John Marten Tailor

Der Fall - Amos Cappelmeyer


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Blutfleck hinterlassen, der rasch von Miss Perfect fachmännisch entfernt wurde. Sie war zufrieden.

      Wie betäubt stand ich auf einer Stelle, starrte auf einen imaginären Punkt hinter der Milchstraße.

      »Amos? Hallo?« Eine schallende Ohrfeige erreichte mein Gesicht und riss mich aus meiner Starre. Mit kräftigem Griff hielt ich sie fest.

      »Hey! Was sollte das?«

      »Wer nicht hören kann, muss fühlen.« Das war mein Stichwort.

      Audrettes Emotionen spielten ihr Streiche. Sie gestand mir, der Sex mit mir sei etwas Besonderes. Ich alter Sack hätte alles vermutet, doch dieses Eingeständnis von der schönsten Frau der Welt zu hören, traf mich unvorbereitet.

      »Sag das nochmal«, forderte ich sogleich.

      »Das hättest du wohl gerne.« Unsere Bademäntel rutschten zu Boden, welche sie völlig unromantisch in der Mulde entsorgte. Vorsichtshalber.

      Mittlerweile war ich hellwach. Das Tröpferlbad (wie die Wiener sagen) musste herhalten für meine Fantasien. Ich seifte die Traumfrau genüsslich ein, dabei kontrollierten meine Augen die ihren.

      Diese Seifenoper hatte es in sich gehabt. Sie legte sich auf meinen Bauch und heimste abermals einen Gutenachtkuss ein.

      Es blieben nur dreieinhalb Stunden bis zum Aufstehen, denn ein dunkler Anzug und ein Trauerkleid mussten besorgt werden. Mit einem letzten Blick zu Audrette löschte ich das Licht. In diesen Stunden des Schlafes rodete ich die Alleen Wiens ...

      Kapitel Vier

      Begräbnis

      Die Morgensonne riss uns aus Morpheus' Armen. Unsere Bettdecke hatte sich längst auf den Fußboden verabschiedet. Audrette lag nackt, alle viere von sich gestreckt, mit offenem Mund, die Augenlider auf halbmast. Ein Bild für die Götter.

      Glücklich, einander gefunden zu haben, nahmen wir eine gemeinsame Dusche. Behutsam mit unserer frischen Zuneigung trockneten wir uns gegenseitig ab. Ungern hatten wir uns angezogen, aber in ein paar Stunden sollten wir uns auf dem Wiener Zentralfriedhof, Karl Barromäus, einfinden.

      Nach einem reichhaltigen Frühstück drängte die Zeit, die Verstorbene mit unserer Anwesenheit zu beehren, obwohl ich glaubte, dass es den Überresten herzlich egal war, wer oder ob überhaupt jemand dort erschien. Arm in Arm betraten wir das nächstgelegene Bekleidungsgeschäft, mit dem verheißungsvollen Namen Coppers & Schmith.

      »Hier sind wir richtig. Schlicht, aber nicht zu billig soll es sein.« Audrette wählte einen schwarzen Anzug für mich, passend dazu glänzende Lederschuhe. »Ist das deine Größe?« Hundertprozentig. Alles passte, so machte Shoppen sogar spaß. Ein bestimmendes Heranwinken an ihre Kabine sollte einen unvergänglichen Eindruck vermitteln. Sie öffnete den Vorhang, um sich zu präsentieren. »Tada!« Da stand meine Angebetete, die Hüfte eingeknickt. Der aufreizende Panty umschmeichelte ihr zartes Becken, Strapse sollten später dazu auffordern, sie zu entkleiden. Ein dunkles, beinahe durchsichtiges Hemdchen unterstrich ihr Vorhaben. Sie war gerüstet, mich für immer einzufangen. Aber in Wahrheit war ich bereit, sie auf der Stelle zu vernaschen - noch in der Umkleidekabine.

      »Hättest du gern, wie? Aber vergiss nicht, was du dir vorgenommen hast«, dabei zwinkerte sie mir vielsagend zu.

      »Auf keinen Fall, Kleines.« Ich war zu leicht zu durchschauen, daran musste ich noch arbeiten. Zu guter Letzt streifte sie ein schwarzweißes Kleid über.

      »Wow!«, entfuhr es mir. »Mega!« Die waghalsigen High Heels rundeten ihr Erscheinungsbild perfekt ab und zauberten Beine bis zum Himmel.

      »Ist es nicht etwas too much

      »Tu was? Ich finde es herausragend.«

      »Gut, gekauft.« Ihre Platinkreditkarte beglich die stolze Summe von sechshunderteins Euro, dabei überschlug sich die Verkäuferin förmlich vor Höflichkeit. Audrette gab zwanzig Euro Trinkgeld, wobei das aufgesetzte Grinsen im pickligen Angesicht der Verkäuferin beinahe die Eiterbombe platzen ließ. Zum Schluss rückte ich meinen alten Stetson zurecht, somit war ich vorzüglich gekleidet, nur die Verfärbungen im Gesicht störten noch das Erscheinungsbild. Die Dame in der Boutique hatte uns ein Taxi bestellt. Türaufhaltend half ich der schönsten Frau der Welt, damit sie sich auf der Rückbank platzieren konnte. Hastig umrundete ich das Heck des Autos und rutschte neben sie.

