Robert Mirco Tollkien

Papierrolle und Gedankenskateboard


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da wo wir als Kinder immer geruht haben, wenn wir den Steinbruch hochgeklettert sind?“

      „Na, klar! Da bin ich letztens noch vorbeispaziert.“

      Ich nahm einen großen Schluck Bier und verspürte das Verlangen nach einer selbstgedrehten Zigarette, welches immer ab dem dritten großen Pils auftrat. Unglücklicherweise war gar nicht geplant gewesen, mehr als einen Humpen zu nehmen, so dass ich mit diesem Drang nun leben musste, da der Tabak daheim lag.

      „Hinter der Bank im Wald sollen drei Steine, große Steine, liegen. Da laufen angeblich unter der Erde irgendwelche Feldströmungen zusammen. Und unter diesen Steinen ist das Monster von eben diesen Feldlinien gefangen. Man kann die Steine aber aus dem Weg räumen lassen und die Feldlinien wegmachen. Dann kommt das Monster wohl heraus. In einem von den Steinen befindet sich wohl eine Art Symbol. Wenn man die Formen davon achtmal mit dem Zeigefinger der rechten Hand gegen den Uhrzeigersinn nachzieht, verschwinden die Steine für den Moment, die Feldlinien lösen sich kurz auf und die Kreatur kommt frei. Wie das technisch ablaufen soll, wusste Sven dann aber auch nicht. Ach ja! Er hat auch gesagt, dass dieses Monster im Wald Spuren hinterlassen kann. Dort, wo unterirdische Gewässer und Quellen sich befinden, hinterlässt das Wesen auf weichen Böden dreieckige Fußabdrücke, die dort auf ewig bleiben. Wie bei den Astronauten auf dem Mond. Sven tat mir am Ende echt leid, Mann!“

      Nachdem Martin diese Worte gesprochen hatte, sah er tatsächlich mitgenommen und innerlich bewegt aus, so dass ich beschloss, dass Thema in eine andere Richtung zu lenken. Außerdem langte es mir für heute mit Einblicken in die seelischen Abgründe eines verlorenen Menschen.

      Noch etwa eine halbe Stunde redeten wir über die Kommerzialisierung des Fußballs und der Welt im Ganzen, bevor ein Jeder seines Weges ging.

      Kapitel 3

      Zwei Wochen später war Martin Zimmer tot. Eine Gruppe spielender Kinder fand ihn im Wald unweit jener Bank, über welche er mir im Außenbereich der Kneipe erzählt hatte.

      Seine Leiche, so berichtete unser Lokalradio auf seiner Homepage, habe mitten auf einem Wanderpfad gelegen. Später schrieben die Mitarbeiter der Online-Redaktion, dass Martin beim Spazierengehen einen Herzanfall erlitten habe.

      Schnell machten in der Kleinstadt Gerüchte die Runde, Martin Zimmer habe an einer versteckten Herzkrankheit gelitten. Er sei gar süchtig nach Medikamenten gewesen oder Opfer eines Schlaganfalls geworden.

      Von diesen Ammenmärchen glaubte ich kein Wort. Für mich war Martin ein Breitensportler in Topform, der auch mit über vierzig auf dem Fußballplatz zehn Jahre jüngeren Herren einen Knoten in die Beine hatte spielen können.

      Kapitel 4

      Stets fand am zweiten Wochenende im August unser gemütliches Kleinstadtfest statt. In jenen drei Tagen wimmelte die Hauptstraße vor Fahrgeschäften, Imbisswagen, Bierbuden und Menschen, welche man irgendwie kannte und irgendwie einmal im Jahr auf dieser Kirmes traf; ich traf an einer Bierbude Thorsten Richter.

      Richter hatte auf dem humanistischen Gymnasium am Rande der beschaulichen Innenstadt seine Reifeprüfung abgelegt, bevor auch ich dort zwei Jahre später erfolgreich gewesen war. Heute arbeitete Richter bei der hiesigen Kriminalpolizei. Bereits leicht angetrunken kam Thorsten an diesem Samstagabend mit mir ins Gespräch, welches sich bald um Martin drehte.

      „Ich war natürlich am Ort des Todes gewesen. Der arme Kerl lag mit dem Rücken quer über dem Waldweg. Sein Gesicht sah ganz schlimm aus. Nicht, dass es entstellt war oder so, aber trotzdem war es schrecklich. Es sah aus, als ob der Kerl vor irgendetwas solchen Schiss gehabt hätte, dass ihm davon die Pumpe rausgeflogen wäre. Das Gesicht war sozusagen in Todesangst erstarrt. Es hat ausgesehen wie eine Maske aus einem Horrorfilm, Mann! Da gab es kaum noch was Menschliches dran; eine Maske der Furcht, ohne Gesichtszüge, ein Abdruck der puren Angst. Sowas habe ich in all meinen Jahren bei der Polizei nicht gesehen!“

      In den späten Stunden dieses Tages saß ich auf meinem Sofa und fand einfach keine Ruhe. Im Fernsehen lief eine Dokumentation über die Weiten des Weltalls. Was mir eigentlich ein Hochgenuss war, vermochte in jenen Stunden meinen Geist und somit die Konzentration nicht zu fesseln. Der plötzliche Tod des alten Jugendfreundes hatte sich ohnehin schwer auf meine Seele gelegt und nun sah ich das von Thorsten erwähnte Gesicht ständig an meinem inneren Auge vorbeiziehen. Schwer fand ich in den nächsten Nächten Schlaf.

