Hermann Brünjes

der Schatz im Acker


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      Ich aber glaube ihm. Ich gehe davon aus, dass es diesen Schatz wirklich gibt. Und ich werde ihn finden! Hoffe ich jedenfalls.

      Fabian ruft im Gemeindebüro an. Wie ich erwartet habe, ist Tobias Bahn nicht zum Dienst erschienen. Der private Anschluss des »Freundes« führt auch nicht weiter. Es klingelt, niemand nimmt ab. Vermutlich hat Tobias sich abgesetzt. Die Frage ist, wo er dann den Schatz gelassen hat. Mit dem Zoll am Flughafen hätte er sicher Probleme bekommen. Also muss er ihn irgendwo in seinem Umfeld versteckt haben, vielleicht ja in seiner Wohnung.

      *

      Ich bitte Fabian, mir zu zeigen, wo genau er die Säcke gefunden hat. Ohne Rebecca noch einmal zu treffen, fahren wir in meinem Golf Richtung Ortsrand. Der Landwirt will das kleine Stück später zu Fuß zurückgehen.

      Rechts stehen vereinzelt Häuser, darunter ein etwas verwahrloster Bauernhof, der offenbar auch noch Milchvieh hält. Links wächst besagter Buchen- und Eichenwald. Wir halten am Ende des Waldes und umgehen zu Fuß ein Anwesen, das hinter einer dichten Buchenhecke liegt. Fabian erklärt mir, dass in diesem Haus die Familie eines ehemaligen Pastors lebt.

      Besagte alte Buche stand direkt hinter dem Grundstück am Waldrand. Wir stapfen durch prächtigen Laubwald über altes Laub, Moos und Gras und kommen zum Feldrand. Auf dem abgeernteten Acker liegen die Reste der Buche. Die Äste wurden meterweise am Waldrand aufgestapelt, der Stamm liegt in Blöcke geschnitten auf der dunkelbraunen Erde.

      Die noch belaubten dünneren Äste hat Fabian zum Verrotten ins Gebüsch gezogen. Der Wurzelballen der Buche liegt in drei oder vier Teile zerrissen und zersägt dort, wo Fabian ihn herausgezogen hat. Er zeigt mir die Stelle, an der er die Pakete gefunden hat. Jemand muss sie direkt zwischen den Wurzeln verbuddelt haben. Wenn der Schatz hier schon Jahrzehnte lag und die Buche damals noch jung war, kann ich mir das gut vorstellen. Bei einem alten Baum käme man beim Graben vermutlich nicht zwischen die Wurzeln.

      Ich schieße ein paar Fotos.

      »Und was soll ich jetzt machen?«

      Diese Frage habe ich erwartet. Als wir wieder beim Auto sind und uns verabschieden wollen, stellt Fabian sie. Meine Antwort mag ihm gefallen oder nicht.

      »Nichts. Lassen Sie hier alles so liegen, damit Archäologen den Fundort des Schatzes später untersuchen können. Gehen Sie nach Hause, unterstützen Sie Ihre Frau und leiten Sie Ihren Betrieb. Wenn ich noch Fragen habe, melde ich mich.«

      *

      Es fällt mir schwer, mich auf den Artikel vom Tag der Deutschen Einheit am Erntedankfest zu konzentrieren. Für eine goldene »Ernte« danken zu können, wäre Fabian von Heimfeld natürlich am liebsten gewesen. Wäre er mit einem Finderlohn zufrieden gewesen und hätte er es nicht so dumm angestellt, wäre dies ja auch gelungen. So ist das mit den Möglichkeiten – manchmal versaut man sie sich selbst.

      Dienstag, 5. Oktober

      Schade, dass ich der Schatz-Geschichte gestern nicht weiter nachgehen konnte. Wegen eines Corona-Ausfalls fehlte »Feldpersonal«, wie unser Chef uns Journalisten nennt. Ich war deshalb noch bei der Vorstandswahl eines Schützenvereins, der Einweihung eines Kindergartens und am Abend in einem Konzert mit Orgel und Violine. Als ich meine Artikel endlich fertig und abgeschickt hatte, war Maren längst von der Schicht zurück und bereits zu Bett gegangen.

      Jetzt bin ich umso gespannter, was die Recherche in Sachen »Schatz im Acker« bringen wird. Auf die Bezeichnung komme ich, weil Maren mir beim Frühstück das von Jesus erzählte Gleichnis aus dem Evangelium nach Matthäus vorgelesen hat:

       »Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn, grub ihn aber wieder ein. Und in seiner Freude verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte den Acker.«

      Maren hatte gemeint, diesen Schatz hebt man nur, wenn man ihn entdeckt, sich riesig darüber freut und dann wie selbstverständlich alles dafür einsetzt. Der Finder im Gleichnis war vermutlich ein Tagelöhner. Um damals rechtssicher an den Schatz zu kommen, musste er den Acker kaufen, auf dem sich dieser befand. Dafür seinen gesamten Besitz einzusetzen, wäre natürlich Blödsinn und viel zu riskant ­– es sei denn, er hat den Schatz mit eigenen Augen gesehen und er weiß, dass er viel, viel mehr kriegt, als er einsetzt.

