Bettina Reiter

Ein fast perfekter Winter in St. Agnes


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und der Kauz neben mir ist mein Mann Duncan.“ Kurz himmelte sie den Genannten an und zeigte dann auf die zwei, die ihr gegenübersaßen und sich zu Emma umdrehten. „Das sind Rose und Joseph.“

      „Hermes und Trijn“, stellte sich ein anderes Paar vor, das eng umschlungen dasaß.

      „Ricardo“, rief der südländisch wirkende Mann schräg gegenüber im blauen Neoprenanzug. Emma musterte ihn. Wie jeden Mann, der sich nach ihm mit diesem Anfangsbuchstaben vorstellte.

      „Sally“, meldete sich schließlich Josies Freundin zu Wort. Erneut wurde Emma ein Lächeln zuteil, die von der Offenheit dieser Menschen überwältigt war. Leider hielt die Freude nur kurz.

      Nach wie vor hatte sie keine Ahnung, wie sie ihren Dad finden sollte. Natürlich könnte sie ihre Geschichte erzählen. Wie im Fernsehen, wenn Menschen nach Angehörigen suchten. Aber mit welchem Ergebnis? Ihre Mom hatte erwähnt, dass ihr Vater gebunden gewesen war. Gut möglich, dass sie mit ihrer Suche eine Ehe zerstörte. Den Kindern ihre bis dahin glückliche Familie nahm, die sie als Halbschwester vermutlich in die Wüste schicken würden. Nein, sie musste auf anderen Wegen seine Identität herausfinden und im besten Fall würde er trotz der vielen Jahre an Silvester bei der Mine sein. Aus sentimentalen Gründen. Oder weil er an sein Kind denken wollte, das ihm dort am nächsten war. Ein irrsinniger Gedanke, trotzdem ließ Emma ihn zu. Obwohl sie Angst vor der Begegnung hatte. Keiner konnte sagen, wie er zu ihr stand. Gut möglich, dass er nichts mit ihr zu tun haben wollte oder gar nicht mehr lebte. All das schob sie aber vorerst in den hintersten Winkel ihres Herzens. Zunächst musste sie seinen Namen herausfinden. Die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Das würde schwierig genug werden.

      „Hast du Lust mit uns zu essen?“, erkundigte sich Josie. „Oder wollt ihr alleine sein? Du und Reddy?“ Sie grinste. Eine sympathische Frau, bei der Emma sofort das Gefühl hatte, als würden sie sich schon ewig kennen. Möglicherweise, weil sie Linda in ihrer Art sehr ähnlich war.

      „Reddy und ich sind seit unserer Abreise aus London zusammen. Ich denke, fünf Stunden reichen“, ging Emma auf den Spaß ein. „Wenn ich nicht störe, würde ich gern mit euch essen. Ich habe ohnehin Hunger.“ Das anschließende Mittagessen war herrlich. Emma gönnte sich Cornish Pasties. Dazu tranken sie einen leichten Apfelwein aus der Region und waren im Nu in ein Gespräch vertieft. Josie erzählte aus ihrem Leben in Penzance und auf humorvolle Weise von ihrem Mann George und den drei Kindern. Nebenbei sang sie fast eine Lobeshymne auf ihre Nanny und zeigte sich begeistert darüber, dass sie wieder in ihrem Heimatdorf St. Agnes wohnte. Auch der Name Annie fiel einige Male. Josies beste Freundin, der dieser Sanders übel mitgespielt hatte. Seltsam, wie viele Parallelen es zum Unbekannten in London gab.

      Sally beteiligte sich ebenfalls an ihrer Unterhaltung, die etwas trockener war als Josie, trotzdem nicht weniger nett. Einzelheiten aus ihrem Leben ratterte sie herunter, als würde sie ein Telefonbuch vorlesen, doch als sie von ihrem Porzellan- und dem Tätowiergeschäft erzählte, begannen ihre Augen zu glänzen. „Wenn du Lust hast, komm vorbei“, bot sie an. „Was hat dich eigentlich nach St. Agnes verschlagen?“

      Die Frage kam unvermittelt. Emma rutschte in ihrem Stuhl hin und her. „Ich … ähm … brauche dringend eine Auszeit, weil ich vor einigen Tagen meinen Job verloren habe“, zog sie sich aus der Affäre.

      „Das tut mir leid.“ Josie schaute sie bedauernd an. „Vor allem die Tatsache, dass ich nach Hause muss. Ausgerechnet jetzt. Aber melde dich bei mir im Büro, dann ziehen wir Mädels um die Häuser.“

      „Gerne“, erwiderte Emma.

