch aufgehalten hat.«

      »Gut, dass du trotzdem mitgekommen bist! Ich hatte schon Angst, du bleibst am Ende wieder an der Theke hängen.«

      Ich schmolle. »Ich doch nicht!«

      »Nee, du natürlich nie!« Sie schmunzelt. »Das also war von Heimfeld Junior. Ich kenne seine Mutter. Sie ist Mitglied im Singkreis. Sehr nette Frau! Was wollte er denn?«

      Nun siegt ihre Neugier über die Morgenschläfrigkeit. Trotzdem werde ich ihr lange Diskussionen über Schätze ersparen, zumal ich dazu im Moment selbst keine Lust habe.

      »Das hat er mir nicht genau gesagt. Wir haben uns für heute Vormittag verabredet.«

      »Na, da bin ich aber gespannt. Wenn du rechtzeitig zurückkommst, kannst du es mir ja noch erzählen.«

      Maren hat diese Woche Spätschicht, ist also von zwei bis zehn Uhr im Krankenhaus.

      »Gerne, mein Schatz! Nur so viel hat dieser Fabian verraten: Es geht um