John Marten Tailor

Der Fall - Amos Cappelmeyer


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ein. Im Normalfall würde ich niemals einen Drink ohne Eis zu mir nehmen, aber außergewöhnliche Situationen erforderten Abstriche. Meine Geschmacksknospen empfanden den Alkohol als beruhigend.

      »Gott sei Dank«, murmelte ich vor mich hin. »Nur ein Traum.« Der anstrengende Sex, - kein Traum - , verlangte Tribut, ergo legte ich mich wieder aufs Ohr. Der Schlaf riss mich erneut tief hinunter.

      Gerädert vom nächtlichen Trauma stand ich um elf Uhr auf. Eine Dusche versprach Entspannung. Ein mittelprächtiger Schriftsteller hatte häufig dämonische Träume und es war mir verhasst, sogar sehr.

      Das Gesicht war gerade frisch rasiert, da pochte es an der Tür.

      »Moment!«

      Wie sollte es anders sein, die Polizei, die immer paarweise anrückte. Entzückend.

      »Herr ... Kappelmeier

      »Das bin ich.«

      »Hauptkommissar Vogt. Wäre nett, wenn wir uns kurz unterhalten könnten«, sagte der Kräftigere des Pärchens.

      »Bitte kommen Sie herein.« Ich wies auf die Wohnlandschaft und bemerkte, dass der Zweite die Nase rümpfte. Müssten die mir nicht eigentlich aus der Hand fressen?

      »Herr Cappelmeyer, bitte nehmen Sie platz.«

      Das verhieß selten Gutes. Mein Gehirn spielte mir Streiche, vor meinem inneren Auge malte ich mir das Schlimmste aus, doch es sollte noch ärger kommen. Zu allem Übel hatte ich bisher keine Silbe, kein einziges Wort für den Roman geschrieben. Unerfreulicher noch, ich hatte nicht den geringsten Schimmer, worüber ich schreiben sollte, dabei hing meine Zukunft davon ab. Ich begann zu verzweifeln.

      »Herr Cappelmeyer, haben Sie mir zugehört? Nein? Na fein. Sie wurden gesehen, wie Sie gestern Nacht mit einer Dame die hauseigene Bar verlassen haben ...«

      »Das ist richtig.«

      »Kannten Sie die Frau gut?«

      »Kann ich nicht behaupten.« Faktisch wusste ich rein gar nichts über sie, nur dass sie die zärtlichste Frau war, die mir je begegnet war, doch mit dieser Information würden die Polizeibeamten herzlich wenig anfangen können.

      »Dachte ich mir. – Waren Sie beide den ganzen Abend zusammen?«

      Ich nickte heftig.

      »Bis zum Einschlafen. Als ich aufwachte, war sie allerdings fort.«

      »So so. Wissen Sie, Herr Cappelmeyer, in der Nacht ...«

      Der Jammerlaut, der nun folgte, übertraf alles, was je meiner Kehle entsprungen war. In dem Moment, wo der Beamte von der Caterpillar erzählte, war es um meinen Geist geschehen. Nie zuvor fühlte ich mich leerer. Sie war eine Frau, die mich mit ihrer bezaubernden Art absolut eingefangen hatte, auf der Suche nach einem Mann, so simpel war das. Die Polizei hatte Mühe, noch ein vernünftiges Wort aus mir heraus zubekommen und trat unzufrieden den Rückzug an.

      »Halten Sie sich bereit. Möglich, dass wir mit weiteren Fragen auf Sie zurückkommen müssen.«

      »Klar, ich bin hier.«

      »Sollte Ihnen noch etwas einfallen ist hier meine Karte.« Ich nahm die billige, weiße Visitenkarte entgegen und ließ sie auf das Tischchen fallen, weil ich sie eh nicht brauchen würde. Dann setzte ich den Wodka an, trank bis zur Neige. Sogleich bestellte ich eine weitere Flasche und befasste mich mit der Frage, wer in der Lage war, auf diese abartige Weise zu morden? Ich begriff den Sinn dieser Tat nicht. Mein Zerwürfnis mit der Welt hatte einen entscheidenden Wendepunkt erreicht. Im Hier und Jetzt zählte nur die Betäubung.

      Irgendwann fiel ich volltrunken um. Im Geiste erschien mir die schöne Unbekannte, verabschiedete sich mit zarten Worten:

      »Amos Cappelmeyer, vergiss mich nicht, bitte!« Dann Stille, nichts als Stille, die mir Frieden brachte.

      Verkatert wachte ich am frühen Nachmittag, auf der Bettkante sitzend auf, was sehr eigenartig war, und fuhr zusammen. Mit verklebtem Mund und aufgedunsener Zunge entschlüpfte es mir:

      »Du meine Güte, haben Sie mich ärschreckt! Aber verdammt, was suchen Sie in meinem Zimmer?«

      »Wir haben noch einige Fragen an Sie. Dazu müssten Sie mich allerdings aufs Revier begleiten«, entgegnete der höfliche Polizist neutral.