      „Ich muss ebenfalls los.“ Sally erhob sich. „Meine Eltern warten. Hoffentlich bis bald, Emma.“ Ein letztes Lächeln, bevor die Freundinnen das Lokal verließen, das sich allmählich leerte, bis Emma der einzige Gast war.

      Das zarte Klirren von Gläsern ertönte beizeiten, während Amber zusammenräumte. Bald würde sie das Aloha schließen, um ebenfalls zu ihren Liebsten nach Hause zu gehen.

      Emma spürte, wie Tränen in ihr aufstiegen und blickte aus der großen Glasfront. Über St. Agnes lag die Nachmittagssonne, die den Ort regelrecht mit ihrem Licht überflutete und die Weihnachtsdekoration funkeln ließ, die ihr sofort bei der Ankunft aufgefallen war. Nun ja, manchmal musste man Kompromisse in Kauf nehmen. Immerhin wurde sie vom imposanten Anblick der rauen Klippen entschädigt, in die das Dorf idyllisch eingebettet lag. Darüber spannte sich ein graublauer Himmel, wie Emma ihn nie zuvor gesehen hatte. Ohne Sonne hätte er düster gewirkt, so hatte er etwas Mystisches.

      Blitzartig schrak Emma aus ihrer Betrachtung hoch, da sich die Tür öffnete. Ein Mann kam mit einem Kind in den Armen herein. Als er Amber erblickte, lächelte er glücklich. Erst recht, als sie ihn übermütig küsste, bevor sie das Kind an sich nahm und es liebevoll festhielt. Ein Bild, das Emma mitten ins Herz schnitt. Weil sie sich nie einsamer gefühlt hatte als in diesem Augenblick. Nie ungeliebter und verlassener.

      Umso entschlossener stand sie auf. Sie sollte gehen, bevor sie zu weinen begann. Just in dem Moment stürmte die ältere Frau von vorhin atemlos und mit zerzaustem Haar herein. Minnie, sofern sich Emma richtig entsann.

      Als die Ältere sie erblickte, zeigte sie eine erleichterte Miene und eilte auf sie zu. Jetzt trug sie einen Faltenrock mit Schottenmuster und hatte sich ein Tuch um die Schulter geschlungen, das wie eine Decke aussah. In der Hand hielt sie einen Teller. Eingewickelt in Silberfolie. „Gott sei Dank, Sie sind noch da, Emma“, ließ Minnie keuchend verlauten, als sie vor ihr stehen blieb. „Unser Auto springt nicht an. Dabei wollte ich zu Doris. Wissen Sie, ich verteile jedes Jahr Kekse an meine Freunde und bin in den letzten Tagen überall gewesen. Nur nicht bei ihr. Dabei wartet sie bestimmt auf mich. Könnten Sie mich mitnehmen?“

      „Natürlich.“ Ein Notfall, der zur rechten Zeit kam. Obwohl Emma ahnte, dass die Einsamkeit zurückkehren würde. „Mein Wagen steht gleich in der Nähe. Soll ich Ihnen den Teller abnehmen?“ Emma schnappte sich den Rucksack, der am Tischbein lehnte.

      „Nicht nötig.“ Minnie lächelte zufrieden, als sich Emma aufrichtete. „Danke für Ihre Hilfe. Duncan wird mich in einer Stunde bei Doris abholen.“

      „Ich dachte, Ihr Auto streikt?“

      „Äh, genau!“ Röte überzog Minnies grobschlächtiges Gesicht, das Emma an die Anwältin erinnerte. Allerdings stand in Minnies mehr Herzenswärme und der Schalk blitzte aus ihren Augen. „Duncan kriegt es sicher flott. Wie immer.“

      Emma schmunzelte. „Es ist gar nicht kaputt, oder?“

      Minnies Schultern sanken herab. „Stimmt. Als wir gingen … Sie haben so verloren ausgesehen an diesem viel zu großen Tisch. Deshalb dachte ich mir, dass Sie sich vielleicht über etwas Gesellschaft freuen würden. Wenn Sie mögen, können wir bei Doris einen gemütlichen Kaffee trinken und meine Kekse genießen.“

      Minnie hatte bestimmt Besseres vor, als sich um sie zu kümmern. „Ein netter Vorschlag, aber heute ist Weihnachten.“

      „Eben. Da sollte niemand alleine sein“, erwiderte Minnie voller Wärme. Emma traten Tränen in die Augen. „Erst recht kein Mädchen aus der Stadt, das verloren wie ein aus dem Nest gefallenes Vöglein wirkt.“

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