Robert Mirco Tollkien

Papierrolle und Gedankenskateboard


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      So eilte ich davon und kam endlich wieder an der Bank an, wo ich für eine Weile rastete, um meine aufgekratzten Gedanken zu ordnen.

       Kann es sein! Kann es sein! Kann es sein! Martin ist hierhergekommen, um sich nach Svens Tod selbst ein Bild zu machen. Er findet die Steine, befingert die Symbole im Gestein und dann passiert tatsächlich etwas. Die Steine bewegen sich wie von Geisterhand zur Seite und die Kreatur, wie auch immer sie ausgesehen haben mag, steigt empor. Martin läuft davon. Aber die Kreatur verfolgt ihn, was man an dem Fußabdruck erkennen kann, der in Richtung Bank zeigt. Das Wesen macht ihm solche Angst dabei, dass er ein paar hundert Meter weiter zusammenbricht, weil ihn diese Angst schlicht und einfach umgebracht hat. Denn von dem bisschen Laufen kriegt ein trainierter Mann wie Martin keinen Herzanfall! Nie im Leben! Doch wenn das Geschöpf befreit wurde durch Martin, wo ist es jetzt? Keine Frage! Es ist nun frei und die zwei seltsamen Todesfälle in der Gegend gehen ebenfalls auf das Konto dieser Kreatur! Es ist kein Virus! Es ist diese Kreatur! Sie irrt durch die Region und erschreckt in den Wäldern Spaziergänger zu Tode! Und der Kerl, der seinen Vater und seine Mutter umgebracht hat, ist dem Geschöpf begegnet, und er hat überlebt, weil er von Natur aus böse ist. Der Anblick der Kreatur hat seine Bösartigkeit wohl noch gesteigert. Er ist deswegen vom Dealer und Bankräuber zum Mörder geworden und hat seine Eltern mit dem Hammer erschlagen! Kann es sein! Kann es sein! Kann es sein! Und was ist mir der Anzeige, dem Artikel im Google Feed, die ich vorhin überflogen habe! Jetzt wird mir einiges klar!

      Ich griff zu meinem Smartphone, ließ die Finger ein paar Mal über das Display fliegen und las.

       Verwirrter Mann in Weißhorst aufgegriffen

       In Weißhorst fiel Passanten ein Mann auf, der orientierungslos und wirres Zeug rufend im Bereich des Busbahnhofes umherirrte.

       Hilfsbereite Mitmenschen sprachen die betreffende Person an, doch diese schien kaum aufnahmefähig, so dass eine Frau endlich die Polizei rief. Diese ging sehr behutsam nach dem Eintreffen vor und es gelang den Beamten endlich, ein leichtes Gespräch herzustellen und die Daten des Hilflosen aufzunehmen. Es handelte sich um den 47jährigen Walter P. aus dem dreißig Kilometer entfernten Biberbach. Auf die Frage, wie er nach Weißhorst gekommen sei, antwortete P. voller Überzeugung, dass er auf der Flucht vor einem Monster sich befände. Dieses Monster habe den Kopf einer Gottesanbeterin, den Körper einer Portugiesischen Galeere und insektenartige Beine voller Fischschuppen gehabt. Die Füße allerdings seien dreieckig gewesen und hätten aus Metall bestanden.

       Weil der Mann aus Biberbach offensichtlich von seinen Worten überzeugt war, veranlassten die Polizisten die Einweisung in eine psychiatrische Klinik.

      Die Zauberflöte

      Unter dem Berge mit all seinen prächtigen Laub- und Nadelbäumen gebe es ein Tor zu den Sternen, pflegte der komische, alte Kauz aus dem Haus am anderen Ende der Straße stets zu sagen. Alle anderen in der Gegend behaupteten, er sei ein wenig verrückt, aber ich fand das eigentlich nicht. Ich mochte Onkel Carl, wie ihn unser Dorf nannte, wahrlich gerne und verbrachte viel Zeit bei ihm. Meine Eltern hatten nichts gegen diese Beziehung einzuwenden und pflegten darüber zu sagen, dass Onkel Carl ein einsamer Mann sei, der kaum einen Menschen in seinem näheren Umfeld habe. Mit meinen Besuchen und durch mein offenes Ohr täte ich also jede Menge Gutes, was mir der Liebe Gott sicherlich eines fernen Tages anrechne.

      Lange, lange lag das jetzt zurück.

      Vor zwei Jahren war Onkel Carl im hohen Alter von einundneunzig Jahren gestorben, was meine Mutter mir per Telefon erzählt hatte, weil sie immer noch in jenem Dorfe in den waldigen Bergen des Mittelgebirges lebte.

      Mit einem Anruf begann auch jene gar unglaubliche Geschichte, die ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, hier erzähle.

