Irene Dorfner

Der perfekte Sündenbock


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Sie ihn rein, wir wollen ihn nicht länger quälen.“

      Maria Rettermaier stand auf und öffnete die Tür zum Büro des Chefs.

      „Bitte sehr, Herr Krohmer lässt bitten.“

      Eberwein war bemüht, so viel Abstand wie möglich zwischen ihm und der üppigen Blondine zu lassen.

      „Ihre neue Sekretärin hat mein Verhalten völlig missverstanden, das müssen Sie mir glauben. Ich würde doch niemals eine Frau unsittlich anfassen, beleidigen oder gar verletzen. Das war eine Verkettung unglücklicher Umstände. Sie kennen mich, Herr Krohmer, das ist nicht meine Art.“

      „Zunächst einmal: Guten Morgen, setzen Sie sich. Wie ich Frau Rettermaier verstanden habe, wird der Vorfall zwischen ihr und Ihnen geklärt. Was nicht heißt, dass mir die Geschichte nicht im Gedächtnis bleibt.“

      „Ja, das ist mir bewusst.“ Eberwein kannte den Mühldorfer Polizeichef sehr gut. Der hatte nicht nur ein sehr gutes Gedächtnis, sondern brachte unschöne Vorkommnisse oder Gefallen immer auf den Tisch, wenn es gerade passte. Dass er sich sein Auftreten noch mehrfach anhören und vorhalten lassen musste, war ihm klar.

      „Lassen Sie sich etwas einfallen, womit sie sich gebührend bei meiner Sekretärin entschuldigen. Frau Rettermaier ist neu hier und macht sich ganz gut. Ich möchte nicht riskieren, dass es ihr nicht gefällt und sie sich nicht wohlfühlt. Schaffen Sie das aus der Welt. Ich habe sehr viel Arbeit, Herr Eberwein. Kommen wir gleich zur Sache: Was führt Sie zu mir?“

      Der Staatsanwalt, dem vorhin nichts wichtiger war, als Krohmer mit seiner Beschwerde zu konfrontieren und ihm Vorwürfe zu machen, war jetzt sehr kleinlaut. Jede Wut war verraucht.

      „Mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihre Leute trotz Ihrer Ansage im Fall Fuchs ermitteln. Das geht nicht.“

      „Was sagen Sie da? Das kann nicht sein, da müssen Sie sich irren. Ich habe nichts dergleichen gehört. Von wem haben Sie die Information?“

      „Die stammt offensichtlich von einem Nachbarn des Kollegen Fuchs, ich erfuhr davon durch Dritte. Anscheinend haben Ihre Leute die Nachbarn befragt, ohne dass sie dazu befugt waren.“

      „Meine Leute? Das waren sicher die Kollegen aus Landshut. Hat Ihr Informant Namen genannt?“

      Eberwein war immer noch völlig durcheinander. Sind Namen gefallen?

      „Herr Eberwein? Hören Sie mir zu?“

      „Bitte entschuldigen Sie. Namen der Polizisten sind keine gefallen. Es wurde mir nur zugetragen, dass es Beamte der Mühldorfer Polizei waren. Den Beschreibungen zufolge müssten es Hiebler und Schwartz gewesen sein.“

      „Wie kommen Sie darauf?“

      „Beide um die fünfzig und recht groß. Einer sah adrett aus, einer trug Cowboystiefel, Lederjacke und ein buntes T-Shirt. Die Beschreibung passt genau auf Hiebler und Schwartz.“

      „Für mich passen die auf viele Personen“, log Krohmer, der sich innerlich sehr darüber aufregte, dass seine Leute wohl jetzt schon aufgeflogen sind. Sobald Hiebler und Schwartz zurück waren, mussten sie gemeinsam besprechen, wie es weitergehen sollte.

      Krohmer nahm einen Stift und einen Notizzettel.

      „Wir gehen der Sache selbstverständlich nach, auch wenn ich am Wahrheitsgehalt meine Zweifel habe. Trotzdem wollen wir vermeiden, dass die Polizei Mühldorf irgendwie negativ auffällt. Wie ist der Name Ihres Informanten?“

      „Der Name ist…“ Eberwein sprang erschrocken auf. Jetzt hätte er fast den Namen verraten, obwohl er versprochen hatte, den herauszuhalten. Der Staatsanwalt ging, ohne sich umzudrehen. Er rauschte an Frau Rettermaier vorbei.

      „Was ist denn mit dem los? Haben Sie ihn auch geärgert?“, fragte sie ihren Chef durch die offene Tür.

