Sven Elvestad

Die Faust


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      Sven Elvestad

       Die Faust

      Inhaltsverzeichnis

       I.

       II.

       III.

       IV.

       V.

       VI.

       VII.

       VIII.

       IX.

       X.

       XI.

       XII.

       XIII.

       XIV.

       XV.

       XVI.

       XVII.

       Impressum

      I.

      Am 25. Februar 1899, um sieben Uhr morgens, fand man in der Christian Kroghsgate einen bewußtlosen Mann. Eine zur Ablösung anrückende Patrouille von Schutzleuten bemerkte ihn. Einer von ihnen ging zu dem nächsten Telephon und läutete bei der Kriminalpolizei an. Und in dem Augenblick, da der Bewußtlose in einen Wagen gelegt wurde, um nach dem Landeskrankenhause gebracht zu werden, war bereits ein Kriminalbeamter zur Stelle.

      Dieser erkannte sofort, daß hier ein Verbrechen vorlag. Der Verletzte hatte eine große Wunde an der linken Seite des Kopfes, unmittelbar über dem Ohr. Es war ein Mann mittleren Alters, offenbar ein Bauer.

      Der Beamte fuhr mit nach dem Krankenhause, wo der Gefundene rasch verbunden wurde. Der Arzt stellte fest, daß seine Verwundung nicht lebensgefährlich sei. Aber nur durch ein Wunder sei er dem Tode entronnen. Die Wunde sei durch ein stumpfes Instrument verursacht, durch einen Knüppel oder eine Eisenstange, und die Waffe sei mit außerordentlicher Kraft geführt worden.

      Aus den Papieren des Überfallenen ging hervor, daß er der Sohn eines vermögenden Bauern aus der Gegend von Elverum war. Man hatte ihn seiner Uhr und aller sonstigen Wertsachen beraubt.

      Als er das Bewußtsein so weit zurückerlangt hatte, daß er über seine Erlebnisse berichten konnte, erzählte er, er sei am Tage zuvor in stark berauschtem Zustand mit ein paar »Damen« und ein paar ihm unbekannten Männern zusammengeraten, die ihn weiter mit Bier und Schnaps traktiert hätten. Er erinnerte sich, daß diese Leute ihn tief in der Nacht in eine abseits gelegene Straße geführt, wo ihn plötzlich ein gewaltsamer Schlag an den Kopf getroffen hätte. Als er auf den Bummel gegangen war, hatte er 350 Kronen Papiergeld, darunter einen Hundertkronenschein in seiner Brieftasche gehabt. Bis zu dem Überfall hatte er vielleicht 25 Kronen verbraucht. Er war also um 325 Kronen und eine wertvolle goldene Uhr bestohlen worden.

      Die Polizei registrierte die Sache sofort in die Rubrik der allgemeinen Überfälle. Man nahm einige Verhaftungen unter den »lockeren Vögeln« der Straße vor. Doch gelang es nicht, die Urheber zu fassen.

      Am 4. März, um zwei Uhr nachts, tat zufällig wieder einer jener Schutzleute, die den verwundeten Bauernburschen aus Elverum gefunden hatten, in der Christian Kroghsgate Dienst.

      Plötzlich vernahm er aus dem Dunkel der Straße einen lauten Schrei. Er eilte zu der betreffenden Stelle und stieß auf ein junges Mädchen. Sie war es, die geschrien hatte. Er fand sie in einem unverkennbaren Zustand größten Entsetzens. Sie zitterte am ganzen Körper, ihr Haar war in schlimmster Unordnung. In furchtbarer Erregung klammerte sie sich an seinen Arm und rief:

      »O Gott, ich hatte eine schreckliche Erscheinung!«

      Und dabei wies sie über die Straße.

      »Sehen Sie, da geht er!« rief sie. »Sehen Sie, daß er einen Stock mit einer Elfenbeinkrücke hat?«

       Im Licht der qualmenden Laterne bemerkte nun der Schutzmann ganz deutlich, daß eine große männliche Gestalt um die nächste Ecke verschwand. Er trug einen Rock mit langem Schoß und hielt einen Spazierstock in der Hand.

      Der Schutzmann lief ihm nach, fand ihn jedoch nicht. Als er zu der Stelle zurückkam, an der er das junge Mädchen verlassen hatte, war auch dieses verschwunden.

      Er fand diesen Vorfall ein wenig merkwürdig und berichtete ihn am nächsten Tage seinen Vorgesetzten. Die Polizei war zunächst nicht geneigt, sich um die Geschichte zu kümmern. Als der Chef jedoch erfuhr, daß sie sich an derselben Stelle zugetragen habe, an der vor wenigen Tagen der überfallene Bauernbursche gefunden worden war, verlangte er, daß das Mädchen herbeigeschafft werde.

      Der Schutzmann war auch imstande, ein so genaues Signalement von ihr anzugeben, daß es keine Schwierigkeit machte, sie zu finden. Schon um sechs Uhr nachmittags wurde sie dem Chef in einem der Vernehmungszimmer vorgeführt.

      Es war eine ganz junge Fabrikarbeiterin, die bereits einmal in eine Diebessache verwickelt gewesen war. Sie hieß Selma Strand.

      Der Chef fragte sie, warum sie in der vorigen Nacht so erschrocken gewesen sei.

      Das Mädchen zögerte lange mit der Antwort. Sie war offenbar sehr nervös; die Anwesenheit all der Polizisten beunruhigte sie. Und sie antwortete ausweichend.

      »Ich ängstigte mich,« sagte sie, »weil im Dunkeln ein großer Mann auf mich zukam.«

      »Kannten Sie diesen Mann?«

      »Nein.«

      »Warum ängstigten Sie sich dann? Sprach er mit Ihnen?«

      »Ja – nein – er sagte nur ein paar Worte.«

      »Was sagte er denn?«

      »Das weiß ich nicht mehr.«

      »Nannte er Sie bei Namen?«

      »Ich sagte ja, daß ich ihn nicht kannte.«

      »Bedrohte er Sie?«

      »Nein, das tat er nicht.«

      »Aber dann begreife ich nicht, warum Sie sich so ängstigten. Sie haben ja laut geschrien.«

      Das Mädchen suchte nach einer Antwort und warf verlegene Blicke ringsum.

       In diesem Moment öffnete sich die Tür, und ein schlanker, gut gekleideter Herr trat ein. Er nickte dem Chef zu, der wohlwollend lächelte. Die anderen Polizisten grüßten respektvoll. Der Ankömmling nahm auf dem Stuhl zunächst der Tür Platz.

      Der Chef setzte das Verhör fort.

      »Antworten Sie offen und ehrlich. Sie haben doch wohl nichts zu verbergen? Können Sie uns den Mann beschreiben? Wissen Sie, wie er angezogen war?«

      »Ich glaube. Er trug einen schwarzen Rock. Und