      „Mein lieber Junge!“, begann sie das Gespräch. „Heute hat ein Herr Justus Förster bei mir an der Tür geläutet. Er ist der einzig lebende Verwandte von Onkel Carl, ein Neffe, und hat sich um den Nachlass gekümmert. Ich frage mich dabei, warum der Kerl über ein Jahr gebraucht hat, um die paar Sachen von Onkel Carl zu sichten, aber egal. Jedenfalls hat er dir was hinterlassen. Justus Förster ist beim Sichten der Gegenstände auf ein Paket gestoßen, worauf ein Zettel geklebt war, auf dem stand, dass du diese Kiste erhalten sollst. Herr Förster sagte mir, er habe sie nicht aufgemacht und wisse nicht, was sie enthielte. Tja, wer es glaubt. Der Kerl ist irgendwie künstlich und aufgesetzt. Er hat bestimmt geschaut und sich dann gesagt, dass er den Inhalt nicht zu Geld machen könne. Wie dem auch sei. Ich habe jedenfalls nicht reingeschaut. Soll ich das jetzt tun, bevor ich dir das Paket zusende?“

      Nachdem sie meine Freigabe erhalten hatte, hörte ich eine Klinge über Paketklebeband ratschen und im Anschluss das Rascheln von Papier.

      „Herrje!“, rief meine Mutter schließlich aus. „Da liegt eine Querflöte drinnen. Onkel Carl dachte wohl, dass du Ian Anderson von Jethro Tull bist, dabei ist mein Sohn eines der unmusikalischsten Geschöpfe unter der Sonne. Aber schick sieht sie immerhin aus. Die kannst du sicherlich gut in deine Vitrine in der Diele packen. Eine schöne Erinnerung an Onkel Carl ist sie dennoch. Dann liegt noch ein Brief bei. Den mache ich jetzt aber nicht auf.“

      Die Sache mit dem Unmusikalischen meinte sie nicht böse, denn es war endlich ein Faktum. Wir vereinbarten, weil unsere Wohnorte gute zweihundertfünfzig Kilometer auseinanderlagen, dass Mutti bei ihrem nächsten Spaziergang in den Ort das Paket auf der nahen Post aufgebe.

      Da sie diesen Weg nicht zu sofort machte, dauerte es eine Woche, bis die Sendung von einem grimmigen DHL-Muffel bei mir vor der Tür abgestellt wurde.

      Im Wohnzimmer öffnete ich das Paket und zwischen zahlreichen Zeitungartikeln aus den 1980er-Jahren, die zerknüllt als eine Art Polster dienten, lag tatsächlich eine silbern blitzende Querflöte.

      Einen Moment fragte ich mich, warum Onkel Carl mir das hübsche Instrument vermacht habe und ob er mir dieses bereits in den 80er-Jahren beiseite gepackt hatte, als mir der Brief einfiel, der von meiner Mutter in dem Telefonat erwähnt worden war. Ich fand ihn unter all dem Papier und erkannte nach dem Öffnen sofort die messerscharfe Handschrift des alten Freundes.

       Mein Bester!

       Du hast nie an meinen Worten gezweifelt, mich nie als einen alten Spinner abgetan, wie es die anderen stets getan haben. Daher sollst du meinen wertvollsten Besitz nach meinem Ableben erhalten.

       Es würde zu weit führen, hier den endgültigen Zweck dieses zauberhaften Instrumentes zu erörtern. Außerdem kennst du ja meine ausschweifende Art in vielerlei Dingen.

       Mit wertvollstem Besitz meine ich hier nicht das verwendete Material oder die Kunst der Fertigung bei diesem Instrument. Der wahre Wert, der wahre Zweck findet sich erst, wenn man eine bestimmte Melodie auf genau dieser Flöte spielt. Die Noten zu dieser Melodie findest du auf der Rückseite dieses Schreibens.

       Ich hoffe, dass Dich meine Zeilen bei bester Gesundheit erreichen und dass es Dir, was immer aus Dir geworden sein mag, gutgeht.

       Liebe Grüße

       Dein Onkel Carl

      Ich nahm das Musikinstrument in die Hände, fühlte dessen beeindruckende Schwere, betrachtete es eine Weile im Sonnenlicht, welches durch die Fenster fiel und mein Erbe silbern funkeln ließ.

      Natürlich erwartete ich nicht, dass beim Spielen etwas Weltbewegendes passierte, aber mir erschien es angebracht, die paar Noten auf der Rückseite hörbare Musik werden zu lassen, weil dieses auf eine bestimmte Art und Weise wohl Onkel Carls letzter Wille zu sein schein.

      Eine gute Freundin von mir hatte an der weltberühmten Musikhochschule zu Detmold studiert und war nun Mitglied des Symphonieorchesters der Großstadt, in welcher wir lebten. Dort spielte sie Violine, aber meines Wissens nach beherrschte Katharina mindestens zwölf weitere Instrumente.

      Ja, bestätigte die strohblonde Geigerin mir auf Nachfrage per WhatsApp, Querflöte