      »Zur Friedhofskirche zum Heiligen Karl Borromäus. Zügig, bitte«, wies Audrette an. Der imposante Friedhof am Rande Wiens beherbergte die Ehrengräber vieler bekannter Persönlichkeiten: Beethoven, Brahms, Mozart, Strauß (Vater und Sohn) und sollte bei keiner Städtetour ausgelassen werden.

      Unser Fahrer schaltete den Taxameter ein, um gemächlich loszutuckern. Seine Augen klebten mehr am Rückspiegel, wie am fließenden Verkehr, was der emanzipierten Audrette ein Dorn im Auge war, daher dauerte es nicht lange, bis er ihre Ungeduld demonstriert bekam. Sie spreizte ihre Schenkel, so weit es der Schnitt des Kleides zuließ, dabei hielt sie die Neunmillimeter in der Hand, verdeckt von der Tasche. Sie erkundigte sich fürsorglich, ob er denn auch genug sehen würde. Ein kurzes Kopfnicken, mit geöffnetem Mundwinkel, mehr war von dem Stoffel nicht zu erwarten. Die Eier des Taxifahrers versperrten ihm scheinbar die Sicht. Audrette war es leid, rammte die Knarre in seine speckigen Rippen, flüsterten dem sabbernden Etwas den zu erreichenden Ort ins Ohr. Zur Erinnerung. Ein Raketenstart war die Folge, rote Ampeln existierten nicht mehr. Kein Verkehrszeichen hatte noch Gültigkeit. Acht Minuten später hielten wir am Ziel. Der Fahrer sah mitgenommen aus. Audrette warf ihm einen Zwanziger rüber und meinte großzügig:

      »Passt so.« Dabei zeigte die Uhr eine Summe von 29,90 Euro, doch er widersprach nicht. Vor der Fahrertür bückte Audrette sich weit vorn über, um ihre Schuhe vom imaginären Staub zu befreien. Der bedauernswerte Taxifahrer konnte gar nicht anders und gaffte ihr verblendet in den Schoß. Hinter dem Wagen hatte sich ein kleiner Stau gebildet. Einer von den Wartenden wagte es, entnervt zu hupen, worauf der Kutscher erschrocken sein Fahrzeug in Bewegung setzte, ohne auf den Verkehr vor sich zu achten. Taxi und Streifenwagen kollidierten. Lächelnd hakte sich Audrette bei mir ein und wir spazierten zur Kirche.

      Dieser beeindruckende Ort strotzte vor Geschichte. Der Himmel strahlte in makellosem Blau. Wenn der Anlass nicht so traurig gewesen wäre, müsste ich als Schriftsteller und Liebhaber der schönen Künste, fasziniert von der Schönheit des weitläufigen Areals Kenntnis nehmen. Jugendstilbauten, Alleen und über 330.000 Grabstellen. Das hätte ihrer Schwester gefallen, wusste Audrette besser als jeder andere zu beurteilen. Deshalb fiel die Wahl auf diesen speziellen Ort für die Gedenkfeier. Sozusagen Himmel und Hölle hatte sie in Bewegung gesetzt, dass alles vonstattenging, wie sie es sich vorstellte. Mehr war es nicht, nur eine Gedenkfeier mit einem leeren Sarg, schließlich blieb wenig für eine Beisetzung. Die sterblichen Überreste der stattlichen Hellen fanden in jedem handelsüblichen Schuhkarton platz. Ich schauderte und konzentrierte mich lieber auf den Weg, der vor meinen Füßen lag.

      »Alles in Ordnung mir dir?« Audrette küsste mich zärtlich. Sie hatte schöne kleine Augen, braun, Wimpern dicht und lang zugleich. Erst jetzt fiel mir auf, sie hatte ihre Augenbrauen in Form gezupft. Vor der Kirche packte mich das Bedürfnis, sie im Arm zu halten, warnte sie eindringlich vor der nächsten Vereinigung. Sie schnitt eine Grimasse:

      »Träum weiter, Kleiner. Das nächste Mal kommst du mir so leicht nicht davon!« Sollte mir das Angst einjagen? War sie eine von denen, die ihr wahres Gesicht nach dem dritten Treffen voll auslebte? Darüber hatte ich gelesen. »Amos, eine Sache noch, bevor wir da rein gehen.«

      »Ja, was denn?«

      »Würdest du mich heiraten?«

      »Wie bitte?« Ich traute meinem Hörvermögen nicht und geriet ins Stolpern. »Heiraten? Jetzt schon? Du bist ja eine ganz Schnelle.«

      »Frag nicht nach dem Warum.« Nein, ich fragte nicht, sondern ging mutig auf den Handel ein. Da das geklärt war, schien Audrette erleichtert und wir flanierten andächtig ins Innere der Kirche. Den Stetson setzte ich aus Respekt vor den Toten ab. Und die Hände hatten Beschäftigung,