John Marten Tailor

Der Fall - Amos Cappelmeyer


Скачать книгу

meiner aufgeputschten Kreativität Vorschub leisten, daher mietete ich mich von unterwegs mit Hilfe des Smartphones für sieben Tage in einem bescheidenen Hotel in der österreichischen Hauptstadt ein. Versprach mir raschen Reichtum. Wie konnte Mann nur so blauäugig sein, sich mit einem Verlag auf ein verwegenes Angebot einzulassen: 700.000 Euro, wenn ich es fertigbrachte, einen spannenden Roman abzuliefern, Thema frei, Minimum 300 Seiten - in sieben Tagen! Einfacher als ein Lottogewinn. Der Pferdefuß: Gelang es mir nicht, verlor ich mein Haus in bester Alleinlage, doch diese Option zog ich maximal mit einem Achtel Hirnkapazität in betracht.

      So nahm das Schicksal seinen Lauf.

      In grenzenloser Überheblichkeit unterschrieb ich mit einem goldenen Federhalter die Vereinbarung, vor den Konsequenzen die Augen verschlossen. Man hatte mich bei der Ehre gepackt. Mich, einen drittklassigen Schriftsteller vom Lande. Nur Gevatter Tod war längst fester Bestandteil des Plans ...

       Ich bin, was ich bin.

      Kapitel Eins

      Ein einziger Tag

       Sommer 1978

      Man schrieb die dritte Ferienwoche, ein Sommertag wie aus dem Bilderbuch, geschaffen dafür, diesen im Freien zu verleben. Zwei Knaben, annähernd gleichen Alters, nicht nur körperlich unterschiedlich wie Tag und Nacht, fristeten ihn in einer Art ungesunder Zwangsgemeinschaft an einem kleinen See auf dem großelterlichen Grundstück. Libellen schwirrten, Bienen summten voller Lebensfreude, es duftete nach gemähtem Gras und Mücken umkreisten ihre Blutopfer, während die Kinder, nur in ihren Badehosen, Steinchen über die Wasseroberfläche hüpfen ließen.

      »Ist das öde! Ich weiß nicht, was ich hier eigentlich soll«, maulte der Dunkelblonde, dessen Erscheinung und besonders sein Gesichtsausdruck ihn beim ersten Blick von der Kategorie „netter Nachbarsjunge“ ausklammerte.

      Dasselbe, wie letztes Jahr und das Jahr davor. »Es sind Ferien«, stellte sein Spielgefährte dann lakonisch fest, weil er keinesfalls belehrend wirken wollte. Noch beim Sprechen katapultierte er mit voller Kraft einen weiteren flachen Stein auf den See hinaus, der diesmal sofort versank. Pech.

      »Scheiße, das funzt nich`. Mir reicht`s! Ich bin kein Baby mehr. Wessen behämmerte Idee war das?«

      »Fluch nicht, Bruno«, mahnte der schmächtige Zehnjährige mit dünner Stimme und biss sich sofort auf die Lippe.

      »Wer sagt das?«, geiferte Bruno streitlustig, wobei er extrem einer alten englischen Hunderasse ähnelte. Er litt unter enormen Stimmungsschwankungen, was sein jüngerer Vetter schmerzhaft hatte lernen müssen, als er dabei einen Milchzahn verlor. Dies ereignete sich in einem anderen, längst vergangenen Sommer. Trotzdem, jedes Wort, jeder Widerspruch könnte der Zünder für den nächsten Wutausbruch sein - und vergangen ist nicht gleich vergessen.

      »Weißt du doch.« Nachdem er die Augen verdreht hatte, schleuderte Amos wieder einen flachen Stein weit hinaus, der vorbildlich dreimal hintereinander aufditschte, und freute sich insgeheim, dass er etwas besser beherrschte. Etwas, für das man weder riesengroß noch stark sein musste. Ihm lagen eher die Kopfsachen. Mathe zum Beispiel, oder Aufsätze schreiben. Locker hätte er jetzt eine Abhandlung über die Flora im Thüringer Wald zwischen Kleinschmalkalden und Tambach-Dietharz zu Papier bringen können. Einfach so. Doch Holzkopf Bruno funkelte ihn finster an, dabei zerquetschte er einen hässlichen schwarzen Käfer zwischen zwei Fingern. Schmatz.

      Gar nicht gut. Amos griff nach einer Pusteblume in Reichweite und begann nervös daran herumzuzupfen.

      Ein fieses Grinsen legte sich für den Hauch eines Momentes um Brunos Mundwinkel.