      »Kommt nicht in Frage. Bin doch nicht wahnsinnig.« Ich hatte eine reine Weste, war nur noch zu alkoholisiert, um überhaupt etwas zu sagen, geschweige zu schreiben.

      »Sie weigern sich also?« Mühsam zwang ich meine Stimmbänder, mir zu gehorchen, und formulierte folgenden Ausspruch:

      »Ich will nicht unhöflich sein, doch ich gehe nirgends hin. Ich habe mir gestern die Kante gegeben, nachdem die Bolizei mir unterbreitet hatte, wer die Tote war. Ein chinesisches Sprichwort besagt: »Das Leben meistert man lächelnd oder überhaupt nicht«, und jetzt verzieh dich aus meinem Zimmer, du Lutscher

      Seine Höflichkeit fand ein jähes Ende. Ich hätte gewarnt sein müssen.

      Seine Faust prallte ungebremst in meine Visage, Blut spritzte. Ich sank zu Boden. Bevor ich Gelegenheit bekam, die Auslegeware voll zu bluten, zerrte der Befehlsempfänger mich auf die Bettkante. Mir dröhnte der Schädel. Auch das Anbrüllen meiner Person von Angesicht zu Angesicht brachte keine Lösung. Ich durfte nur seinen üblen Atem riechen. Irgendwas mit Zwiebeln und Knoblauch, was für ein Gestank. Mir wurde noch elender. Überheblichkeit, verbunden mit einer Portion Frechheit, sollte den Tag rasch enden lassen, indem ich mit der Hand vor meinem Riechorgan herumwedelte.

      Meine Liebste war bereits gestorben, warum nicht ihr folgen! Mein ausgestreckter Mittelfinger rief bei dem Kiberer das Rote im Auge hervor. Sein Gesicht verzog sich zu einer aggressiven Fratze. Eingeschüchtert war ich keinesfalls, bis erneut eine Faust Kontakt zu meinem linken Auge aufnahm. Mein Ich verabschiedete sich in die Dunkelheit ... Knock-out in der zweiten Runde, dabei sackte ich zu Boden. Der Polizist hatte ein neues Hobby gefunden, nämlich meine Fresse zu polieren. Mittlerweile war ihm der Teppich egal. Später verließ er den Raum, mit einem Gruß von Alfred.

      Hä? Hatte ich richtig gehört? Wer zum Geier war dieser ominöse Alfred?

      Konnte nicht einmal etwas halbwegs glatt laufen in meinem Leben?

      Dann versank ich im Land der Finsternis.

      Wie lange war ich weg gewesen?

      Ich erwachte und ein Geräusch ertönte, das ich nicht zuordnen konnte. Krampfhaft versuchte ich, mich zu konzentrieren. Was war das nur? Gnädigerweise legten meine Gehirnzellen schließlich die Lösung parat:

      Das Zimmertelefon schrillte bis zum Erbrechen. Unter brutalen Schmerzen, mit letzter Kraft hievte ich mich so weit hoch, dass ich nach dem Hörer langen konnte:

      »Wer stört?«

      »Herr Cappelmeyer? Frau Seeling, vom Verlagshaus Kniebrecht in München«, flötete eine weibliche Stimme. »Wir wollten uns erkundigen, wie Sie vorankommen mit Ihrem Werk. Es bleibt schließlich nicht mehr viel Zeit übrig. Können Sie uns eventuell schon etwas dazu berichten?« Ganz mieses Timing, schrie ich innerlich gequält, antwortete jedoch gewohnt optimistisch, direkt raus:

      »Frau Seller, Schätzchen, pass mal gut auf: Mein Abgabetermin ist in fünf Tagen, wenn ich nicht irre? Also, warum nerven Sie derweil nicht einen anderen Autor, Sie Nymphe? Und rufen Sie bloß nicht wieder an!«

      »Ich darf ja wohl sehr bitten! - Weder heiße ich Seller noch bin ich Ihr Schätzchen, Sie schmieriger alter Sack! Was bilden Sie sich ein?«

      Jetzt hatte sie sich bestimmt ins Höschen gemacht, ihre überdrehte, schrille Stimme verriet sie. Aber, ob es mir nun gefiel, oder nicht, war es ein Weckruf, endlich mit meiner Arbeit loszulegen. Nur worüber schreiben? Noch immer hatte ich kein Thema gefunden. Ideen waren bei mir auf der Flucht, oder sollte ich sagen, es hing ein Fluch über mir.

      Wie auch immer, ich brauchte eine Dusche. Im Spiegel erkannte ich mich selbst nicht mehr. Das Wasser hämmerte auf meine