      Die lokalen Medien berichteten zeitnah über zwei weitere Todesfälle in der Region, die denen Martins glichen. Eine Frau und ein Mann seien auf ähnliche Art und Weise beim Spazierengehen verstorben, ohne dass es Anzeichen auf eine Herzkreislauferkrankung gebe. Schon machte das Gerücht von einem seltsamen Virus die Runde.

      Zudem war ein wegen Bankraubes und Drogendelikten inhaftierter Freigänger durchgedreht und hatte am Wochenende Mutter und Vater ermordet.

      Es waren dies Schlagzeilen, die die friedliche Region niemals zuvor geschrieben hatte.

      Kapitel 5

      Es waren die ersten zehn Tage des Septembers, als es mich wieder einmal in den Wald hinauszog. Thorsten hatte an der Bierbude genau beschreiben, wo die Leichen gelegen hatte. Aus unerfindlichen Gründen ging ich dorthin.

      Am Fundort fiel die Spätsommersonne durch die Baumkronen und sorgte für ein golden-schwarzes Spiel von Licht und Schatten auf dem Waldboden, während die Vögel dieses Lebensraumes hoch oben ein lebhaftes Lied sangen. Hier, in dieser Idylle, schien es unmöglich, dass Dinge wie ein plötzlicher Herztod und erstarrte Grimassen am Ende eines Lebens überhaupt existierten.

      Ich machte meinen Weg hinauf zur besagten Bank. Sie stand oberhalb der Steinbruchkante hinter einem verrostenden Zaun und vor den Tiefen des Waldes. Hier war ich nicht nur mit Martin als Kind spielen gewesen, sondern hatte auch schöne Momente mit meiner ersten festen Freundin erlebt. Noch immer standen unsere Initialen in einem Herzen eingeschnitzt auf der Rückseite der Lehne, allerdings nagte der Zahn der Verwitterung nach all den Jahren gehörig an diesem Symbol immerwährender Liebe, die doch nur ein paar Monate gedauert hatte.

      Nachdem ich eine Weile abwechselnd auf das Herz und in die Ferne geschaut hatte, führten mich meine Schritte in den wilden Wald hinein. Der Boden bestand aus dem Laub vieler Zeiten, morschen Ästen, grünen Pflanzen und kaum hörte man meine Schritte, die der Gesang der Vögel mühelos übertönte.

      Als ich für eine Weile hin und her, kreuz und quer durch das Unterholz gewatet war, erreichte ich drei größere, graue Steine, die auf einer Art Miniaturlichtung lagen. Ihre eiförmige Gestalt wurde teilweise von Moos bedeckt und in mir reifte die These, dass sie bereits seit der letzten Eiszeit hier lagen. Dennoch, was man an den Schleifspuren auf dem Boden ausmachen konnte, waren sie in letzter Zeit verrückt, bewegt worden.

      Ein beklemmendes Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit, während ich um die Findlinge herumschlich. Dann tauchte das Symbol auf; Vertiefungen im Gestein, aber viel zu perfekt, um Gletscherspuren zu sein. Es zeigte einen Kreis, darin in Achteck, welches wiederum einen Punkt enthielt und dass seine Konturen und Strukturen frei von Moos und Dreck waren, zeigte nur zu deutlich, dass sie in letzter Zeit häufiger Berührungen durch Menschenhand ausgesetzt worden waren. Mein Herz begann laut zu schlagen. Dennoch verweilte mein Blick beinahe hypnotisch auf diesem Symbol, bevor er eher zufällig eine Absonderlichkeit des Waldbodens streifte. Nun gefror mir das Blut in den Adern. Es war dies der etwa dreißig Zentimeter Abdruck eines Geschöpfes, welches dreieckige Füße besitzen musste. Dass er besonders tief im Grund sich befand, ließ auf die enorme Größe und Schwere des Verursachers schließen. Vor dem spitzen Ende gab es fünf kleinere Löcher im Boden, die sicherlich von gebogenen Krallen herrührten und inmitten des Abdrucks lag ein kleines Knäuel, welches verworrenem Draht mit Fischschuppen darin glich.

      Einige Meter von hier entfernt bergab entsprang der Blaubach, so dass es durchaus im Bereich des Möglichen lag, dass sich hier eine unterirdische Wasserader befand. Der Abdruck zeigte mit der Spitze in Richtung Waldweg und Bank.

      Auf