      »Was der Alte sagt, juckt mich nicht. Der hat mir überhaupt nix zu befehlen.«

      Amos zuckte zusammen. Er verabscheute es, wenn jemand respektlos von seinem verehrten Großpapa sprach. Der Großvater liebte schließlich all seine Enkel gleichermaßen. Aber der Sermon fand kein Ende:

      »Bei dir sieht die Sache anders aus, du Werchel. Meine Eltern sind nicht so dämlich, sich beim Kraxeln den Hals zu brechen.« Da hatte der Cousin ein Tabu-Thema angeschnitten, bei dem selbst der beherrschte Amos aus der Haut fuhr.

      »Halt sofort den Mund! Du sollst nicht so reden!«

      »Ach!« Bruno sprang mit unerwarteter Behändigkeit auf. Seine kurzen Finger gruben sich in den dunklen Haarschopf des Kleineren, dass dieser aufschrie, und zerrten ihn auf die Knie.

      »Au! Au! Bist du blemblem? Lass mich los!«

      Bruno war in seinem Element, als er sadistisch forderte:

      »Sag bitte.«

      »Du sollst loslassen.« Obwohl Amos sich geschworen hatte, nie wieder klein beizugeben, zwängte er das eine Wort über die Lippen: »– Bitte.«

      Bruno ließ derart abrupt los, dass Amos auf seinen Hintern landete.

      »Du Lutscher! Du erbärmlicher, kleiner ...«, an dieser Stelle gingen Bruno die Vokabeln aus. In der Abteilung Gehirn war er etwas zu kurz gekommen.

      »Hör auf!« Wieder auf den Beinen stürmte Amos wie eine Furie auf den Hünen zu, rammte ihm eine Faust in den Wamst. Sicher hatte der Schlag nicht ernstlich weh getan, dafür war Bruno nun echt stinkig. Mist.

      Amos tat das einzig Vernünftige, er ergriff die Flucht - unter den höhnischsten Beschimpfungen.

      »Lauf zu Opi, du kleiner Schmarotzer! Heul doch!«

      Amos schlug einen Haken und stürzte sich von dem knapp fünf Meter langen Steg in den Teich. Er empfand das Wasser kälter, wie an einem Sommertag zu vermuten, aber als er die Augen öffnete, konnte er prima sehen.

      Bruno plumpste ins Wasser. Schneller wie erwartet.

      Amos Vorsprung schrumpfte weiter, dann kam ihm die zündende Idee.

      Kurz tauchte er auf, um seine Lungen zu füllen. Der Teich mass an dieser Stelle eine Tiefe von über zweieinhalb Metern. Vorne am Steg gammelte ein altes Kinderfahrrad auf dem Grund herum, das einst Klein-Bruno gehörte und inzwischen von Gräsern überwuchert wurde. Die Schwimmkünste des Cousins waren nicht herausragend.

      Ein Punkt für die Kleinen.

      Amos witterte seine Chance, tauchte zielgerichtet unter. Bald hielt er in den Händen, was er haben wollte, genau in dem Moment, als Bruno über ihm herum paddelte und brutal versuchte, ihn zu ertränken. Amos wusste, was es zu tun galt.

      Er war im Besitz der Fahrradkette, die benutze er wie ein Strick, probierte, Bruno damit zu fesseln, und zwängte ihn weiter unter den Steg. Im Wasser war alles leichter, lernt man in der Schule oder aus Erfahrung. Der Große strampelte überrascht, am Ende seiner Atemluft. Bläschen entwichen seiner Nase, die Beine zappelten, die Kette rutschte erneut ab.

      Das darf doch nicht wahr sein! Wieder ein Plan, der nicht funktioniert. Bruno würde ihn windelweich prügeln. Nein, mehr noch. Mit einem Zahn als Obolus würde er sich jedenfalls nicht zu frieden geben. Plötzlich verfing sich Brunos linker Fuß im Fahrradrahmen, panisch wedelte er mit den Armen, die Augen aufgerissen. So überrascht.

      Er kam nicht frei, ihm fehlte es an Kraft.

      Jetzt oblag es Amos, zu entscheiden, und zwar sprichwörtlich über Leben und Tod. Nie beabsichtigte er, seinem Cousin ernsthaft zu schaden, deshalb dauerte es nur Sekunden, bis er begann, an ihm herumzuzerren, um ihn frei zu bekommen. Brunos Augen blieben geschlossen.

      Amos tauchte kurz auf, stieß einen Hilferuf aus, ging danach sogleich wieder auf Tauchstation. Er bog und zerrte an dem speckigen Fuß, dann war es geglückt. Der schmächtige Junge brachte Bruno an die Wasseroberfläche, schrie erneut um Hilfe, wie es seine Lungen hergaben. Irgendwie gelang es ihm gar, den Körper an das flache, grasige Ufer zu ziehen.

      Auf einmal war der Großvater da, in seiner typischen Kluft bestehend aus Holzschuhen und einem Arbeitskittel. Amos Herz ging auf.