      „Ich habe ihn nach einem Namen gefragt. Offenbar wollte er ihn mir nicht geben. Seltsam. Sonst ist der Staatsanwalt sehr viel mitteilungsbedürftiger.“

      Im Wagen atmete Eberwein tief durch. Er hatte sich einer Frau gegenüber gehen lassen, was ihm noch niemals passiert war. Ja, er konnte ungehalten werden und hatte auch kein Problem damit, andere bloßzustellen. Aber er war noch nie handgreiflich geworden, vor allem nicht gegen eine Frau. Was war nur los? Lag ihm seine Karriere so sehr am Herzen, dass er sich deshalb völlig vergaß? Nein, das wollte er nicht, so wichtig war die Beförderung nicht, dass sich sein Charakter so sehr veränderte. Eberwein schämte sich und würde am liebsten alles ungeschehen machen, aber dafür war es zu spät. Das Klingeln seines Handys ließ ihn aufschrecken. Als er die Nummer erkannte, wurde ihm übel.

      „Und? Wie ist das Gespräch mit Krohmer verlaufen?“ Dr. Paul Wendel war bester Laune, eine Begrüßung hielt er offenbar für überflüssig.

      Eberwein wurde wütend. Er musste die Sache beenden und wollte nichts mehr damit zu tun haben. Dieser selbstgefällige Wendel hatte ihm die ganze Suppe eingebrockt. Er musste jegliche Beziehung zu dem Mann abbrechen, und zwar so schnell wie möglich.

      „Ich möchte Sie bitten, mich in dieser Angelegenheit nicht mehr zu belästigen, Dr. Wendel.“

      „Was ist denn mit dir los? Siezen wir uns jetzt wieder? Was ist passiert?“

      „Bitte lassen Sie mich in Ruhe.“

      „Du liebe Güte! Ich wollte dir doch nur einen Gefallen tun, als ich hörte, dass die Mühldorfer nun doch ermitteln. Du weißt doch, was für dich damit auf dem Spiel steht. Deine Karriere ist in Gefahr!“

      „Meine Karriere geht Sie überhaupt nichts an. Und ich möchte Sie nochmals bitten, sich nicht mehr in meine Arbeit einzumischen. Lassen Sie mich in Zukunft einfach in Ruhe!“

      „Was ist denn nur los mit dir?“

      „Ich habe dem nichts hinzuzufügen.“ Eberwein musste standhaft bleiben.

      „Soll das heißen, dass du bei unserem gemeinsamen Vorhaben auch nicht mehr dabei bist?“

      „Ja, das heißt es. Und ich möchte Sie nochmals bitten, mich nicht mehr zu duzen, Dr. Wendel, unterlassen Sie das!“ Eberwein hatte aufgelegt und stöhnte auf. Dieser Mann war an allem schuld. Nur auf dessen Drängen hin hatte er sich dazu hinreißen lassen, den Fall Fuchs den Landshuter Kollegen zu übergeben. Wie hatte er das nur zulassen können? Dr. Wendel hatte gute Kontakte zum Justizministerium. Durch ihn hatte er von der bevorstehenden Beförderung erfahren, die ihm vorher auch durch andere Stellen zu Ohren gekommen war. Nichts Konkretes, nur vage Andeutungen, mehr nicht. Trotzdem hätte sich Wendel nicht in seine Arbeit einmischen dürfen, das ging zu weit. Die Argumentationen seines neuen und nun ehemaligen Freundes waren überzeugend gewesen. Ja, mit der bevorstehenden Beförderung konnte er sich keinen Skandal leisten, auch wenn dieser von der Mühldorfer Mordkommission verursacht werden sollte. Er war schließlich der zuständige Staatsanwalt und sein Name würde automatisch auch auftauchen. Das hatte ihn schließlich überzeugt. Dr. Wendel war sehr geschickt darin, Menschen für sich zu gewinnen und zu manipulieren, was ihm offenbar in seinem Fall gelungen war. Eberwein war jetzt sehr wütend. Auf sich selbst und auf den sauberen Dr. Wendel. Warum hatte er sich nur auf den Mann eingelassen? Eberwein nahm einen Flachmann aus dem Handschuhfach und trank einen Schluck, was er nur tat, wenn er verzweifelt war. Wie konnte es nur so weit kommen? Der Fabrikant und Mühldorfer Stadtrat Dr. Wendel und er kannten sich aus dem Tennisclub. Eberwein war kein sehr aktiver Sportler, seine Frau hingegen schon. Er begleitete sie manchmal zu Vereinsmeisterschaften, bei denen er sie anfeuerte. Dabei unterhielt er sich notgedrungen mit anderen Vereinsmitgliedern, was er nur seiner Frau zuliebe machte. Dr. Wendel lernte er vor wenigen Monaten kennen. Sie verstanden sich auf Anhieb, was beim Staatsanwalt nicht oft vorkam. Seitdem pflegten die beiden, gemeinsam mit ihren Ehefrauen, einen regen Umgang, den man auch als Freundschaft bezeichnen konnte. Vor vier Wochen wurde das Verhältnis zwischen den beiden auf eine andere Ebene gesetzt, und zwar auf eine geschäftliche, die dem Staatsanwalt gut gefiel. Es ging um eine Grundstücks- und Immobilieninvestition, wozu offensichtlich noch keine genauen Pläne vorlagen. Aber die Rendite im zweistelligen Bereich, die ihm versprochen wurde, war sehr