      »So ist das auch mit dem Himmel und mit Jesus Christus«, hatte Maren behauptet. »Etwas Besseres, als daran zu glauben und damit verbunden zu sein, gibt es nicht!«

      Noch vor Jahren hätte sich das in meinen Ohren wie frommes Geschwafel angehört, inzwischen weiß ich, dass es stimmt. Wer entdeckt, worum es im christlichen Glauben wirklich geht und diesen »Schatz« findet, der oder die ist bereit, dafür alles einzusetzen. Okay, nun aber geht es hier nicht um Jesus und den Himmel, sondern um ganz und gar »irdisch Gut«, um zwei Säcke oder Pakete mit Gold.

      Es ist zehn Uhr. Ich steige den »Affenfelsen« hinauf. So nennen Einheimische die Betontreppe am Rathaus der Samtgemeinde. Vor vielen Jahren gab es im Keller des schmucklosen, aber zweckmäßigen Betonkomplexes eine Eisdiele.

      »Aldo« war damals ein Zauberwort für Jugendliche, Familien, Biker, Radwanderer und alle Freunde italienischer Eissorten. Auf der breiten Treppe hinunter in den Sitzbereich zur Eisdiele traf man und klönte, küsste sich, diskutierte und schleckte vor allem sein Eis. Wenn es voll war, saßen die jungen Leute auch auf der Treppe zum ersten Stockwerk. Wie auf einem »Affenfelsen« eben ...

      Die Tür zum Bürotrakt öffnet sich automatisch. Alles ist sauber, der Teppich frisch gesaugt. Hinter einer Glastür sitzen zwei Frauen und ein Mann in einem großen Büro an ihren Schreibtischen. Ich klopfe. Eine junge Frau kommt an die Tür, bittet mich herein und fragt nach meinem Anliegen. Freundlich sind sie jedenfalls in diesem »Bürgerbüro«.

      »Ich suche einen Ihrer Mitarbeiter«, sage ich und beobachte, so gut es geht, die Minen der drei. »Tobias Bahn.«

      Ich habe die Aufmerksamkeit aller drei. Die ältere Frau erhebt sich und kommt auf mich zu. Ich schätze sie auf knapp sechzig. Sie trägt ein knielanges dunkelblaues Kostüm und ihre grauen Haare kurz.

      »Darf ich fragen, wer Sie sind?«

      Ich zücke meinen Presseausweis.

      »Ich komme vom Kreisblatt. Ein Landwirt aus der Region hat angeblich einen besonderen Fund gemacht. Ihr Kollege Tobias Bahn müsste mehr darüber wissen.«

      Die Minen aller drei Kollegen verfinstern sich. Die Frau vor mir schaut mich an als wolle ich ihr etwas antun und sie müsse ihren Panzer anlegen.

      »Der ist nicht da. Hat Ihnen dieser von Irgendwas also auch den Floh vom Schatz ins Ohr gesetzt?«

      »Fabian von Heimfeld heißt der Mann. Und er ist Mitglied Ihrer Samtgemeinde und Steuerzahler.«

      »Aber er ist auch unverschämt und hat unserem Kollegen Bahn extrem gemeine Unterstellungen angehängt.« Der Mann mischt sich ein. Er ist etwa dreißig, hat sich die dunklen, sorgfältig frisierten Haare nach hinten gekämmt und trägt Jeans, Hemd und Strickjacke.

      »Ich war nicht da, als dieser von Heimfeld hier war. Aber meine Kolleginnen haben berichtet, was der Mann behauptet hat. Ich sage Ihnen, dass Tobias sich diesen ominösen Schatz einfach unter den Nagel gerissen hat, ist absolut nicht möglich. Er war schon Verwaltungs-Lehrling hier. Wir kennen und schätzen ihn.«

      »Aber jetzt ist er nicht da.«

      Die Frau nickt. »Das stimmt. Wir machen uns ein bisschen Sorgen. Er hatte bis Sonntag Urlaub und war mit seinem Freund auf Mallorca. So jedenfalls hat er es in einer Mail geschrieben. Vielleicht ist der Flieger ausgefallen oder sie mussten wegen einer Corona-Infektion in Quarantäne. Das kommt ja vor. Mallorca war Hochrisikogebiet.«

      »Ja, das kommt vor. Haben Sie denn Kontakt mit seinem Freund aufgenommen? Wissen Sie überhaupt, wer er ist?«

      »Beides nein. Wir wissen nur, was er in der Mail geschrieben hat.«

      »Darf